James Barnor – grosse Retrospektive im MASI Lugano

Nadia Bendinelli
27. maio 2022
James Barnor, «Mike Eghan at Piccadilly Circus», London, 1967 (Foto © James Barnor/Autograph ABP, London)

 

In James Barnors Familie gab es einige Fotografen. Und so entschied auch er sich, den Beruf zu ergreifen. Sein Cousin J-P.D. Dodoo bildete ihn aus. Ein Onkel überliess ihm nach der Lehre seine Studioausrüstung. Barnor gründete sein eigenes Geschäft mit Namen Ever Young. Das war zu Beginn der 1950er-Jahre. Barnors Studio war allerdings keines, wie wir es uns heute vorstellen würden: Er durfte sich eine Dunkelkammer in einem leer stehenden Zimmer im Haus seiner Tante einrichten, und das eigentliche Aufnahmestudio befand sich unter freiem Himmel. Später bezog er andere Räumlichkeiten an einem der belebtesten Orte in Accra, in denen sich das Ever Young Studio zum Treffpunkt für die ganze Umgebung entwickelte.

 

«My studio was at a spot where everything happened in Accra, where young and old people met from various backgrounds, free to talk about everything and anything.»

James Barnor

Im Studio bot er klassische Porträtaufnahmen und Retuschen an. Er fotografierte mit einer grossen Studiokamera und ganz nach Lehrbuch. Als Kontrastprogramm oder als einer Art «zweites Leben», wie Barnor zu erzählen pflegt, kamen spontane Aufnahmen auf der Strasse hinzu. Dabei fotografierte er alltägliche Situationen – befreit vom Korsett des Studios – mit einer kleineren Kamera, die ihm ermöglichte, buchstäblich hinter den zu Porträtierenden her zu rennen. So entstanden auch Fotos für verschiedene Zeitungen: Barnor hielt zum Beispiel Sportveranstaltungen fest oder fotografierte bekannte Persönlichkeiten. Seine Bilder dokumentieren auch die politischen Ereignisse rund um die 1957 erreichte Unabhängigkeit Ghanas. Gerade diese Aufnahmen machten ihn zum ersten Fotojournalisten seines Heimatlandes und verschafften ihm weitere bedeutende Aufträge.

 

«I was the first newspaper photographer in Ghana, and I’m proud of that. Newspaper photography changed people’s lives and it changed journalism in Ghana. I was part of this moment.»

James Barnor

James Barnor, «Kwame Nkrumah in his PG (Prison Graduate) cap, kicking a football before the start of an international match at Owusu Memorial Park in Fadama», Accra, 1952 (Foto © James Barnor, mit freundlicher Genehmigung der Galerie Clémentine de la Féronnière, Paris)
James Barnor, «Roy Ankrah during road work», Accra, 1951 (Foto © James Barnor, mit freundlicher Genehmigung der Galerie Clémentine de la Féronnière, Paris)
James Barnor, «Baby on All Fours», Eric Nii Addoquaye Ankhra, Ever Young Studio, Accra, um 1952 (Foto © James Barnor, mit freundlicher Genehmigung der Galerie Clémentine de la Féronnière, Paris)
James Barnor, «Evelyn Abbew», Ever Young Studio, Accra, zwischen 1955 und 1956 (Foto © James Barnor/Autograph ABP, London)
London – neue Möglichkeiten

1959 brach Barnor nach London auf, um sich weiterzubilden. Er war getrieben von dem Wunsch, Neues zu sehen und zu lernen. In der britischen Hauptstadt fotografierte er die Black-Community für das südafrikanische Magazin Drum, eine einflussreiche Stimme der Anti-Apartheid-Bewegung und wahrscheinlich die meistgelesene Zeitung in Afrika. Darin wurden jegliche Aspekte des städtischen Lebens thematisiert, die Politik inbegriffen. Im London der 1960er-Jahre war es einem Fotografen of Color nicht möglich, weisse Menschen zu porträtieren und vor allem ihnen zu sagen, was sie dabei tun sollten. Möglich war nur die Arbeit im Studio, hinter den Kulissen. Bei Drum war zum Glück alles anders. Als Freelancer konnte James Barnor schwarze Frauen für Covers fotografieren und Berühmtheiten wie den Boxer Muhammad Ali oder Mike Eghan, erster schwarzer Radiomoderator der BBC, vor seine Linse bekommen. Das Drum-Büro in der Fleet Street war sein zweites Zuhause in London, ein Ort, an dem man alles machen konnte. Barnors Arbeit konnte auch dank dieser Möglichkeit ein Vorbild für andere werden. Und nicht nur für afrikanische Fotografen wurde er zur Inspiration.

 

James Barnor, «Sick-Hagemeyer shop assistant with bottles, taken as a colour guide», Accra, 1971 (Foto © James Barnor/Autograph ABP, London)
James Barnor, «Two friends dressed for a church celebration with James’ car», Accra, 1970er-Jahre (Foto © James Barnor/Autograph ABP, London)

Durch eine Stelle bei den Colour Processing Laboratories (CPL) in Kent, damals das wichtigste Fotolabor Grossbritanniens, kam Barnor 1960 erstmals mit der Farbfotografie in Berührung. Seine Kollegen dort ermutigten ihn, sich am Medway College of Art in Rochester einzuschreiben. Nach dem Abschluss arbeitete er zuerst als Techniker am College, dann als Fotograf in der Designabteilung des Centre for Educational Television Overseas (CETO). 1968 trat er eine Vollzeitstelle als Farbdrucker bei den CPL an. Diese Tätigkeit war gut entlohnt und brachte mehr Geld ein als das Fotografieren.

Im Auftrag von Agfa-Gevaert kehrte Barnor 1970 mit dem ambitionierten Plan, das erste Farbentwicklungslabor Ghanas aufzubauen, nach Accra zurück. Dort arbeitete er mit Erfolg drei Jahre lang, bevor er zum zweiten Mal ein eigenes Studio gründete – das X23. Ende der 1970er-Jahre war er zudem für den United States Information Service in Ghana tätig. In den 1980er-Jahren wurde er Regierungsfotograf. Im X23 nahm Barnor die Porträtfotografie wieder auf. Zudem fotografierte er für verschiedenste Auftraggeber, seine Bilder kamen auf Plattencovers und in Magazine. Aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage zog Barnor jedoch 1994 wieder nach London, wo er bis heute lebt und arbeitet.

 

James Barnor, «AGIP Calendar Model», 1974 (Foto © James Barnor/October Gallery, London)
James Barnor, Untitled, Studio X23, Accra, um 1975 (Foto © James Barnor/Autograph ABP, London)
James Barnor, «Photoshoot of musician», Salaga Market, Accra, zwischen 1974 und 1976 (Foto © James Barnor, mit freundlicher Genehmigung der Galerie Clémentine de la Féronnière, Paris)
Grosse Schau im Tessin

Die Retrospektive im MASI konzentriert sich auf die Zeit zwischen 1950 und 1980. Zu sehen sind über 200 Fotografien aus Barnors Archiv, dazu Plattencovers und Magazine. Die Vielfalt seines Schaffens wird offensichtlich: Fotojournalismus, Modefotografie, private Bilder, Porträts, einfache Menschen und Kinder, kommerzielle Aufträge. Seine besondere Fähigkeit, stets persönliche Bezüge herzustellen, ist greifbar. Seine Intention, seine Sujets als Individuen zu zeigen und die Geschichte einer Community zu dokumentieren, ist gelungen. Heute sind James Barnors Fotografien Zeitdokumente geworden. Zwei Videos als Abschluss der Ausstellung geben nähere Einblicke: In einem stellt James Barnor sein Werk vor, und eine Dokumentation schildert seine fotografische Arbeitsweise.

Die Ausstellung wurde ursprünglich von den Londoner Serpentine Galleries konzipiert. Nach dem Gastspiel im MASI in Lugano wird sie ab Frühling kommenden Jahres im Detroit Institute of Arts in den Vereinigten Staaten zu sehen sein.

 

«I came across a magazine with an inscription that said: ‹A civilisation flourishes when men plant trees under which they themselves will never sit.› But to me it’s not only plants – putting something in somebody’s life, a young person’s life, is the same as planting a tree that you will not cut and sell during your lifetime. That has helped me a lot in my work. Sometimes the more you give, the more you get.»

James Barnor

Die Ausstellung im MASI Palazzo Reali (via Canova 10, Lugano) läuft noch bis zum 31. Juli 2022.

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