Lessons learned?
Katinka Corts
12. Juli 2023
Kunle Adeyemi (NLÉ) und Hans Joachim Schellnhuber (Gründer Bauhaus Earth) (Foto: UIA World Congress of Architects 2023)
Vergangene Woche fand in der dänischen Hauptstadt der Weltkongress der Union Internationale des Architectes (UIA) statt. Diskutiert wurde die zukunftstaugliche und klimagesunde Neuausrichtung der Bauwirtschaft in Zeiten der Klimaerwärmung.
Dieser Beitrag wurde von german-architects.com übernommen.
Diagramme zur Klimaerwärmung, auf denen die Graphen nur eine Richtung zu kennen scheinen, kennen wir. Genauso wie Aussagen darüber, dass ein Tag der heisseste seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen ist. Oder ein rekordtiefer Wasserstand erreicht ist. Was Hans Joachim Schellnhuber bei seinem Vortrag am UIA World Congress of Architects in Kopenhagen zeigte, verstört anders. Mit den aktuellen weltweiten Massnahmen ist es nicht mehr möglich, die 2°C-Grenze zu unterschreiten. Kaum ist sie einzuhalten. Seine Prognose (Schellnhuber & Köllner, 2022): Starke Erwärmung, bis sich das Erdklima nach mehr als sieben Jahrzehnten ab 2100 von fast 2.5°C Erwärmung langsam wieder abkühlt. Auf die Frage der Moderatorin Connie Hedegaard, wie gut er denn «unsere Chancen sieht, dass das alles gelingt, antwortet er mit verschränken Armen: 20%. Seine Körpersprache lässt weniger erwarten.
Bjarke Ingels (BIG) mit Margrethe Vestager (EU Kommission) und Moderatorin Connie Hedegaard (Foto: UIA World Congress of Architects 2023)
Vertreter*innen aus 135 Nationen im GesprächEs ist eine Herausforderung, einen Kongress wie jenen des UIA angemessen in Worte zu fassen. Über drei Tage haben mehr als 400 internationale Fachleute aus aller Welt und aus zahlreichen Branchen wie Architektur, Gestaltung, Politik, Wirtschaft und Forschung Vorträge gehalten, an Podien gesprochen und diskutiert. Mit Teilnehmenden aus mehr als 135 Ländern bot der Kongress eine einzigartige Plattform für den Wissensaustausch. Die meisten Panels waren dabei so angelegt, dass sich eine moderierte Diskussion anschloss. Begleitend war es in den Hallen des Kopenhagener Bella Centers auch möglich, einzelne der Projekte genauer kennenzulernen sowie mit Vertreter*innen der Architektenkammern vieler Länder deren Schwerpunkte und Hauptthemen zu besprechen. In einigen dieser Länderpavillons wiederum konnte man an separaten Veranstaltungen teilnehmen. Ergänzend bot zum Beispiel das Danish Architecture Center (DAC) Stadtrundgänge an, bei denen die Stadtbaupolitik und aktuelle Entwicklungen der dänischen Metropole diskutiert wurden.
H.Y. William Chan (Oberbürgermeister der Stadt Sydney) und Nyasha Harper-Michon (UNStudio) mit Moderatorin Connie Hedegaard (Foto: UIA World Congress of Architects 2023)
Stadtentwicklung nach Süd und NordIm Kontext des Kongresses die städtischen Entwicklungen anzuschauen, ist lehrreich: Kopenhagen wächst schnell, monatlich ziehen konstant um die 1000 Menschen in die Stadt. Heute wohnen in der dicht besiedelten Metropole mehr als 650'000 Menschen, verteilt auf gerade mal 82 km2. Das sind unglaubliche 7878 EW/km2, zum Vergleich zählt Berlin 4172, Hamburg 2455 und München 4868 – die gebaute Dichte ist dementsprechend besonders in den neueren Stadtplanungen Kopenhagens omnipräsent. So entsteht südlich des Zentrums seit 30 Jahren auf 310 Hektar Land das Stadtviertel Ørestad auf der Insel Amager. Für den Masterplan dieser Stadterweiterung zeichnet das finnische Büro ARKKI verantwortlich (Wettbewerb 1994). Die relativ monotone Aneinanderreihung zahlreicher vielgeschossiger Wohn- und Geschäftsgebäude lässt jedoch schnell ein Gefühl von Schlafstadt aufkommen. Die Metro, die in Kopenhagen übrigens erst 2002 in Betrieb genommen wurde, fährt vollautomatisch und sehr regelmässig in diese doch sehr gesichtslose Umgebung.
Ein neuer, besserer Ansatz wird im Norden der Stadt verfolgt. Der ehemalige Freihandelshafen mit seinen alten Lagerhallen und Silos ist heute ein Ort, an dem gewohnt und gearbeitet wird. Den städtebaulichen Wettbewerb für den Masterplan hat das Büro Cobe 2008 gewonnen und darin nicht nur den Bebauungs- und Stadtteilplan gesetzt, sondern auch die Gestaltung des öffentlichen Raums, die Fahrradinfrastruktur und die U-Bahn-Stationen geplant. In diesem und in zwei weiteren Planungsgebieten im Norden der Stadt soll über die nächsten Jahre Wohnraum für insgesamt 100'000 Menschen geschafften werden, und zwar möglichst nachhaltig und inklusiv trotz hohem Preisniveau. Neben Luxuswohnbauten finden sich hier heute auch ein Studentenhaus, eine Recyclingstation und auf dem Dach des zentral liegenden Parkhauses ein Spiel- und Sportplatz (einen guten Eindruck zum Areal bekommt man auf der Projektseite von COBE).
Gut also, dass auch beim UIA-Kongress genau nach der nachhaltigen Zukunft gefragt wird und danach, wie alle Menschen Teil dieses Prozesses sein können. «Leave no one behind» – ist die Weiterführung des Titels und stellt alle gleichermassen vor das grosse Dilemma: An sich, so scheint es, ist es den meisten unserer Profession bewusst, dass nur das nachhaltige, ressourcenschonende und inklusive Bauen eine Zukunft haben kann, wollen wir ein gutes Leben in einer gesunden Umwelt für alle erreichen. Doch wie sieht die Realität aus? Während einige Redner*innen in ihrer Präsentation aufzeigten, wie sie selbst mit ihrer Architektur und in ihren Projekten auf die Herausforderungen der Klimaerwärmung und der steigenden Wasserspiegel reagieren, nutzten andere das Podium dafür, übergreifende Projekte bekannter zu machen und zum Mitmachen aufzurufen.
Reinier De Graaf (OMA), Anna Heringer (Studio Anna Heringer), Xu Tiantian (DnA_Design and Architecture), Jeanne Gang (Studio Gang) und Martha Thorne (Senior Advisor, The OBEL Award) (Foto: UIA World Congress of Architects 2023)
Die 10 Gebote: «Copenhagen Lessons»Zum Abschluss der Veranstaltung meldete die Pressestelle des UIA mehr als 6000 Teilnehmende. Doch was bleibt nach «Sustainable Futures – Leave No One Behind», nach vier Tagen Kongress? Zusammengefasst und verabschiedet wurden die «Copenhagen Lessons» – zehn Grundsätzen für einen schnellen und grundlegenden Wandel in der gebauten Umwelt, mit denen die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (SDGs) erreicht werden könnten.
Die zahlreichen vorgestellten Beispiele aus der Praxis haben gezeigt, dass es schon viele architektonische Lösungen gibt, die zu nachhaltigen Gemeinschaften beitragen. Diese zu fördern und bekannt zu machen, ist sicher ein wichtiger Aspekt, zugleich müssen sich alle Bauschaffenden und -finanzierenden endlich wirklich bewusst werden, welchen immensen Einfluss die Bauindustrie bezüglich der CO2-Emissionen hat und welche Abfallmengen damit einhergehen.
So wird in den zehn Leitsätzen gefordert, Inklusion und zirkuläres Bauen zur Bedingung zu machen, wo immer möglich zu sanieren statt neu zu bauen (und schon gar nicht auf bestehendem Grün- und Freiraum), kein Material einzusetzen, zu dem es keine Strategie für die Wiederverwendung gibt sowie lokale Materialien zu nutzen und keinen Abfall zu produzieren. Zuletzt heisst es, dass bei allem Gebauten die Kohlenstoffbindung den Kohlenstoff-Fussabdruck übertreffen muss und zudem jede mit dem Bau verbundene Aktivität einen positiven Einfluss auf die Wasserökosysteme und die Versorgung mit sauberem Wasser haben muss.
Natalie Mossin, die Präsidentin des UIA-Weltkongresses der Architekten 2023, erklärte dazu: «Die Ziele für nachhaltige Entwicklung legen eine entscheidende globale Agenda fest, zu der die gebaute Umwelt beitragen muss. Die Art und Weise, wie wir dabei vorgehen, muss mutig sein – sogar radikal, verglichen mit der derzeitigen Praxis. Mit den Copenhagen Lessons stellen wir zehn Grundsätze dafür vor, was das bedeutet, wenn wir die bebaute Umwelt bauen, planen und entwickeln. Die Gesundheit des Planeten und die Grundbedürfnisse der Menschen stehen auf dem Spiel, wir haben keine Zeit zu verlieren».
Natalie Mossin, Präsidentin des UIA-Weltkongresses der Architekten 2023 (Foto: UIA World Congress of Architects 2023)
Optimistisch in die Zukunft?Es geht heute nicht mehr darum, ein Schreckensszenario zu zeichnen, dass in nur sehr geringer Wahrscheinlichkeit so eintreten wird. Wir kommen nicht mehr um den steigenden Meeresspiegel herum, genauso wenig um die damit einhergehenden Migrationen, die bestenfalls sinnvoll, übergreifend und rechtzeitig geplant werden sollten. Seit April 2023 erreicht laut Climate Reanalyzer die durchschnittliche Oberflächentemperatur der Ozeane einen neuen Höchststand, die 21°C-Grenze ist überschritten worden. Ozeane nehmen überschüssige Wärme aus der Luft auf und speichern sie für lange Zeit. Eine Abkühlung bei einer sich aufheizenden Atmosphäre ist so, als wolle man heisses Wasser an einem heissen Sommertag abkühlen.
«Business as usual» kann zukünftig keine Option mehr sein, denn damit geht eine Erwärmung von mindestens 3°C bis 2100 einher. Was das bedeutet? Bei 1–3°C Erwärmung sind bereits die Eisschilde in Nord und Süd stark gefährdet, genauso wie die alpinen Gletscher und die Korallenriffe. Das damit einhergehende vollständige Abschmelzen des arktischen und antarktischen Eises liesse, das hat National Geographic bereits 2013 publiziert, die meisten unserer grossen küstennahen Städte in Europa verschwinden – darunter Amsterdam, London, Lissabon, Odessa und Kopenhagen –, genauso aber auch Mumbai, Kalkutta, Bangkok, Shanghai und Peking. Millionenstädte, deren Einwohner auf der Suche nach einer sicheren Bleibe migrieren.
Es gilt also, das einzugrenzen, was möglich ist. Nach dem CO2-neutralen Fussabdruck steht der CO2-positive, Bauten (und so viele Dinge wie noch möglich) also als Kohlenstoffbinder einzusetzen. Es geht dabei nicht um energieintensive Carbon-Capture-Methoden, sondern um einen neuen, noch präziseren Blick auf das Bauen an sich. Inwieweit die anwesenden Bauschaffenden das Gehörte in ihre Praxis werden tragen können, ist fraglich. Auch wenn zahlreiche Wirtschaftsvertreter*innen und politisch Aktive vor Ort waren, kam manchmal das Gefühl auf, dass hier nicht ganz genau vor dem richtigen Publikum referiert wird. Die Kompetenz, Fragen der Klimaneutralität und CO2-Positivität im Alltag zu diskutieren, brauchen Bauherrschaften, Städte, Kommunen und Länder. Diese müssen sich künftig dafür einsetzen – besser: es aktiv einfordern! –, dass das Bauen alle und alles inkludiert und keine Abstriche bei Materialwahl, Ressourcenschonung und Ökosysteme gemacht werden.
Hans Joachim Schellnhubers Worte zu Anfang seines Vortrages passen insofern hier auch als Schluss: «Wissen Sie eigentlich, was gerade los ist?»