Ein Raum auf Reisen
Susanna Koeberle
31. de març 2021
Installationsansicht, Lydia Ourahmane, «Barzakh», Kunsthalle Basel, 2021 (Foto: Philipp Hänger / Kunsthalle Basel)
Die Kunsthalle Basel zeigt eine installative Arbeit von Lydia Ourahmane. Das ausgestellte Mobiliar stammt aus der Wohnung, welche die Künstlerin die letzten zwei Jahre in Algier bewohnte. Was geschieht, wenn Materie auf diese Weise neu zusammengefügt wird?
Dass der Ort, den wir bewohnen, ein Ort der Zuflucht und der Geborgenheit sein kann, ist nicht selbstverständlich. Doch Heimat ist definitiv ein Thema, das uns alle betrifft. Ein Grund mehr, vermeintliche Gewissheiten diesbezüglich infrage zu stellen. Die Ausstellung «Barzakh», die zurzeit in der Kunsthalle Basel zu sehen ist, lädt dazu ein. Wie schreibt sich das Gefühl von Heimat oder Zugehörigkeit in Orte oder gar Objekte ein? Was passiert mit Gegenständen, wenn sie ihrem gewohnten Kontext entrissen werden? Und was definiert überhaupt, was wir ein Zuhause nennen? Für ihre erste institutionelle Ausstellung in der Schweiz schlug die Künstlerin Lydia Ourahmane (*1992) etwas Ungewöhnliches vor: Sie liess das gesamte Mobiliar, Geschirr, Haushaltsgeräte und andere Objekte inklusive der Eingangstüre der Wohnung, die sie zwei Jahre lang bewohnt hatte, von Algier nach Basel bringen. Diese wiederum hat eine besondere Geschichte, denn als die Künstlerin einzog, war die Wohnung noch vollständig möbliert. Ein Grossteil der Habseligkeiten der kürzlich verstorbenen Bewohnerin befand sich noch dort. Die Künstlerin, die zwar in Algerien geboren wurde, aber schon länger fern ihrer «Heimat» lebt, richtete sich vorsichtig in diesen gelebten Räumen ein, als wollte sie die bestehende Ordnung nicht stören. Ihr Körper nahm die Gesten auf, welche die vorgefundenen Alltagsgegenstände vorgaben, Ourahmane machte sich durch sie heimisch: Es entstand eine Art gespenstisches Zwiegespräch zwischen dem Fremden und dem Eigenen, zwischen materieller und geistiger Ebene.
Installationsansicht, Lydia Ourahmane, «Barzakh», Kunsthalle Basel, 2021 (Foto: Philipp Hänger / Kunsthalle Basel)
Befremden erfasst Besucher*innen, wenn sie die Räume der Kunsthalle betreten. Das unangenehme Gefühl, in einen privaten Raum einzudringen, wird zusätzlich durch ein merkwürdig knisterndes Geräusch verstärkt. Die Quelle dieser Töne scheinen die gläsernen, dunklen Skulpturen zu sein, die auf verschiedenen Möbelstücken platziert sind. Inspiration für ihre Form bildeten Langschädel, auch Turmschädel genannt, eine geheimnisvolle und in unterschiedlichen Kulturen gängige Praxis, bei der die Schädelform beeinflusst wurde. Offenbar soll dadurch eine grössere Nähe zu den Geistern entstehen. Das zu wissen ist nicht zwingend notwendig, die Objekte wirken auch so wie unheimliche Fremdkörper. Sie stehen gleichsam für die versteckten Geschichten hinter den Dingen, die wir sehen.
Installationsansicht, Lydia Ourahmane, «Barzakh», Kunsthalle Basel, 2021 (Foto: Philipp Hänger / Kunsthalle Basel)
In ihrer Arbeit untersucht Lydia Ourahmane die Beziehung zwischen Körper und Geschichte. Dabei geht sie zwar häufig von biografischem Material aus, doch durch die Verwandlung dieser persönlichen Erfahrungen in Kunst geschieht eine Transformation, die sich auch auf unser eigenes Erleben auswirken kann. Indem sich die Künstlerin zum untersuchten Objekt macht, lässt sie uns nicht nur an diesen Erfahrungen teilhaben, sie legt zugleich auch unsichtbare Strukturen und Mechanismen frei. Die ihrer Funktion beraubten Objekte werden zu Trägern von neuen Informationsschichten. Das technische Zusammenwirken der Abhörgeräte, die sich im Innern der Glasskulpturen befinden, und des Laserstrahls, der durch den gesamten Raum geht, ist komplex. Genaue Informationen dazu liefert die Künstlerin im Videointerview mit Elena Filipovic, der Kuratorin der Ausstellung. Instinktiv spüren wir aber, dass die hier gezeigten Objekte über ihr rein materielles Dasein hinausweisen. Sie befinden sich eben im «Barzakh» (so der Titel der Schau), was auf Arabisch den Limbus, eine Art Warteraum für die Seele, bezeichnet. In dieser Zwischenwelt können die Objekte neue Bedeutungen annehmen, sie werden offen für neue Lesarten. Sie schaffen gewissermassen einen Perspektivenwechsel – einen heilsamen vielleicht.
Das Gespräch der Künstlerin mit Elena Filipovic sowie alle weiteren Informationen zur Schau finden Sie auf der Website der Kunsthalle Basel.