Harmonische Komposition
Falk Jaeger
10. 四月 2024
Das Zentrum für seelische Gesundheit des Krankenhauses Altscherbitz unweit von Leipzig (Foto: Gustav Willeit)
Mit handwerklicher Präzision und grosser Wertschätzung für den Bestand ist das Zentrum für seelische Gesundheit im ostdeutschen Schkeuditz erweitert worden. Während die Konkurrenz im Wettbewerb einen dominanten Neubau vorschlug, setzten Schulz und Schulz Architekten auf eine Ergänzung, die sich einfügt.
Auf die Idee muss man erstmal kommen: Zwei Backsteingebäude, 1880 als «Siechenasyl» für Männer und Frauen spiegelgleich errichtet, mit einem zwischengeschobenen «Beamtenhaus», waren für das Zentrum für seelische Gesundheit des Sächsischen Krankenhauses Altscherbitz in der ostdeutschen Kreisstadt Schkeuditz im Westen Leipzigs zu sanieren und um einen Erweiterungsbau zu ergänzen. Die Konkurrenten im Architektenwettbewerb schlugen logischerweise einen mehrgeschossigen Neubau zwischen den drei Gebäuden vor, der mit seiner Baumasse die durchaus attraktiven Altbauten dominiert hätte. Die mit ihrem Büro in Leipzig ansässigen Brüder Ansgar und Benedikt Schulz setzten hingegen einen sehr langen, flachen Riegel zwischen die Bestandsbauten, der alle miteinander verbindet und sich eingeschossig in der Höhe zurücknimmt. Der überraschend positionierte Neubau wiederholt die Fussabdrücke der drei vorhandenen Gebäude und fügt sich in seiner Dimension und mit der Anmutung der dunklen Ziegelfassaden ganz unaufgeregt in die Kulisse der historischen Krankenhausanlage im parkartigen Umfeld ein.
Ihre architektonische Prägung erfuhr die Anlage im Kaiserreich. Die «Provinzial Irren Anstalt Rittergut Alt Scherbitz» war 1876 gegründet worden und ist vor allem mit dem Namen des Geheimrats Dr. Albrecht Paetz verbunden. Paetz, ab 1879 Direktor der Anstalt, erlangte mit seinem «Offen-Thür-System» international Berühmtheit, weil er als erster das obligate Wegschliessen der psychisch Kranken durch eine neue, offene Therapieform ersetzte – wodurch er auch Einfluss auf die architektonische Organisation der Gebäude nahm.
Fuge zwischen Bestand und Neubau (Foto: Gustav Willeit)
Hofsituation zwischen Neu- und Bestandsbau (Foto: Albrecht Voss)
Mit ihren Symmetrien und dem Pavilloncharakter der Einzelbauten sowie der verhalten historisierenden Backsteinästhetik orientierte sich die Architektur deutlich an der Backsteinbaukunst der Berliner Schule eines Martin Gropius, Heinrich L. A. Herrmann oder Hermann Blankenstein. Die beiden «Siechenhäuser» zur Unterbringung unheilbar kranker Patientinnen und Patienten und das Beamtenhaus entstanden 1878 als etwas peripher angefügte, eigenständig-symmetrische Baugruppe.
Der Baubestand war durch vielfache Umbauten und langjährigen Leerstand gezeichnet, als der Staatsbetrieb Sächsische Immobilien und Baumanagement 2014 den Wettbewerb für das Sozialpsychiatrische Psychotherapeutische Behandlungszentrum ausschrieb. Aufgabe war, die unter Denkmalschutz stehenden Altbauten zu revitalisieren und durch einen verbindenden Neubau zu ergänzen, der die wesentlichen Funktionen aufnimmt und dem Bestand Nebennutzungen zuweist.
Diese Hierarchie war nicht im Sinne der Architekten Ansgar und Benedikt Schulz, und so griffen sie zu einer Lösung, die den durchaus ansehnlichen Denkmalbestand ins rechte Licht rückt. Ihr Neubau ordnet sich optisch den Bestandsbauten unter. Lediglich in der Mittelachse zeigt er sich mit seinem Haupteingang an der Nordseite in verhaltener Repräsentanz und signalisiert, dass von hier aus das gesamte Ensemble zugänglich ist. Drei Therapieräume und sekundäre Funktionsräume liegen beiderseits der kleinen Eingangshalle, die primär jedoch axial auf das Erdgeschoss des Beamtenhauses orientiert ist, wo Empfang, Sekretariat und Psychologischer Dienst untergebracht sind.
Die einstigen Aussenfassaden der Bestandsbauten wurden zu Flurwänden im Neubau. (Foto: Gustav Willeit)
Die Zimmer für die Patientinnen und Patienten sind hochwertig möbliert. (Foto: Albrecht Voss)
Die Mutter-und-Kind-Zimmer bieten eine Aussicht über Eck. (Foto: Albrecht Voss)
Die beiden langgestreckten Flügel des 175 Meter langen Neubaus sind den Zimmern für die Patientinnen und Patienten vorbehalten. Seitenwechsel, knappe Vor- und Rücksprünge sowie zwei geländebedingte Höhensprünge sorgen dafür, dass bei dem «einhüftig» erschlossenen Neubau keine endlos lang erscheinenden «Krankenhausflure» entstehen.
An ein Krankenhaus lässt das Innere ohnehin nicht denken. Klinikinstallationen treten nicht ins Blickfeld. Die Flure sind geprägt von einer angenehm ruhigen, harmonischen Materialkomposition. Die Wände sind abwechselnd weiss verputzt, mit raumhohen Holzpaneelen verkleidet oder zeigen wie im Fall der ehemaligen Aussenwände der Bestandsbauten farbig gestreiftes Ziegelmauerwerk. Mit ihrer handwerklich hochwertigen Ausführung bis hinab zu den hölzernen Fussleisten machen sie einen soliden Eindruck, der auch als respektvolle Zuwendung den Bewohnenden gegenüber empfunden wird.
Das gilt auch für die Einzelzimmer mit ihren qualitätsvollen Einbauten, aus denen man hier und da auch an den Eckfenstern den Blick entlang der Fassade gleiten lassen kann. Die psychisch labilen oder in Rekonvaleszenz lebenden Patienten bewohnen eine Umgebung, die nichts von einem Krankenhaus oder Sanatorium hat, sondern wie ein Gästehaus im Grünen Normalität vermittelt.
Der neue Eingangshof des Therapiezentrums (Foto: Albrecht Voss)
Restauriertes Treppenhaus im historischen Beamtenhaus (Foto: Albrecht Voss)
Rückzug und Gemeinschaftserlebnis, beides sollte den Bewohnern geboten werden. Die Gemeinschaftsräume entstanden und entstehen noch in den beiden seitlichen Altbauten, die unter denkmalpflegerischen Gesichtspunkten saniert werden. Die historischen Zentraltreppenhäuser in den Mittelrisaliten sind aufgearbeitet und um Aufzüge ergänzt worden. Die Seitenflügel wurden von Einbauten weitgehend entkernt und räumlich neu aufgeteilt. Jeweils zwei neue Treppenhäuser an den Gebäudeenden waren zur Erschliessung und als Fluchtwege notwendig.
Die Altbauten stehen für Untersuchung und Therapie, Ergotherapie, Sport, Bewegungs- und Tanztherapie sowie die Patientenküche zu Verfügung. Im Snoezelen-Raum kann man bei angenehmen Klang-, Farb- und Lichteffekten in bequemer Liegelandschaft entspannen und sich geborgen fühlen. Das Obergeschoss des östlichen Ausbaus ist zunächst nur entkernt worden und harrt der weiteren Zuwidmung und des endgültigen Ausbaus.
Da der Grundriss des Neubaus sensibel auf den Bestand reagiert, ergibt sich ein verblüffend homogenes Bild der Gesamtanlage. Die «Kontinuität des Ortes», das Credo der Architekten für dieses Projekt, zeigt sich in Grund- und Aufriss, Materialwahl und Gliederung. Schon auf dem Lageplan springt dem Betrachter die Gegenposition zu den im Wettbewerb konkurrierenden Entwürfen ins Auge, die die beschaulichen Bestandsbauten mit einem «modernen», dominanten Baukörper konfrontieren wollten – als «zeitgenössische, selbstbewusste» Lösung, wie so etwas verkauft wird.
Doch ein Dreigeschosser mit der gängigen Glasfassade kam für Schulz und Schulz nicht infrage. Ihre Backsteinarchitektur sollte einen sympathischen Charakter haben und eher Rückzugsort als ungeschützte Offenheit bieten, um die Genesung der psychisch Kranken zu unterstützten. Und sie erleichtert die gestalterische Korrespondenz zum Bestand und die bruchlose Bildung einer ablesbar komponierten Gesamtanlage.