Clusterwohnungen und mehr

EM2N Architekten
24. 三月 2022
Foto: Andrew Alberts

 

Frau Lindenmayer, Herr Hörmann, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

 

Verena Lindenmayer: Der Wettbewerb ging aus einer Initiative zum experimentellen Wohnungsbau in den Jahren 2013 und 2014 der damaligen Berliner Senatsbaudirektorin Regula Lüscher hervor. Insofern liessen das angedeutete Raumprogramm und die Auslobung des Wettbewerbs im Entwurf einen grösseren Spielraum als üblich zu. Ideen und Gedanken zu Fragen der Standards, der veränderten Demografie, eines neuen gesellschaftlichen Miteinanders im Wohnumfeld sowie der heutigen Vielfalt an Lebenssituationen und Lebensmodellen waren Teil der Aufgabe. Sie befand sich damit im Kräftefeld aktueller und wichtiger Themen wie der Innenentwicklung respektive der baulichen Verdichtung unserer Städte, der Schaffung von kostengünstigem Wohnraum und dem Bedürfnis nach einer Angebotsvarianz zur Durchmischung sowohl der Bewohnerschaft als auch der Nutzungsmöglichkeiten.

 

Blick von der Kienitzer Strasse auf die Anlage (Foto: Andrew Alberts)
Der begrünte Innenhof (Foto: Andrew Alberts)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?

 

Fabian Hörmann: Die Fülle der gegenwärtig interessanten genossenschaftlichen Bauten war sicherlich ein wichtiger Fundus. Zeitgleich haben wir die Wanderausstellung «Together! Die Architektur der Gemeinschaft» für das Vitra Design Museum zusammen mit Ilka und Andreas Ruby entwickelt, sodass wir sehr sensibilisiert waren für die Frage, wie kollektive Momente und Orte entstehen können. Insbesondere das soziale und ökonomische Potenzial von Clusterwohnungen fanden wir für die Stadt Berlin eine wichtige Option im Projekt.

 

Blick vom Laubengang im 1. Obergeschoss auf den Hof (Foto: Andrew Alberts)
Der Laubengang im 4. Obergeschoss (Foto: Andrew Alberts)
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?

 

VL: Unser Vorschlag einer aus mehreren Teilen zusammengesetzten hybriden Figur vermittelt an der Nahtstelle zwischen der heterogenen Blockrandstruktur mit ihren charakteristischen Brandwänden und den mäandernden Grossstrukturen der Spätmoderne aus den 1970er-Jahren. Die ambivalente Figur vereint die unterschiedlichen Massstäbe und Typologien (Scheibe und Hof) des Umfeldes und kann so die Aufgabe als städtebauliches Passstück übernehmen. Durch diese präzise städtebauliche Setzung entsteht ein zentraler Hof, der als kollektiver Ort fungiert und so zu einem der identitätsstiftenden Elemente für die Hausgemeinschaft wird. 

Das Vorhaben verortet sich zwischen ambitioniertem Experiment und marktfähigem Produkt. Eine grosszügige und gleichzeitig effiziente Erschliessungs- und Balkonstruktur bietet Potenzial für eine überdurchschnittliche Aneignungsfähigkeit durch die Bewohnerschaft. Wir sind erfreut, dass wir die damit einhergehenden Fragen von Brandschutz und Tageslichtversorgung lösen konnten und seit der Fertigstellung sehen, wie gut diese Struktur von den Bewohner*innen angenommen und bespielt wird. Die für das Erdgeschoss vorgeschlagenen Nutzungen wie das Café mit Sitzgelegenheiten im Freien und die flexibel dimensionierten Studios entlang der Briesestrasse kommunizieren mit der Stadt und beleben das Quartier. Jeder der vier Gebäudeteile reagiert mit seiner einfachen und kompakten Grundstruktur und seiner spezifischen Typologie auf die jeweilige Lage und Ausrichtung.

 

Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?


FH: Durch die eingangs geschilderte Entstehungsgeschichte des Vorhabens wurde wertvolle Vorarbeit seitens der Senatsverwaltung geleistet. Dank dem Mut der Bauherrschaft wurden das Vorhaben und auch der Wettbewerb offen und innovativ aufgegleist. Ausserdem konnte das Projekt so sehr konsequent realisiert werden.

 

Eingangsbereich einer 2-Zimmer-Wohnung (Foto: Andrew Alberts)
Eine 3-Zimmer-Eckwohnung im westlich gelegenen Riegel (Foto: Andrew Alberts)
In einer 2-Zimmer-Eckwohnung im selben Teil der Anlage (Foto: Andrew Alberts)
Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk verändert?


VL: Nur wenig. Der Wohnungsspiegel war bereits durch die Auftraggeberin festgelegt. Es wurden Apartments mit einer Grösse von ein bis vier Zimmern, Studios und Clusterwohnungen mit zusätzlichen Gemeinschaftsbereichen geschaffen. Innerhalb der Grossstruktur des flexiblen Regals konnte der Wohnungsmix mit geringem Aufwand während des Planungsprozesses angepasst werden. Dazu mussten keine Veränderungen der strukturellen Festlegungen vorgenommen werden. 

Bereits im ersten Entwurf haben wir den Mehrwert des Laubengangs erkannt. Er ermöglicht die Erweiterung des Wohnraums ins Freie und ist gleichzeitig eine sehr wirtschaftliche Erschliessungsform, vor allem bei Gebäuden mit einem hohen Anteil an kleinen Wohnungen. Lediglich ein zusätzliches Fluchttreppenhaus musste in der Entwurfsplanung aus Brandschutzgründen ergänzt werden. 

 

Lageplan
Grundriss Erdgeschoss 
Grundriss 2. Obergeschoss 
Schnitte 
Bauwerk
Neues Wohnen an der Briesestrasse
 
Standort
Briesestrasse 19 / Kienitzer Strasse 26, 12053 Berlin
 
Nutzung
101 Wohn- und Ateliereinheiten, Clusterwohnungen, Café, Tiefgarage mit 28 Stellplätzen
 
Auftragsart
Wettbewerb, 1. Preis
 
Bauherrschaft
Stadt und Land Wohnbauten-Gesellschaft mbH, Berlin
 
Architektur
Planung: EM2N Architekten AG, Zürich
Ausführung: EM2N Architekten Berlin GmbH, Berlin
Partner: Mathias Müller, Daniel Niggli
Associates: Fabian Hörmann (Wettbewerb), Verena Lindenmayer (Ausführung)
Projektleitung: Henrike Kortemeyer
Projektteam Wettbewerb: Mathias Kampmann, António Mesquita, Inês Nunes, Jonas Rindlisbacher, Caroline Vogel und Leonard Wertgen
Projektteam Ausführung: Laura Ball, Pia Brückner, Felix Dechert und Götz Lachenmann
 
Jahr der Fertigstellung
2020
 
Fachplaner
Bauberatung und Bauökonomie: GNEISE Planungs- und Beratungsgesellschaft mbH, Berlin
Ausschreibung und Qualitätssicherung: HW-Ingenieure GmbH, Berlin
Bauingenieur (Wettbewerb): Schnetzer Puskas Ingenieure AG, Zürich
Abbruchs- und Tragwerksplanung: Ingenieurbüro Rüdiger Jockwer GmbH, Berlin
HLK-Planung und Lüftung Tiefgarage: Ingenieur- und Sachverständigenbüro Karl-Heinz Quenzel, Berlin
Haustechnik: GNEISE Planungs- und Beratungsgesellschaft mbH, Berlin
Akustik: Bauphysik Ritter, Potsdam
Wärmeschutz- und Energiebilanzierung: Andreas Wilke Ingenieurbüro für Bauphysik und Baukonstruktion GmbH, Potsdam
Brandschutzplanung: Andreas Wilke Ingenieurbüro für Bauphysik und Baukonstruktion GmbH, Berlin
Prüfingenieur Brandschutz: KLW Ingenieure GmbH, Berlin
Verkehrsplanung: R+T Verkehrsplanung GmbH, Darmstadt
Landschaftsarchitekt: MAN MADE LAND Bohne Lundqvist Mellier GbR, Berlin
Vermesser: Ingenieursozietät Rek & Wieck, Berlin
Signaletik: EM2N, Caroline Vogel, Zürich
 
Bauleitung
Implenia Hochbau GmbH, Leipzig 
 
Energiestandard
EnEV 2014
 
Bruttogeschossfläche
13343 m2
 
Gebäudevolumen
33286 m3
 
Fotos
Andrew Alberts

 

Regula Lüschers Nachfolgerin im Amt der Berliner Senatsbaudirektorin ist Petra Kahlfeldt. In Deutschland ist diese Personalentscheidung umstritten. Lesen Sie, warum.

Mit uns hat Regula Lüscher über ihre Zeit in Berlin, die Entwicklung der deutschen Hauptstadt und ihre Nachfolgerin gesprochen.

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