Stefan Rappold: «Der effiziente Umgang mit grauer Energie musste bereits im Wettbewerb nachgewiesen werden»
11. März 2020
Visualisierung: moka-studio
Behnisch Architekten aus Deutschland haben den Wettbewerb um die Gestaltung des «Smart Living Lab» in Fribourg gewonnen. Stefan Rappold erklärt den Entwurf. Welche Herausforderungen waren zu meistern?
In Fribourg soll am ehemaligen Standort der Kardinalbrauerei das «Smart Living Lab» entwickelt werden. Welche Ausgangssituation haben Sie vorgefunden?
Das «Smart Living Lab» soll Forschergruppen die Möglichkeit bieten, in interdisziplinären Teams wissenschaftlich zu arbeiten, und ihnen ein Experimentiergelände für die Erforschung nachhaltigen Bauens zur Verfügung stellen.
Der Bauplatz befindet sich im Stadtzentrum von Fribourg. Einige der alten Brauereigebäude wurden bereits abgebrochen, rückgebaut oder einer anderen Nutzung zugeführt. Ziel ist, aus der Industriebrache ein neues Stadtquartier zu formen, das «blueFACTORY-Quartier», ein Forschungs- und Wissenschaftsstandort, der Kulturschaffende sowie Akteure aus Wirtschaft und Gesellschaft miteinander vernetzt.
Für unsere ersten Entwurfsgedanken von grosser Bedeutung waren ein alter, schützenswerter Silobau und ein ehemaliger Schornstein – für die zukünftige Entwicklung des Quartiers werden sie identitätsstiftend sein; der Bezug zur Brauereivergangenheit bleibt mit ihnen sichtbar. Für das gesamte Areal liegt ein Masterplan vor. Das Grundstück des «Smart Living Lab» befindet sich im Zentrum. Dem Bau wird eine symbolhafte Bedeutung zukommen.
Visualisierung: moka-studio
Wie kamen Sie auf die Form des Baukörpers?
Das «Smart Living Lab» wurde als Ableger der EPF Lausanne gegründet. Dort wird auf einem Experimentiergelände, doch unter realen Bedingungen interdisziplinär zu nachhaltigem Bauen geforscht. Unser Ziel und unsere Aufgabe war es, ein besonders nachhaltiges Gebäude zu entwickeln. Ebenso sollte das neue Haus den Anforderungen an einen besonderen Quartierbaustein gerecht werden. Eine Vielzahl von Parametern musste bereits im Rahmen des Wettbewerbsverfahrens untersucht werden. Auch sollte ein Konzept entwickelt werden, das den Energieverbrauch auf ein Minimum reduziert.
Der effiziente Umgang mit grauer Energie musste mit verschiedenen Berechnungsmodellen bereits im Wettbewerb nachgewiesen werden. Materialien und Konstruktionsmethoden waren in Hinsicht auf den gesamten Lebenszyklus sorgfältig zu wählen. Um eine gute Ausgangslage für weitere Planungsschritte zu schaffen, war es zudem wichtig, sich mit der Grösse des Gebäudes, seiner Kubatur und dem Verhältnis von umbautem Raum zu Fassadenflächen auseinanderzusetzen. Darüber hinaus schien es uns unabdingbar, zu verstehen, welches die verschiedenen Anforderungen der einzelnen Funktionsbereiche sind und welche Rückschlüsse sich daraus ziehen lassen. Fragen nach unterschiedlichen klimatischen Notwendigkeiten im Inneren mussten beantwortet werden.
Aus der Summe dieser Untersuchungen hat sich schlussendlich ein Baukörper entwickelt, der kompakt, doch bei näherer Betrachtung differenziert ist und die inhaltliche Logik in der Anordnung der jeweiligen Funktionsbereiche exponiert.
Der Baukörper ist zunächst auf der Basis eines effizienten, sinnvollen und nachvollziehbaren Rasters der Primär-Tragkonstruktion entwickelt worden. Uns war wichtig, neben der Kompaktheit einen flexiblen Organismus anbieten zu können, der frei bespielt werden kann und wandelbar ist. Wir waren der Ansicht, dass ein zusammenhängendes Raumgefüge den baulichen Rahmen bilden muss, um das kommunikative Miteinander im Haus zu stimulieren.
Die im Raumprogramm beschriebenen Abteilungen und die geforderten Räume haben wir in ersten Überlegungen den Etagen zugeordnet. Einige Funktionen, etwa die Cafeteria und die Labors im Erdgeschoss sowie die Experimentierflächen im obersten Geschoss, sind weniger variabel. Für ihre Anordnung innerhalb des Gebäudes sind die Bezüge zur Umgebung wie Vorplatz oder Dachterrasse massgebliche Einflussfaktoren. Alles andere aber ist flexibel und kann verändert werden.
Mit seiner Zweigeschossigkeit dockt der Baukörper an das bestehende Silo an. Wir hoffen, dass unsere Idee, die obersten Etage des Silos mit einer Bar zu aktivieren, umgesetzt wird, sodass das neue Haus auch funktional mit Relikten der Brauerei in Dialog treten kann.
Visualisierung: moka-studio
Welche Qualitäten bieten die Innenräume?
Die konzeptionelle Idee war, zunächst nur die technisch notwendigen Einbauten wie Installationskerne, eine Fluchttreppe und die Stützen als feste, unverrückbare Elemente zu sehen. Alles Weitere sollte, wie bereits gesagt, leicht zu modifizieren sein.
Als vertikale Verbindung fungiert ein Atrium. Die darin angeordneten, leichten und filigran gestalteten Treppen verbauen den Raum nicht; viel Tageslicht dringt tief in die Innenräume. Wintergärten schaffen eine Verbindung zwischen Innen- und Aussenwelt. Sie sind üppig bepflanzt und dienen dem Gebäude als «grüne Lunge»; Aussenluft wird dort vortemperiert, ehe sie in das Innere des «Living Labs» strömt. An den geschossübergreifenden «Schaufenstern zur Stadt» und «interaktiven Ausstellungsvitrinen» kann die Öffentlichkeit das betriebsame Innenleben des Hauses ablesen. Die eingesetzten Materialien sowie die sichtbare Holzkonstruktion des Tragwerks und thermisch aktivierte Lehmdecken sorgen für eine angenehm wohnliche Atmosphäre.
Die Fassade muss hierzu einen bedeutsamen Beitrag leisten, sie ist keine Deko. Zunächst folgt ihre Ausgestaltung den Prinzipien der Tragstruktur und der Höhenstaffelung der einzelnen Ebenen im Inneren. Die einzelnen Fassadenelemente haben wir als Füllelemente konzipiert, die vorgefertigt in die Konstruktion eingesetzt werden. Je nach Himmelsrichtung und Orientierung werden sie individuell gewählt, sodass Tageslichtausnutzung und Sonnenschutz für alle Stellen am Gebäude perfekt abgestimmt werden konnten.
Feststehende Sonnenschutzelemente aus vertikal und horizontal angeordneten Lamellen besorgen nicht nur die Verschattung, sondern verleihen dem Baukörper auch eine feine Gliederung. Die Fassade ist ausserdem wandelbar und kann intelligent auf saisonale Anforderungen reagieren. Die transparenten, grossformatigen «Schaufenster»-Elemente lassen sie sich im Sommer öffnen.
Das Studienauftragsverfahren mit vier Teams lief von Januar bis Mai 2019. In dieser Zeit fanden auch zwei Zwischengespräche statt, an denen sich die Teams austauschen sollten, bevor die fertigen Projekte am 6. Juni 2019 vorgestellt wurden. Planungsbeginn war dann im November 2019, der Baubeginn ist für 2021 festgesetzt. Wenn alles gut geht, wird die Eröffnung 2023 sein.