Bibelseiten im Wind

Manuel Pestalozzi
16. 六月 2017
Bilder: Stefano Graziani

Wittenberg im deutschen Bundesland Sachsen-Anhalt ist die Lutherstadt. Hier soll der damalige Benediktinermönch im Jahr 1517 seine legendären 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche genagelt haben. Die Stadt feiert das runde Jubiläum mit einer Weltaustellung zum Thema. Mit von der Partie ist auch der Schweizerische Evangelischen Kirchenbund SEK und die Schweizer Bischofskonferenz SBK mit dem Projekt «Prophezey». Auf den alten, begrünten Wallanlagen der Stadt installierte man dafür im Torraum 7 einen Pavillon eines Büros, dessen Namen so trefflich zur Aufgabe passt: Christ & Gantenbein aus Basel.

Die rund 35 Meter lange und 6,25 Meter breite Struktur mit dem symmetrischen Satteldach interpretiert das Urhüttenthema. Die Tragstruktur besteht aus weiss gestrichenen Kanthölzern, die Dacheindeckung aus Wellblech, das ebenfalls weiss beschichtet wurde. Als Trennelemente zum Parkraum dienen primär dunkelgrüne Vorhänge, die sich zurückziehen lassen. Das leicht erhöhte Bodenniveau des «Schutzbaus» ist an den beiden Stirnseiten über eine niedrige Stufenfolge zu erreichen. Protestantische Sprödheit – man denkt ganz automatisch an die Kunst der Zürcher Konkreten – prägt auch das Innere. Es ist in fünf Abschnitte unterteilt: Auf der Veranda empfangen Zwingli, Calvin, Luther und Niklaus von Flüe das Publikum in Gestalt von Silhouetten, die bekannten Denkmälern nachempfunden sind. Die weiteren Teilbereiche sind der Zürcher Bibel, einer Rekonstruktion von Froschauers Druckpresse und dem Bezug der hiesigen Reformation zur «Künstlerei» gewidmet. Der Endabschnitt wird als Helferei bezeichnet, offenbar eine andere Bezeichnung für eine Guest Lounge.
 
Die Reformation ist eine ernsthafte Sache. Es ist gut, dass man für den Pavillon auch ernsthafte Architekten beauftragt hat. Trotzdem schrammt das Konzept gelegentlich haarschaft am Widersprüchlichen, Lächerlichen vorbei – eine Gefahr, die wohl immer droht, wenn Symbolik gleich im Multipack ins Spiel kommt. So wird die Druckpresse von Blättern aus der Zürcher Bibel, die vom Dach abgehängt sind, umflattert. Die Idee ist zwar anmutig, leider wirkt sie auch irgendwie frivol oder witzig, was der wohl angedachten Grundstimmung und der beabsichtigten Botschaft wenig förderlich ist. Und leider denkt man auch an herausgerissene Koranseiten, mancherorts als Todsünde gehandelt und  üble Folgen für Menschen mit sich bringend. Keineswegs frivol und definitiv nicht lustig war die von BauNetz rapportierte Kunde, dass der Pavillon zehn Tage vor seiner Eröffnung Opfer eines Brandanschlags war.

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