Tragend und prägend

Ulf Meyer
12. Oktober 2021
Esch Sintzel Architekten, Wohnüberbauung Maiengasse, Basel (Foto: Kuster Frey)

Holzbau ist en vogue, und die architektonische Qualität einheimischer Holzgebäude steigt mindestens so schnell wie die Holzpreise. Alle drei Jahre werden mit dem Prix Lignum die besten Holzarchitekturen der Schweiz ausgezeichnet – auch Möbel und Innenausbauten können dabei prämiert werden. In diesem Jahr hat die Jury die Wohnüberbauung Maiengasse in Basel von Esch Sintzel mit Gold bedacht, Silber ging an die vielbeachtete Landwirtschaftsschule von Andy Senn in Salez. Auf den Bronzerang schliesslich wurde die Aufstockung eines Wohnhauses in Vevey des lokalen Büros Rapin Saiz Architectes gesetzt. Ein Möbel und ein Innenausbau erhielten gleichauf jeweils den Sonderpreis «Schreiner», der von einer separaten Jury vergeben wurde: das Regal «001» von Studio Noun und der Lindauer AG sowie der Umbau eines Alpgebäudes in St. Antönien von Nickisch Walder Architekten mit Schreinerarbeiten von Frischknecht & Schiess. Insgesamt wurden 41 Projekte aus allen Landesteilen gewürdigt.

Foto: Kuster Frey

Die Wohnüberbauung Maiengasse verdichtet die Stadt und schafft einen halb-öffentlichen Raum und eine neue Wegverbindung. Das Ensemble bietet bezahlbaren Wohnraum, für den die Architekten Holz nicht nur als tragendes, sondern auch als gestalterisch prägendes Material eingesetzt haben. Mit ihrem Entwurf beziehen sie sich auf die Tradition der Basler Werkhöfe: Die Innenhöfe der Rheinstadt wurden im Laufe der Zeit mit immer mehr Einbauten versehen – mit Werkstätten, Garagen oder Schuppen zum Beispiel. Diese Bauten geraten heute trotz ihrer sozialen Bedeutung unter Druck, oft werden sie entfernt.

«Die Schwellenräume zeigen im Detail eine sichere Hand», urteilte die Jury. Die sichtbar belassenen Balkendecken der hohen Räume schaffen ein angenehmes Wohngefühl. Digital gefräste Details halfen, die Baukosten zu senken. Zugleich verschaffte die Technologie den Architekten neue gestalterische Möglichkeiten.

Andy Senn, Landwirtschaftliches Zentrum, Salez (Foto: Seraina Wirz)

Die Landwirtschaftsschule in Salez wurde bereits ausführlich gewürdigt und vielfach publiziert. Der Ostschweizer Bau darf, das bestätigt die Jury in der Begründung ihrer Wahl noch einmal, als Leuchtturm des ökologischen Bauens gelten. Statt auf teure Haustechnik setzte man bei der Berufsschule auf natürliche Mechanismen und Materialien. So reagiert das Haus auf den immer grösseren, ja zuweilen absurden Aufwand im Bereich der Haustechnik, den zum Beispiel St. Gallens ehemaliger Kantonsbaumeister Werner Binotto immer wieder aufgrund seiner Erfahrungen im Amt kritisiert. Nach Ansicht der Jury steht die Architektur der Schule für «kluge Funktionalität, genaue Details und hohe Räume». Die Schülerinnen und Schüler lernen in Salez, wie man mit Holz ressourcenschonend bauen kann. So hilft das Gebäude mit, dem umweltfreundlichen Bauen im ländlichen Raum den Weg zu bereiten. Und das Projekt ruft mit seinem gelungenen Lowtech-Ansatz nebenbei auch in Erinnerung, dass die Verwendung von Holz allein noch längst keine nachhaltigen Gebäude garantiert – es braucht noch wesentlich mehr.

Rapin Saiz Architectes, Aufstockung eines Wohnhauses, Vevey (Foto: Joël Tettamanti)

Die Aufstockung eines Wohnhauses in Vevey wirkt so unaufgeregt, als hätte es sie schon immer gegeben. Die Architekten haben aus dem denkmalgeschützten Baubestand und der Nachbarschaft Formen abgeleitet, mit denen sie dann die Geschichte des Hauses weitererzählten. Ihre Aufstockung verdichte das Quartier nicht nur baulich, sondern auch baukulturell, lobte die Jury. 

Teilung und Fügung des Holzbaus gliedern die Wohnräume. «Die Ausführung ist sorgfältig und auf jedes Detail bedacht», schreiben die Juroren. Aus dem Dachstuhl entwickelten die Architekten einen Raum, der den knappen Platz mit architektonischem Reichtum wettmacht. Diese Strategie galt der Jury als «exemplarisch für Aufstockungen in der Schweiz», denn sie nutze die Vorteile des Holzbaus für diese Aufgabe und beweise, dass Nachverdichtung – entgegen vieler Vorbehalte – ein Gewinn sein könnten für Eigentümer, Bewohnende und ganze Quartiere.

Eine Wanderausstellung zeigt die aktuellen Preisträger ab Herbst dieses Jahres bis Ende 2022 in allen Landesteilen. Die Termine werden über die Website des Preises kommuniziert.

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