Kein Architekt der großen Worte

Manuel Pestalozzi | 21. März 2025
Foto: Manuel Pestalozzi

Das elegante, nach einem neuen Konzept von Studio NOI aus Zürich gestaltete Buch ist bereits der 29. Band der Serie »Dokumente zur modernen Schweizer Architektur«, die der Verlag des Instituts für Geschichte und Theorie der Architektur, kurz gta, der ETH Zürich seit Mitte der 1980er-Jahre herausgibt. Einmal mehr konnte das Autorenteam um die Herausgeberin Dorothee Huber auf Material aus dem Archiv des Instituts zurückgreifen, wo Karl Egenders Nachlass aufbewahrt wird.

Foto: gta Verlag
Bescheidener »Macher«

Karl Egender gehört zu den vielen begabten Schweizer Baukünstlerinnen und Baukünstlern, die ihre Karriere abseits der Hochschulen begannen. Geboren im Elsass, wurde er eingebürgert, nachdem er mit seiner Familie nach Zürich gezogen war. 1912 begann er in der Limmatstadt eine Lehre als Hochbauzeichner. Nach dem Besuch von Kursen bei Paul Bonatz an der Technischen Hochschule Stuttgart eröffnete er 1922 mit Adolf Steger (1888–1939) das Büro Steger und Egender. Im Laufe seiner Karriere ging er wechselnde Arbeitsgemeinschaften ein – auch Bruno Giacometti (1907–2012) zählte eine Weile zu seinen leitenden Mitarbeitern.

Mit dem Volkshaus (Limmathaus, heute X-TRA Haus der Musik) beim Zürcher Limmatplatz (1923–1932) und der Gewerbeschule mit Kunstgewerbemuseum ganz in der Nähe (1926–1933) etablierte sich das Büro Steger und Egender als früher Wegbereiter der Moderne in der Schweiz. Bald hatten sich die beiden Architekten einen Ruf »als zuverlässige Baufachleute und überlegene Gestalter« erworben. Sie beobachteten die verschiedenen architektonischen Strömungen ihrer Zeit genau, beteiligten sich an vielen Wettbewerben und traten stets als Team auf – die jeweilige Autorenschaft der Projekte war ihnen nicht wichtig. Die neue Monografie folgt dieser Haltung: Sie präsentiert zum Beispiel auch den modernistischen Pionierbau des Standbads Küsnacht (1928–1930) ausführlich, den Adolf Steger entworfen hat.

Karl Egender wurde 1925 in den Bund Schweizer Architekten (heute: Bund Schweizer Architektinnen und Architekten) aufgenommen – und war somit Angehöriger des »Briefadels« des Berufsstands, wie der Architekturjournalist Benedikt Loderer einst eine solche Mitgliedschaft umschrieb. Egender scheint aber um seine Fähigkeiten als Baukünstler nie viel Aufhebens gemacht zu haben. Er »fand sogleich Aufnahme in die ersten Kreise des Neuen Bauens in Zürich – und wahrte im gleichen Zuge Distanz zu jeglicher avantgardistischer Manifestation«, schreibt Dorothee Huber in ihrer Einführung. Nie ließ er Projektdokumentationen erstellen, nie gab er Fotos seiner Bauten in Auftrag, um diese besonders vorteilhaft ins Bild zu setzen. Auch Texte hinterließ Egender nicht. »Das Schreiben muss ihm zeitlebens eher eine Last denn ein Bedürfnis gewesen sein«, stellt Dorothee Huber fest. So erscheint Karl Egender als schweigsamer »Macher«, dem die Zufriedenheit seiner Bauherren und die Anerkennung seiner Architektenkollegen genug war. »Gewiss verstand er sich als soliden Konstrukteur und zuverlässigen Baufachmann, er war ein gefragtes Mitglied in Jurys, in Berufsverbänden und Kunst- und Künstlervereinen«, schreibt Dorothee Huber. Es passt gut ins Bild, dass der bescheidene Architekt zeitlebens auch keine offizielle Lehrtätigkeit übernahm.

Foto: gta Verlag
Architektur der Darbietung

Weil Karl Egender keine Notizen zum Umgang mit seinem Nachlass hinterlassen hat, hatte das Autorenteam freie Hand bei dessen Interpretation. Das Buch listet in einem Werkverzeichnis 230 Projekte auf, die in einem Zeitraum von 50 Jahren entstanden sind. Die Gliederung ist thematisch: Jedes Kapitel beginnt mit einem Aufsatz, auf den je die Präsentation passend ausgewählter Werke folgt. Die großen Themen sind Ausstellungen, Bildungs-, Sport- und Freizeitbauten sowie das Wohnen. Besondere Aufmerksamkeit erhalten jene Bauprojekte, bei denen sich die Architektur in den Dienst einer Darbietung stellt, also etwa das monumentale Hallenstadion in Zürich-Oerlikon (1936–1939), dem der gta Verlag vor knapp 20 Jahren bereits eine eigene Publikation widmete. 

Große Bedeutung für Karl Egenders Schaffen hat die Mode – nicht zuletzt bei den Projekten für das Warenhaus Globus. Dem für die Ewigkeit gebauten Hallenstadion stellt das Buch »Egenders ephemere Auftritte« gegenüber. So lautet der Titel des Beitrags des Architekten und Kurators Claude Lichtenstein, der im eingangs erwähnten Kunstgewerbemuseum über viele Jahre Ausstellungen organisierte und gestaltete. Sein Text befasst sich mit Entwürfen für verschiedene Industrie- und Fachausstellungen, die lange Zeit Publikumsmagnete waren. Die Aufgabe der Ausstellungsarchitektur bestand jeweils darin, der Inszenierung einer schöneren und besseren (Konsum)Welt den angemessenen Rahmen zu geben. Karl Egender nahm an zahlreichen Wettbewerben für solche Ausstellungskonzepte teil – immer wieder mit Erfolg. Höhepunkt war die Gestaltung der Abteilung »Kleider machen Leute« an der Schweizer Landesausstellung des Jahres 1939, an der Bruno Giacometti mitarbeitete. Die realisierte Pavillongruppe zeigt eine weiche, ornamentale und sinnliche Variante der Moderne. Die kegelförmigen Dächer der drei Rundpavillons zieren schließlich auch den Umschlag des Buches. Die Darstellungen dieser Ausstellungsarchitektur im Buch erinnern bisweilen an das Werk des Amerikaners Morris Lapidus (1902–2001), dem modernistischen Laden- und Hotelarchitekten aus Florida.

Stadtbildprägende Zurückhaltung

Was im Buch vielleicht etwas zu kurz kommt, ist die Würdigung der städtebaulichen Wirkung von Egenders Bauten. Das mag daran liegen, dass neben den fehlenden Schriftzeugnissen auch keine festen Gestaltungsprinzipien in dessen Werk erkennbar sind. In Zürichs Stadtzentrum begegnet man Karl Egenders Bauten überall. Oft fügen sie sich diskret, aber doch selbstbewusst in die bestehende Stadtstruktur ein – wie zum Beispiel das Modehaus Modissa aus den 1950er-Jahren am Limmatquai. Zuweilen leisten sie einen entscheidenden Beitrag zur Gestaltung des Stadtraums, so etwa der Geschäftshauskomplex Zum Sihlgarten zwischen Paradeplatz und dem Alten Botanischen Garten. Vielleicht ist das Werk Karl Egenders im besten Sinne des Wortes eklektizistisch. Das Buch lädt jedenfalls dazu ein, sich darüber Gedanken zu machen.

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