Mehr Menschlichkeit im Aussenraum

Manuel Pestalozzi
28. 五月 2015
Do's and Don'ts aus dem Buch «Städte für Menschen». Bild: jovis.de

Das Gundeldinger Feld in Basel ist ein grösseres ehemaliges Industrieareal in Bahnhofsnähe, das heute vielen gemeinschaftlichen Nutzungen dient. Der Ort des Auftritts von Jan Gehl, organisiert vom Bau- und Verkehrsdepartement des Kantons Basel-Stadt passte ausgezeichnet zur Botschaft, die verkündet wurde. Der Däne mit Jahrgang 1936 plädiert für einen gegliederten und diversifizierten Stadtraum. Mit diesen Anliegen kam er zu erheblichem Ruhm – sowohl als Autor wie auch als Planer und Ratgeber.
 
Vor und nach Gehls rund einstündigem Referat war Signierstunde. Die deutsche Version des in viele Sprachen übersetzten Buchs «Städte für Menschen» stapelte sich auf den Präsentationstischen. Sein Verfasser sass daneben und trug geduldig Widmungen in die ihm entgegengestreckten Exemplare ein. Er werde das falls notwendig bis zum Anbruch der Geisterstunde und ohne Znacht tun, versprach er dem begeisterten Publikum. Für das Sendungsbewusstsein und die Hoffnung auf stadträumlichen Wandel in seinem Sinn, ist der Däne gerne zu Opfern bereit. Der Erfolg seiner Initiativen und das positive Echo spenden ihm dabei Kraft.

Die Möglichkeit, sich ein Exemplar von «Städte für Menschen» von Jan Gehl signieren und mit einer Widmung versehen zu lassen, fand grossen Zuspruch. Und der Autor brachte locker die notwendige Geduld auf. Bild: Manuel Pestalozzi

Im Referat präsentierte sich Jan Gehl als ein geläutertes Kind der Moderne. Sein Diplom als Architekt erhielt er im Jahr 1960, als die Stadtplanung noch eine nach rationalen, technischen Grundsätzen betriebene Wissenschaft war. Er heiratete eine Psychologin und lernte von ihr, dass sich die zuständigen Fachleute «nicht für Leute interessieren». An verschiedenen Universitäten ging er als Forscher diesem Missstand auf den Grund, er veröffentlichte zahlreiche Bücher und Schriften zu den Fehlleistungen auf diesem Gebiet und über die Möglichkeiten zu deren Korrektur oder Vermeidung. Als Feind Nr. 1 des humanistic city planning entpuppte sich – wen überrascht es? – das Motorfahrzeug im Privatbesitz und dessen gesellschaftlicher Status.
 
Autos brauchen viel Platz zum Fahren und Parken. Nach ihren Bedürfnissen wurden während Jahrzehnten die Verkehrswege bemessen. Mit dieser Entwicklung im Zusammenhang stehen auch bauliche «60 km/h-Massstäbe», die das menschliche Erfassungsvermögen sprengen, und eine Planungskultur, die aus der Vogelperspektive operiert. Jan Gehl stellte auch fest, dass zwar Verkehrsflüsse von Fahrzeugen penibel aufgezeichnet werden, man über das Verhalten von Fussgängern im öffentlichen Raum hingegen kaum Daten erfasst. Er sammelte diesbezüglich neue Erkenntnisse, die zu Grundlagen für konkrete Verbesserungsvorschläge ausgearbeitet wurden. Im Alter von 63 Jahren gründete er das Büro Gehl Architects, das weltweit auf dem Gebiet der Stadtraumplanung und -optimierung tätig ist.

Die Veränderungen des öffentlichen Raums hat die Bevölkerung von Kopenhagen zu Italienern gemacht, meint Jan Gehl. Die Entwicklung ist im Buch «Städte für Menschen» nachgezeichnet. Bild: jovis.de

Und siehe da, die Welt ändert sich im Sinne von Jan Gehl. «Seit 15 Jahren stelle ich einen deutlichen Paradigmenwechsel fest, hin zu lebendigen, lebenswerten, gesunden und nachhaltigen öffentlichen Räumen», freut er sich. Für ihn ist dies der Beginn einer Bewegung, dank der sich die Menschen wieder mit mehr Respekt und Freude aneinander im öffentlichen Bereich begegnen, auf der selben Augenhöhe. Es gibt Städte, die als gutes Beispiel vorangehen – nicht selten begleitet vom Fachwissen der Gehl Architects. Zur erwähnen ist Kopenhagen, das den öffentlichen Raum seit vielen Jahren systematisch dem Ideal einer menschengerechten Stadt annähert, mit Langsamverkehrsbereichen, Vortritt für die Schwächsten, neuen Promenaden und Begegnungsstätten. Hier sind auch die von Gehl vorgeschlagenen Entwicklungsstufen zu verfolgen: zuerst mehr Geh- und Flanierkomfort, dann mehr Freizeitaktivitäten wie Strassencafés, gefolgt von Parks und Spielflächen, in denen sich die Bürgerinnen und Bürger aktiv mit dem Abbau ihrer kreativen und körperlichen Energien befassen können.
 
Auch Melbourne gehört zu den Erfolgsgeschichten, von denen Jan Gehl erzählen kann. Die Stadt in Australien hat ein ausgezeichnetes Stadtmöblierungsprogramm umgesetzt und wirke jetzt «genau wie Paris». Spektakulär war die permanente Trockenlegung des Times Square in New York und die Verkehrsberuhigung verschiedener Teilstücke des Broadway. Die Massnahmen, vorerst nur temporär geplant, stiessen in der Stadt wider Erwarten auf grosse Begeisterung und sind heute schon fast nicht mehr wegzudenken. «Was Bloomberg in New York kann, schaffe ich in Moskau mit links», muss sich dessen Bürgermeister Sergei Semjonovich Sobjanin gedacht haben. Jedenfalls kontaktierte auch er Gehl Architects, die dafür sorgten, dass bestimmte Gehsteige der russischen Metropole von schweren Karossen deutscher Provenienz «gereinigt» und dem Fussvolk zurückgegeben wurden.

Die Bücher von Jan Gehl werden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Offenbar ähneln sich die Bedürfnisse und die Lösungsmöglichkeiten heute weltweit. Bild: Manuel Pestalozzi

Alles, was Jan Gehl in seinem Referat sagte, tönte gut und sinnvoll, vielleicht auch etwas bieder. Hat man Ähnliches nicht auch schon gehört? Es sind wohl kaum die fehlenden Ideen oder Strategien, die Veränderungen verhindern, sondern eher das mangelnde Vermögen, entsprechende Ziele politisch durchzusetzen. Und auch in der autoarmen Stadt verbleiben Knacknüsse. So kam die Rede in der anschliessenden Fragerunde beispielsweise auf die Erdgeschossnutzung. Jan Gehl anerkennt, dass diese für die Belebung der Stadt eine sehr wichtige Rolle spielt und konnte rapportieren, dass in Melbourne bei jedem Bauwerk 60 Prozent des Erdgeschosses highly interesting ausgestaltet werden muss. Diese Stellungnahme bekräftigt den Verdacht, dass die positive Wirkung behördlicher Regeln und Verbote ihre Grenzen hat, auch wenn diese wissenschaftlich und «humanistisch» gut verankert sind. Letztlich kann die Stadt nicht besser sein als die Leute, die ihr leben – oder zumindest jene, die das Sagen haben.


Lese auch: «Städte für Menschen» von Inge Beckel, 4. September 2014

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