Kronenhalle vs. Krönlihalle

Jenny Keller
22. April 2015
Original oder Hommage? Bild: @ Kronenhalle

Die Initianten luden von Donnerstag bis Sonntag zu Vernissagen. Denn das Projekt «Krönlihalle» war ein Kunstprojekt – und zog eine Meute an, die man sonst auch an Galerie-Eröffnungen antrifft. Es waren auch Architekten unter den Gästen auszumachen oder – in den Worten der NZZ vom 6. November 1965 anlässlich der Eröffnung des Originals – «Künstler, Literaten und solche, welche die Künstler und Literaten treffen oder auch nur respektvoll von ferne betrachten wollen».

Es war etwas enger in der Krönlihalle-Bar als im Original. Bild: David Willen

Doch wie will man über das Plagiat schreiben, ohne das Original zu kennen? Seit 50 Jahren hat sich die Kronenhalle-Bar nicht verändert.* Wer durch den Eingang der legendären Bar an der Rämistrasse 6 oberhalb des Bellevue in Zürich tritt, taucht ein in eine gedämpfte Realität, tauscht das grelle Sonnenlicht und den Stadtlärm gegen eine stilvolle, dunkle und diskrete Welt ein, die so zeitlos scheint wie das Interieur der Bar. Seit 1965 hat die Kronenhalle-Bar – die vom US-Magazin Newsweek in den Achtzigerjahren zu einer der 50 weltbesten Bars gekürt wurde – ab mittags um halb zwölf bis Mitternacht geöffnet. Und obwohl man sich nicht im Kunsthaus befindet (aber auf dem Weg dorthin), steht man vor einem Picasso, Miró, Chagall oder Braque, der von Leuchten aus der Feder von Alberto und Diego Giacometti erhellt wird.

Ebenfalls gross in den Achtzigerjahren waren die Architekten und Gestalter Robert und Trix Haussmann, letzterer hat die Bar für den Auftraggeber Gustav Zumsteg, Sohn der Kronenhalle-Wirtin Hulda Zumsteg, 1965 eingerichtet. Kurz darauf traf er seine zukünftige Frau Trix, eine ausgebildete Architektin. Sie heirateten 1967 und gründeten dann das  Designstudio «Die allgemeine Entwurfsanstalt».

Das Mahagoni ist hier echt und die Spirituosenauswahl grösser. Bild: © Kronenhalle

Der Sohn der Patronne wollte mit der Bar ein jüngeres Publikum für die Kronenhalle gewinnen. Und «sans pareil»1 sollte die Bar sein. Gustav Zumsteg und Robert Haussmann hatten beide Adolf Loos’ American Bar an der Kärntner Strasse in Wien im Kopf, als es um das Interieur der neuen Bar ging. Mahagoni sollte das Material sein für die Bar, die Täfelung und die Decke, grünes Rindsleder für die Sofas und Sessel, und an die Wände spannte Haussmann ein grünes Militärtuch. Ein dunkles Tropenholzparkett mit Patina, das aus der Londoner County Hall stammte, wurde zur Bühne für ebendiese Künstler und Literaten – oder Architekten. Haussmann soll den Auftrag erhalten haben, weil er mit seiner Clique oft in der «Kronenhalle» gesehen wurde, wo ihm Frau Zumsteg stets einen freundschaftlichen Rabatt gewährte. «Wie viele seiner Bekannten, Schauspieler, Maler und Schriftsteller pflegt Haussmann einen grossen Teil seiner arbeitsfreien Zeit zwischen Kronenhalle, Odeon, Select und Bodega pendelnd zu verbringen.»2

Der erste Barmann wird 1965 vom Baur au Lac abgeworben, und dieser, Paul Nüesch mit Namen, erhält von Haussmann, der gerade seine erste Bar entwirft, einen «Massanzug». Sämtliche Details werden nach seinen Wünschen entworfen. Diego und Alberto Giacometti, mit dem Bauherr bekannt, kreierten die Leuchter auf dem Tresen, die Hängeleuchten an der Fensterfront, die Tischfüsse und den Griff der Eingangstür. Der heutige Barkeeper, Peter Roth, der seit 30 Jahren ebenfalls zum klassischen Inventar gehört, hat für seine Cocktail-Kreationen schon zahlreiche Preise gewonnen und soll selbst am liebsten einen Gin and Tonic (mit Tanqueray) trinken.

Fast zu gut um wahr zu sein. Bild: David Willen

Heute, oder besser vergangenen März, waren die Künstler und Literaten also im Plagiat in Zürich-West anzutreffen, wo der Gin and Tonic mit Tanqueray gereicht und der Champagner in Ikea-Gläsern serviert wurde und man vor der ersten Drink-Bestellung Member werden musste, da das Künstlerkollektiv keine Lizenz für den Alkoholausschank besass. Die Krönlihalle-Bar sei alles, was die Kronenhalle-Bar nicht ist, sagen die Initianten: billig, trashig und temporär. Das Kollektiv stellte die Bar mit günstigsten Materialien nach, als Raum im Raum – und als Hommage an die 1965 erbaute Bar von Robert Haussmann. Die Krönlihalle-Bar war nicht nur von der Szene gut besucht, über sie wurde auch viel geschrieben – man durfte aber erst nach dem Ende der «Ausstellung».

So prophezeite die Kulturjournalistin der Sonntagszeitung, Eva Hess, auf ihrem Blog: «Ich bin sicher, dass das Kunstprojekt ‹falsche Kronenhalle›, dieses Wunderding aus Tapete und Plastik, in einer nicht allzu fernen Zukunft im Museum landet.» Sie sollte falsch liegen, denn es wurde vom Kollektiv bestätigt, dass das Projekt von Anfang an temporär (die zeitliche Vergänglichkeit sei ebenso wichtig wie die Vergänglichkeit des Materials) angelegt worden war, und kein Neuaufbau stattfinden wird. Das Plastik-Mahagoni landete also im Hagenholz, die nachgemalten Bilder und die Leuchten verbleiben im Besitz des Kollektivs – und sind nicht zu ersteigern.

«Billig, trashig, temporär». Bild: David Willen


Einziger Trost, für alle, die das Happening verpasst haben: Das Projekt wird in Buchform dokumentiert, das Erscheinungsdatum ist auf August 2015 geplant. Und das unvergleichliche Original steht nach wie vor von halb zwölf bis Mitternacht an der Rämistrasse 6 jedem und jeder offen.


Weiterlesen
1) Kronenhalle Bar - Drinks & Stories, Peter Roth, Carlo Bernasconi, Orell Füssli Verlag, 2009, ISBN 978-3-280-05364-5

2) Kronenhalle Zürich, Hrsg. Karin Giger, Orel Füssli Verlag, 2005, ISBN 978-3-280-06059-9

3) Die Krönlihalle-Bar und die Roth-Bar, NZZ vom 7. April 2015

 *«Es trifft zu, dass Diego Giacometti für die berühmte Zürcher «Kronenhalle»-Bar die Stehleuchten auf der Bartheke sowie die Hängeleuchten vor den beiden Fenstern gestaltet hat. Letztere waren ursprünglich als Hintergrund mit dreifach gerafften, silbrigen Chintz-Vorhängen versehen. Vor einigen Jahren sind diese leider durch weisse Flachvorhänge mit Plastikperlen-Zugketten ersetzt worden, welche den Charme von Ikea-Interieurs ausströmen. Es ermangelte dem für diese Verunstaltung verantwortlichen Stiftungsrat offensichtlich an Anstand, meine diesbezügliche höfliche Anfrage zu beantworten. Lediglich von den für die Gestaltung dieses Gesamtkunstwerkes der wohl schönsten Bar der Schweiz verantwortlichen Architekten, Trix & Robert Haussmann, ist zum Neujahr ein Brief eingetroffen – mit Foto der Fenster im vorherigen Zustand.» Aus einem Leserbrief von Gunnar Jauch, dipl. Architekt, Zürich, in der Weltwoche vom Dezember 2014

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