Schwerkraft sichtbar gemacht

Susanna Koeberle
6. September 2022
Jose Dávila, «The Act of Being Together», 2022, Installationsansicht, Museum Haus Konstruktiv (Foto: Stefan Altenburger; mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und der Sean Kelly Gallery, New York, der König Galerie, Berlin / London / Seoul, der Galleri Nicolai Wallner, København, der Galería OMR, Ciudad de México, und der Travesía Cuatro, Madrid)

In Charles Baudelaires (1821–1867) Gedicht «Correspondances» wird die Natur als Tempel mit lebendigen Säulen beschrieben: «Die Natur ist ein Tempel, wo aus lebenden Säulen zuweilen wirre Worte dringen / der Mensch geht dort durch Wälder von Symbolen, die ihn mit vertrauten Blicken beobachten». Mit diesen Worten könnte man auch José Dávilas Rauminstallation «The Act of Beeing Together» im Haus Konstruktiv beschreiben. Der mexikanische Künstler interessiert sich für die Beziehung zwischen Natur und Kultur. Dabei fokussiert er stark auf die Ähnlichkeiten – oder eben Korrespondenzen – dieses vermeintlichen Gegensatzpaars. Beim Betreten der grossen Halle hat man in der Tat das Gefühl, in eine Art Wald zu gelangen; allerdings könnte es sich ebenso um einen Stadtdschungel handeln, um einen menschengemachten Wald also. Diese Ambivalenz ist so vom Künstler gewollt. Dazu trägt auch die Wahl der Materialien Stahl und Stein bei, die diese Dichotomie von Natur und Kultur versinnbildlichen. 

Was die raumgreifende Skulptur ebenso vorführt, ist die Wirkung der Schwerkraft auf die Materie beziehungsweise ihre Aufhebung im Kunstwerk. Die am Boden liegenden Gesteinsbrocken und die aufrechten Stahlträger sind durch dünne Stahlseile miteinander verbunden. Es ist, als würden sich die darauf wirkenden Kräfte gegenseitig aufheben, um eine prekäre Balance zu erzeugen. Dávila versteht scheinbar etwas von Statik, was angesichts seiner Ausbildung zum Architekten kaum erstaunt. Doch neben rein physikalischen Koordinaten spielen bei ihm auch symbolische Aspekte eine zentrale Rolle. Mit dem Zusammenwirken von Kräften, das er uns hier vorführt, verweist der Künstler auf eine philosophische Ebene.

Darauf deutet der im Titel beschworene «Act of Beeing Together» hin, mit dem Dávila auch auf die Situation der letzten zwei Jahre Bezug nimmt. Das städtische Gefüge, das sonst Ort der Begegnung ist, wurde durch die Isolation während der Pandemie zu einem entrückten Raum. Vielleicht entstand gerade so die Möglichkeit, die gebaute Umwelt in ihrer Fremdheit und Künstlichkeit wahrzunehmen. Oder zu verstehen, wie eng soziale und urbane Kontexte miteinander verflochten sind. Jose Dávilas Installation zeigt uns, dass es eben nicht genügt, das «Zusammen» nur auf einer Ebene anzusiedeln. Indem der Künstler kulturelle Artefakte mit Naturphänomenen kombiniert, erschafft er gleichsam eine planetarische Dimension, eine Dimension eben, in der es keine einzelnen Entitäten gibt, sondern multiple Zusammenhänge.

Jose Dávila, «Memory of a Telluric Movement», Ausstellungsansicht, Museum Haus Konstruktiv, 2022 (Foto: Stefan Altenburger)

Auch andere Werke nehmen das Thema der Balance und das Verschmelzen von Disparatem auf. In der Säulenhalle im oberen Stock treffen Besucher*innen auf eine Art Skulpturenlandschaft. Die Assemblagen von alltäglichen Objekten, Steinen und  architektonischen Elementen erinnern auch an Totems, die für unsere materielle Welt stehen. Die Titel – etwa «Collaborating together despite our differences» oder «Our similarities bring us to a common ground» – legen Spuren, die Werke sprechen aber für sich selbst. Manchmal halten Gurte oder Seile die Dinge zusammen und wir spüren instinktiv, dass dieses Gleichgewicht jederzeit verloren gehen könnte. In einem anderen Saal hängt an der Wand hinter der Skulptur «Will has moved mountains» die Malerei «Memory of a Telluric Movement», die auch der Ausstellung den Titel gab. Zu sehen sind nebeneinander fünf hochformatige Leinwände in Rot, wobei die vierte – leicht nach unten versetzt – aus der Reihe tanzt. Dieses «Verrücktsein» wird zusätzlich durch eine farblich abgesetzte Quadratform betont, deren rechte obere Ecke in die fünfte Leinwand hineinragt. 

Sowohl die zweidimensionalen als auch die räumlichen Arbeiten des Künstlers sind Metaphern für die prekäre Lage, in der wir uns heute befinden. Nicht erst die Pandemie oder der Ausbruch eines Krieges in Europa hätten uns deutlich machen müssen, dass wir über Jahre das Tellurische – eben unsere Erde – einfach für gegeben annahmen; in Wahrheit sind wir Menschen Teil eines Ganzen und nichts ist so gegeben. Jose Dávila führt uns vor, wie schnell Dinge aus dem Lot geraten können. Und dass das Ausblenden der tellurischen Kräfte gefährlich ist.

Jose Dávila, «Memory of a Telluric Movement», Ausstellungsansicht, Museum Haus Konstruktiv, 2022 (Foto: Stefan Altenburger)

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