Hamlet und die Kunst
Susanna Koeberle
20. de febrer 2019
Im ersten Raum simulieren Teppichfragmente, Möbel sowie Vorhänge eine Art Barsituation. Bild: Flavio Karrer
Ein neuer Kunstraum in Oerlikon bietet mit sechs bis sieben Ausstellungen pro Jahr Kunstschaffenden, die noch am Anfang ihrer Karriere stehen, eine Bühne.
«Die Zeit ist aus den Fugen», heisst es in Shakespeares Hamlet in der bekannten Szene, in welcher der Prinz dem Geist seines Vaters begegnet. Was im 17. Jahrhundert galt, ist auch jetzt noch wahr. Wer kann diese aus den Fugen geratene Welt wieder richten, ihre Bruchstücke zusammenfügen? Die Kunst vielleicht? Oder bestünde ihre Aufgabe gerade darin, eine Erzählung zu liefern, welche diese Fragmente sichtbar und damit erst verständlich macht? Ermöglicht die Kunst einen neuen Blick auf unsere Zeit? Der Ende 2018 eröffnete Kunstraum Hamlet möchte Raum schaffen dafür. Zum einen, indem die drei Initiatoren dieses Offspaces Künstlern und Künstlerinnen, die noch am Anfang ihrer Karriere stehen, eine Bühne bieten, zum anderen arbeitet gerade die Eröffnungsausstellung do ghosts still believe in us stark mit Erzählungen und Fragmenten. Die in Zürich lebende Künstlerin Martina Mächler bespielt die vier Räume mit einer ortsspezifischen Installation, welche verschiedene Elemente beinhaltet. Betritt man das erste Zimmer, fallen flickenartig ausgelegte Teppichstücke ins Auge. Sie bilden in den spärlich mit einigen Plastikstühlen eingerichteten Räumlichkeiten eine erste Orientierung fürs Auge. Denn man erkennt bald einmal, dass sich diese blauen Fragmente in den anderen Räumen fortsetzen.
63 Kunstschaffende gestalteten Vogelhäuschen für den Aussenraum. Bild: Flavio Karrer
Diese befinden sich im obersten Stock eines Gebäudekomplexes aus den 1980er-Jahren, das der Stadt Zürich gehört. Seit einiger Zeit vermietet sie Kunstschaffenden dort Räume zu günstigen Konditionen. Betrieben wird der Kunstraum von den Künstlern Cathrin Jarema und Clifford E. Bruckmann sowie der Soziologin Andrea Abegg Serrano. Als Start in ihre Aktivitäten hatten sie eine besondere Idee: Sie luden mehrere befreundete Künstlerinnen und Künstler ein, für Hamlet Vogelhäuschen zu kreieren, die sie auf der Terrasse der ehemaligen Waschküche platzierten. Die Sache sprach sich herum, sodass am Ende 63 Kunstschaffende mitmachten und die Aussenräume in ein regelrechtes Vogelparadies verwandelten. Die Artefakte variieren zwischen ironischem Kommentar und ernst gemeinter Behausung für unsere gefiederten Freunde. Die Häuschen nehmen Bezug auf die Wohnumgebung und behandeln das Thema Schutz auf ganz unterschiedlichen Ebenen.
Doch zurück zur aktuellen Ausstellung. Auch sie kann als Versuch verstanden werden, unser irdisches Dasein und unsere Lebensentwürfe zu reflektieren. Die Teppichstücke sind zwar Fragmente, fordern uns aber gleichzeitig dazu auf, ihnen zu folgen und die Räume zu erkunden. Unterstützend bei dieser Bewegung wirkt die klangliche Ebene: Aus verschiedenen Boxen hören wir eine Stimme, die unverhofft verstummt und auf fast gespenstische Weise weiter erklingt. Bis wir merken, dass sich die Tonspur in einem anderen Raum fortgesetzt hat. Dies würde dazu verführen, aus den einzelnen inhaltlichen Elementen eine kohärente Erzählung zu konstruieren. Und die gibt es in der Tat auch. Wenn man sich die Mühe nimmt, zu verweilen und der weiblichen Icherzählerin (der Künstlerin selbst) zuzuhören, erschliesst sich eine Art Geschichte.
Ausstellungsansicht «do ghosts believe in us». Bild: Flavio Karrer
Begleitet wird diese klangliche Ebene durch zwei Videos, wobei bruchstückhaft erkennbar wird, dass das Erzählte und das Gesehene teilweise übereinstimmt. Es geht mitunter um eine Kunststofffabrik am Zürichsee, in der die Künstlerin selber gearbeitet hat. Dabei verwebt Mächler dieses biographische Moment mit universellen Fragestellungen. Diese unterschiedlichen Szenarien erhalten dadurch eine doppelte Bedeutung. Persönliche und kollektive Inhalte vereinen sich zu einem Diskurs, der sich nur durch Bruchstücke erschliessen lässt. Als unvollständiger Widerhall einer Stimme. Wer spricht hier? Sind es Geister? Und glauben Geister an uns? Schaffen sie durch diesen Glauben erst unsere Realität? Ist Hamlet immer noch unter uns?