Von der Corraterie nach Bellevue
Manuel Pestalozzi
11. Dezember 2017
Hält die Visualisierung ihr Versprechen, dürfen sich die Banker auf eine geradezu pastorale Idylle freuen. Bild: Herzog & de Meuron
Das altehrwürdige Bankhaus Lombard Odier zieht aus der Altstadt von Genf in den Vorort Bellevue. Den Wettbewerb für den neuen Sitz gewannen Herzog & de Meuron.
rethink everything, heisst das aktuelle Motto des 221jährigen Bankhauses, das seit der Mitte des 19. Jahrhunderts an der Rue de la Corraterie, am Westrand der Altstadt, in einem Palast logiert. Eine Handlung, die der englische Schlachtruf ausgelöst hat, tönt vertraut: Das Unternehmen will alle Mitarbeitenden unter einem Dach vereinen. Dazu kaufte sich die Bank 27400 Quadratmeter Wiesland in der Gemeinde Bellevue, nördlich der Stadt. Das Grundstück hat die Form eines Parallelogramms und wird begrenzt durch den Autobahnzubringer, die Bahnlinie mit der S-Bahnstation Les Tuileries und der alten Hauptstrasse entlang des Seeufers – also ein optimal erschlossener Standort mit einer herrlichen Aussicht.
Für die Architektur wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben. Alles, was derzeit Rang und Namen hat, machte mit – von Bernard Tschumi über BIG bis OMA. Der Gedanke, ganz in der Nähe der Stelle zu bauen, in der Le Corbusiers Palais des Nations zu stehen gekommen wäre, muss verlockend gewesen sein. Das Rennen machten schliesslich Herzog & de Meuron aus Basel. Ihr Entwurf ist ein mächtiger, kompakter Solitär mit geschwungenen, vollständig verglasten Fassaden. Der Schwung wird von unterschiedlich stark vortretenden, sich überschneidenden Geschossdecken akzentuiert. Im Sockelbereich ist eines dieser dynamischen Gesimse zur Schlaufe gebogen und umfasst einen Gemeinschaftsbereich, der in die Erde eingelassen ist.
Entlang Nordfassade erstreckt sich eine Parklandschaft mit Promenaden. Bild: Herzog & de Meuron
Wurde mit diesem Entwurf das Arbeitsumfeld für Bankangesellte neu erfunden? Dieser Eindruck entsteht beim Betrachten der veröffentlichen Darstellungen nicht. Eher scheint es, als habe man bekannte Konventionen mit ein paar Design-Kniffen aufgepeppt. Das Gebäude wirkt entrückt und unnahbar. Die Nähe zu den stark befahrenen Verkehrsachsen, von denen eine das Gebäude vom See trennt, wird verschleiert. Mehr als bei anderen Gebäuden ist man daher gespannt, wie beim realisierten Bau die Auseinandersetzung mit dem Umfeld funktioniert. Die Bauarbeiten sollen Anfang 2019 beginnen und Ende 2021 abgeschlossen sein.