Wakkerpreisträger im Oberaargau

Manuel Pestalozzi
16. Januar 2019
Der stillgelegte, zentrale Mühlekomplex wird aktuell zwischengenutzt. Bild: Manuel Pestalozzi

Zur Bekanntgabe lud die Ausloberin, der Schweizer Heimatschutz (SHS), ins Dachgeschoss der Alten Mühle. Sie wird aktuell zwischengenutzt und harrt einer Weiterentwicklung. Unter dem ausladenden Krüppelwalmdach des prächtigen Barockbaus, dem Zentrum einer mehrere Bauten umfassenden Anlage, tagt aktuell jeweils das Stadtparlament. Die Kombination von Sorgfalt und Pragmatismus scheint in ganz Langenthal den Umgang mit dem Bestand zu prägen. Das wird nun mit dem Wakkerpreis honoriert.

​Mit der Wahl der Preisträgerin wirft das Beurteilungsgremium ein willkommenes Schlaglicht auf kleinere Städte, die aktuell mit zahlreichen schwierigen Identitäts- und Existenzfragen konfrontiert sind. Langenthal, für die Marktforschung der «Schweizer Durchschnittsort» par excellence, scheint in einer vergleichsweise komfortablen Situation. Zwar hat die Bahn 2000 einen veritablen Bypass durchs Gemeindegebiet gelegt – wer von Bern nach Zürich fährt, nimmt den Ort gar nicht mehr wahr, obwohl er an der Strecke liegt. Der Wert als Regionalzentrum konnte aber trotzdem erhalten werden. Die Kernzone wirkt belebt, die Vielfalt an Läden ist erstaunlich. Die Stadt habe halt vor Jahren durchgesetzt, dass nur im Zentrum Läden betrieben werden sollen, kommentiert Stadtpräsident Reto Müller diesen erfreulichen Zustand. Man ist stolz, auch auf eine H&M-Fliliale hinweisen zu können!
 

Wuhrplatz mit Stufen zur Langete. Bild: Manuel Pestalozzi

Mehr als Ortsunkundige annehmen könnten, ist auch Langenthalt eine Industriestadt. Dass die bekannte Porzellanfabrik um die Jahrtausendwende schliessen musste und rund 1'000 Arbeitsplätze verloren gingen, war ein Schock. Aber noch heute weisen die Stadt und die Region Oberaargau zahlreiche Betriebe auf, die sich erfolgreich in ihren Märkten behaupten – der Designers‘ Saturday erinnert jedes Jahr daran, auch die aus dem Betrieb des Architekten Hector Egger hervorgegangenen Firmen fallen durch Innovationskraft auf. 16'000 Einwohnerinnen hat Langenthal gemäss Stadtpräsident Müller heute. Und sie bietet 12'500 Arbeitsplätze. Von einer Pendler- oder Schlafstadt kann also keine Rede sein. Dem Besucher wird schnell klar: Es gibt hier einen gesunden Lokalpatriotismus und eine verwurzelte Unternehmerschicht, die mittels Patronage auch in baulicher Hinsicht beträchtliches ausrichtet .Eine Ortschaft dieser Grösse, die seit 1918 ein eigenes, prächtiges Stadttheater in gediegenem Berner-Barock ihr Eigen nennt, lässt so schnell nichts anbrennen!
 
Langenthal hat kein Bauland ausserhalb der bestehenden Siedlungsstruktur, so Stadtpräsident Müller. Die Entwicklung muss durch eine innere Verdichtung erfolgen. Entsprechend aktiv kümmert sich die politische Führung um den Werterhalt der architektonischen Substanz und um städtebauliche Verbesserungen. Drei Punkte beeindruckten das Wakkerpreis-Beurteilungsgremium besonders: der sorgfältige Umgang mit dem baulichen Erbe, die Pflege und städtebauliche Aufwertung des Ortszentrums und die Dialogkultur. Letztere operiert mit zwei planerisch-politischen Instrumenten: der Testplanung bei grösseren Vorhaben, insbesondere Industriebrachen wie der «Porzi» oder der Alten Mühle, und dem Workshopverfahren bei kleineren Bauaufgaben. Diese erfolgt in der Vorprojektphase und dauert rund drei Monate, wie Stadtbaumeister Enrico Slongo bei der Preisbekanntgabe ausführte. Mit Regelwerken, die auf einfachen Prinzipien beruhen machen Vorgaben und Vorschläge die man «zeithorizontgerecht» nennen könnte. Auf dem anschliessenden Rundgang wies Enrico Slongo auch auf beendete Projekte hin, welche auf solchen Verfahren beruhen, beipielsweise ein Wohnhaus, welches den an sich schützenswerten Versammlungsort einer «ausgestorbenen» Freikirche ersetzt und doch die Erinnerung an sie wahrt.

Aus einem Workshopverfahren hervorgegangenes Wohnhaus im Ortszentrum. Bild: Manuel Pestalozzi

Der Stadtrundgang zeigte auch, dass Eigenheiten viel zum Charakter einer Ortschaft beitragen und zeitgemäss erhalten werden sollten. In Langenthal sind das die Hochtrottoirs im Kernbereich. Das lokale Gewässer, die Langete, kann Hochwasser führen. Tritt dieser Fall ein, wird über ein Wehr das Zentrum kontrolliert geflutet. Das Wasser fliesst dann durch einen Teil der Marktgasse und die Bahnhofstrasse ab. Deshalb befinden sich die Trottoirs in jenen Bereichen um einen bis anderthalb Meter über dem Strassenniveau. Diese ortstypische, den Stadtraum prägende Eigenart wurde mit behutsamen Interventionen aktualisiert. Mit einer speziellen Betonmischung modellierte man Stufen, Kanten und Beläge neu. Auch ins Stadttheater investierte man einen substanziellen Beitrag und besitzt nun dank subtilen Eingriffen des Architekturbüros Aebi & Vincent über einen Kulturpalast, der die Gegenwart und die Vergangenheit repräsentiert und den Stolz der Metropole der Oberaargaus angemessen zum Ausdruck bringt.

Neues Hochtrottoir an der Marktgasse. Bild: Manuel Pestalozzi

Die offizielle Preisübergabe findet am 29. Juni 2019 im Rahmen einer öffentlichen Feier in Langenthal statt. Stadtpräsident Müller nennt die Oberaargauerinnen und -aargauer bescheiden, genügsam und strebsam – er schob nach, dass sie aber auch Feste zu feiern wissen.

Neue Deckenleuchte im ausgebauten Stadttheater. Bild: Manuel Pestalozzi

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