Die Bauwende geht alle an
Elias Baumgarten
1. Februar 2024
Foto: Nadia Bendinelli, inedito
Mit «Refuse, Reduce, Re-use, Recycle, Rot» zeigt das Vorarlberger Architektur Institut Wege zu einer umweltfreundlichen Baukultur. Die Schau ist nicht nur für Fachleute konzipiert. Alle sind eingeladen, zu lernen und über das wichtige Thema nachzudenken.
Mittlerweile machen sich erfreulich viele Architektinnen und Architekten für eine neue Art des Bauens stark, bei der Herstellung und Transport von Baumaterialien mitgedacht werden. Immer öfter entstehen qualitätsvolle Umbauen. Bisweilen wird auch ein Abriss-Stopp gefordert, in Deutschland zum Beispiel verlangten über 170 Expertinnen und Experten in einem offenen Brief an die Bundesbauministerin Klara Geywitz ein Abriss-Moratorium. Doch tiefgreifende Veränderungen können nur mit der Unterstützung grosser Teile der Bevölkerung gelingen. Die Diskussion über eine umweltfreundliche Baukultur darf darum keine Debatte unter Fachleuten bleiben. Dazu leistet das Vorarlberger Architektur Institut (vai) einen wertvollen Beitrag: Mit der Ausstellung «Refuse, Reduce, Re-use, Recycle, Rot» zeigt dessen Team Strategien für ein klimagerechtes Bauen und richtet sich dabei nicht nur an ein Fachpublikum. Die Niederschwelligkeit, mit der das wichtige Thema präsentiert wird, fällt sofort positiv auf: Die Ausstellungstexte sind allgemeinverständlich geschrieben und verlangen kaum Vorwissen, der Aufbau der Schau ist glasklar, und überall versteckte Zeichnungen des Schweizer Künstlers Beni Bischof bringen eine erfrischende Prise Humor. Schade nur, dass die Beiträge schwer lesbar sind: Auf alte Fenster geklebt, verschwimmen die Buchstaben mit ihren Schatten.
Foto: Nadia Bendinelli, inedito
Foto: Nadia Bendinelli, inedito
Doch der Reihe nach: Entwickelt wurde die Schau von Clemens Quirin, der mich bei meinem Besuch herumführt. Sie gliedert sich in fünf thematische Abschnitte – eben «Refuse», «Reduce», «Re-use», «Recycle» und «Rot». Auf drei möchte ich hier eingehen. Vorgestellt werden jeweils Projekte und Initiativen, die aufzeigen, wie ein umweltfreundliches Bauen aussehen könnte. Auch wird klar, an welchen rechtlichen und wirtschaftlichen Stellschrauben gedreht werden müsste, damit die Bauwende gelingen kann. Besonders geblieben ist mir die Station «Refuse»: Zwischen 1971 und 2021 hat sich Österreichs Gebäudebestand um 85 Prozent vergrössert, während die Bevölkerung im selben Zeitraum nur um 20 Prozent wuchs. Das geht aus neuen Zahlen hervor, die Statistik Austria, Österreichs Amt für Statistik, gerade vorgelegt hat. Braucht es angesichts dieser Zahlen überhaupt noch Neubauten? Clemens Quirin bezweifelt das und sieht Handlungsbedarf: Er fordert, dass Gebäude in Zukunft nur noch mit ausdrücklicher Genehmigung abgebrochen werden dürfen. Auch eine steuerliche Bevorzugung von Sanierungen könne helfen, meint er. Zurzeit aber genügt es in Vorarlberg, den Behörden einen geplanten Abbruch zu melden. Anders als im benachbarten Liechtenstein übrigens, wo Abrisse schon heute genehmigungspflichtig sind. Auch wenn, wie eingangs angedeutet, jüngst vermehrt qualitätsvolle Umbauten entstehen, bleibt also noch viel zu tun. In der Schau rückt der Kurator deshalb die vom Architekturkollektiv b+ angestossene Initiative «House Europe!» in den Fokus. Über das basisdemokratische Instrument einer Europäischen Bürgerinitiative sollen gesetzliche Massnahmen für eine europaweite Bauwende durchgesetzt werden.
Überall in der Schau gibt es Zeichnungen des Schweizer Künstlers Beni Bischof zu entdecken. (Foto: Nadia Bendinelli, inedito)
Die Bildchen bringen eine erfrischende Prise Humor in die Ausstellung, zuweilen sind sie auch als Kritik an der Bauwirtschaft zu lesen. (Foto: Nadia Bendinelli, inedito)
Wollen wir graue Energie einsparen und die Treibhausgasemissionen senken, liegt ein grosser Hebel darin, gebrauchte Bauteile wiederzuverwenden. Zum Beispiel fiel die CO2-Bilanz der Aufstockung der Halle 118 von baubüro in situ in Winterthur, eines der momentan bekanntesten Re-use-Projekte, um 60 Prozent besser aus als bei einem vergleichbaren konventionellen Bauwerk. Doch obwohl inzwischen gelungene Projekte wie dieses oder der Co-Working-Space «Impact Hub Berlin» der deutschen Architektinnen Margit Sichrovsky und Kim Le Roux entstanden sind, bleibt Re-use bisher auf wenige Vorzeigebauten beschränkt. Das ist erstaunlich, bedenkt man, dass die Wiederverwendung von Bauteilen über die ganze Baugeschichte hinweg üblich war. Erst mit der Industrialisierung geriet sie in Vergessenheit. Warum also wird Re-use nur so langsam wieder gängige Praxis? In der Schau kann man einige Hemmnisse kennenlernen, die Architekturschaffende bei der Planung von Re-use-Projekten ausbremsen: Die Genehmigungsverfahren müssen erst noch auf den veränderten Planungsprozess abgestimmt werden, bei dem vorzu Anpassungen der Pläne nötig sind, weil stets berücksichtigt werden muss, welche Bauteile gerade verfügbar sind. Auch Normen und Zertifikate bereiten Probleme. Nicht immer genügen alte Teile aktuellen Anforderungen – was zum Beispiel tun, wenn das passende Fenster nur mit Zweifachverglasung zu haben ist? Auch fehlt es gerade in Österreich noch an Bauteilbörsen und entsprechender Logistik. Und so müssen sich Architektinnen und Architekten meistens auf eigene Faust auf Bauteiljagd machen. Clemens Quirin weist ausserdem darauf hin, dass sich Re-use heute im Wesentlichen auf Elemente wie Fenster, Türen oder Waschtische beschränke. Die Wiederverwendung tragender Bauteile werde hingegen erst noch erforscht.
Am Architektur-Departement der Universtität Liechtenstein ist «Upcycling» ein Schwerpunktthema in der Ausbildung. Im Wintersemester 2022/23 untersuchten Studierende im Zuge des Forschungsprojekts «Erneuerbare Architektur» hypothetisch Abriss und Deponierung ihres eigenen Universitätsgebäudes in Vaduz. (Foto: Nadia Bendinelli, inedito)
Im vai sind die Ergebnisse der Liechtensteiner Forschungsarbeit zu sehen. Demnach würden nach heutigen Regularien 1200 Mulden Abfall entstehen. Bereits durch wenige Anpassungen an den geltenden Vorschriften könnte, so zeigten die Studierenden, die Recycling-Quote um 20 Prozent gesteigert werden. Die Abfallmenge würde auf 1000 Mulden sinken. Würde man auch tragende Bauteile wiederverwenden, liesse sich sogar eine Verbesserung auf nur noch 500 Mulden schaffen. (Foto: Nadia Bendinelli, inedito)
Besonders interessant fand ich auch den Abschnitt «Rot». Hier geht es um Naturbaustoffe, die verrotten können. Schnell kommt mir dabei Holz in den Sinn, doch das ist ein Trugschluss: Gerade die Verwendung von Leim führt dazu, dass die meisten Holzbauteile nur thermisch verwertet werden können. Von Bakterien und anderen Mikroorganismen zersetzt werden kann Holz tatsächlich nur, wenn es unbehandelt verbaut wird, wie es zum Beispiel beim Aussichtsturm im Hardwald bei Zürich von Nadja und Lukas Frei der Fall ist. Grosses Potenzial bietet indes Stampflehm, der aus lokalem Aushubmaterial hergestellt werden kann. In der Schau ist das Projekt «Erden Wohnen» der Vorarlberger Firma Lehm Ton Erde des Lehmbaupioniers Martin Rauch zu sehen. Unterstützt vom Land Vorarlberg und dem Energieinstitut Vorarlberg werden dabei Wohnbauten aus Stampflehm erforscht. In einem kooperativen Verfahren wurden drei Entwürfe für ein Doppelhaus erarbeitet. Alle wiesen eine hervorragende Umweltbilanz auf, doch die Baukosten, erklärt Clemens Quirin mit sichtbarer Ernüchterung, überstiegen jene eines konventionellen Projekts um rund 30 Prozent. Hoffnungsvoll stimmt ihn aber das Bürohaus «Hortus», das bis 2025 im Auftrag des Immobilienunternehmens SENN in Allschwil gebaut wird. Bei diesem Projekt arbeitet Lehm Ton Erde mit dem Schweizer Holzbauer Blumer Lehmann zusammen. Der von Herzog & de Meuron entworfene Holz-Lehm-Verbundbau sei nicht nur ökologisch, sondern auch wirtschaftlich vielversprechend, meint der Kurator.
Foto: Nadia Bendinelli, inedito
Foto: Nadia Bendinelli, inedito
«Refuse, Reduce, Re-use, Recycle, Rot» ist ganz klar eine Reise nach Vorarlberg wert. Die besondere Leistung des vai-Teams besteht darin, das Thema für alle interessant und verständlich darzustellen – nicht nur für Architektinnen und Architekten. Denn nur wenn sich sehr viele Menschen für die Umweltbilanz der Häuser interessieren, in denen sie leben, entsteht Handlungsdruck für die Politik. Dafür braucht es in nächster Zeit wohl noch viel Vermittlungsarbeit. Denn noch leben wir in einer Gesellschaft, in der schnelles Geld im Zweifel oft mehr zählt als nachhaltiges Handeln und in der es vielen Menschen doch sehr schwerfällt, selbst zu verzichten und mit weniger zufrieden zu sein, statt dies nur von anderen zu verlangen.
Das Vorarlberger Architektur Institut (vai) gehört zu den wichtigsten Plattformen für den Architekturdiskurs und die -vermittlung in Österreich. Das Ziel der Institution ist die Stärkung der Baukultur im Bundesland Vorarlberg. Expertinnen und Experten sollen durch das vai vernetzt werde, Interessierten, Kindern und Jugendlichen möchte das Team ein baukulturelles Bildungsangebot machen. Die Trägerschaft ist ein gemeinnütziger Verein, Verena Konrad leitet das vai seit über zehn Jahren als Direktorin.
Das vai hat seinen Sitz in Dornbirn in der Marktstrasse 33. Die Öffnungszeiten sind dienstags bis freitags von 14 bis 17 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr und samstags von 11 bis 15 Uhr. Von der Schweiz aus ist das vai mit den öffentlichen Verkehrsmitteln beispielsweise via Bregenz gut zu erreichen. Die Ausstellung «Refuse, Reduce, Re-use, Recycle, Rot» dauert noch bis zum 24. Februar.