Olgiati reloaded

Susanna Koeberle
7. Mai 2018
Eingang zum Bündner Parlamentsgebäude in Chur, 2011. Bild: Miguel Verme

Der Verleger Dino Simonett macht seit vielen Jahrzehnten Bücher, die mehr als Bücher sind. Die Buchobjekte seien seine Art Kunst zu machen, bemerkte er vor einigen Jahren. Sein neuster Verlag, den er mit seiner Frau Martina Baer gründete, hat sich ebenfalls ganz der Herstellung von Kultbüchern verschrieben. Der neuste Coup von Simonett & Baer ist die zweite Monographie des Bündner Architekten Valerio Olgiati, mit dem Simonett schon länger freundschaftlich verbunden ist. Bereits die erste Monographie, die vor zehn Jahren bei Walter König erschien, wurde von Dino Simonett gestaltet. Zum Portfolio des Buchmachers gehören mehrere Publikationen über den befreundeten Baukünstler. Zuletzt ein Buch, das ganz der «Villa Além» gewidmet ist, dem Bauwerk, das Olgiati für sich und seine Familie im Alentejo baute.

​Und nun also erneut Olgiati. Das Buch kommt als wertiges Schwergewicht daher. Schon der Einband aus grobem, weissem Leinen indiziert, dass es sich um eine Publikation mit einem gewissen Anspruch handelt. Nach den Fotografien der 19 zwischen 2009 und 2017 entstandenen Bauwerke folgen auf mehreren Seiten die Pläne. Diese sind alle bunt und erhalten dadurch eine gewisse Materialität und Plastizität. Die Grundrisse, Schnitte und Situationspläne geben Auskunft über die oft kryptischen und schwer lesbaren Bauten von Olgiati, ohne sie gänzlich entziffern zu wollen. Häufig handelt es sich um von aussen monolitisch wirkende Häuser, die innen eine ganz eigene Funktionsweise und einen eigenen Ausdruck besitzen. Darauf verweist auch der Essay des Architekten und Architekturhistorikers Jacques Lucan, der ganz am Ende des Buches zu finden ist. Seine Bemerkungen führen in philosophische Gefilde, was einem allerdings das Werk des Architekten nicht viel näher bringt, sondern eher für Verwirrung sorgt. Viel hilfreicher ist der Verweis auf konkrete architektonische Referenzobjekte, die für Olgiatis Schaffen von Bedeutung sind, wie etwa die Ruinenstadt Machu Picchu, der Taj Mahal oder Bauten in der indischen Stadt Fatehpur Sikri, die wie viele Häuser Olgiatis rötlich gefärbt sind. Die archaischen Inspirationsquellen erstaunen kaum, sie verkörpern Olgiatis Idee einer «reinen Architektur» auf anschauliche Weise.
 

Pläne zu «La Mas», Haus am Ozean, Peru, 2010.

Es ist eine Architektur, die weniger in einer Auseinandersetzung mit dem Kontext als in einer Idee ihren Anfang findet. Olgiati denkt die Räume von innen her (die Architektur soll «aus sich selber entspringen» wird der Architekt in Lucans Aufsatz zitiert) und weitet diese Idee dann auf etwas Ganzes, auf das Bauwerk aus. Dass alle Bauten Oligiatis aus Beton bestehen, passt dazu. Kein anderes Material vermittelt das Gefühl einer nahtlosen Einheit so gut wie Beton. Innen und Aussen, Idee und Bauwerk erscheinen wie aus einem Guss. Eindrücklich wird das auch bei seinem Hochhausprojekt «Torre San Felipe» (2010) in  Lima vorgeführt. Denn auch wenn es sichtbar aus einzelnen Elementen besteht, entsteht dennoch der Eindruck einer strukturellen Einheit. Vielleicht passiert dies gerade durch das prekäre Gleichgewicht zwischen Wiederholung und Diversität, das den Bau prägt. Das Thema der Öffnungen wird hier virtuos gehandhabt: Die drei Fenstertypen sind Ornamente und zeigen zugleich die unterschiedlichen Funktionen der Räume an. Mich persönlich erinnert das Projekt auch an die Hardau-Hochhäuser, zu denen ich als Bewohnerin eine besondere Beziehung habe. Wer weiss, vielleicht wandere ich einst nach Peru aus und werde in der «Torre San Felipe» wohnen? Auch wer nicht in einem Haus von Olgiati wohnt und ein Fan seiner Architektur ist, sollte sich beeilen, ein Exemplar des Buches zu bestellen.

Der grobe Einband aus weissem Leinen macht aus jedem Exemplar ein Unikat.

Valerio Olgiati
Projekte 2009–2017, unpaginiert
Verlag Simonett & Baer, Basel 2018
276 Seiten, CHF 145 
ISBN 978–3–906313–14–6

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