Dokumentarfotografie zwischen Nähe und Distanz – Susan Meiselas im Kunst Haus Wien

Nadia Bendinelli
27. agosto 2021
Susan Meiselas, «The Star», Tunbridge, Vermont, USA, 1975 (Foto © Susan Meiselas / Magnum Photos)

Zwischen Fotografin und Sujet besteht immer ein Feld der Möglichkeiten – und stets eine Relation, egal welcher Art. Auch die Wirkung, die Bilder und Abgebildete erzeugen, kann vom Kontext beeinflusst werden. Susan Meiselas hat sich in ihrer Arbeit eingehend mit diesen Aspekten auseinandergesetzt. Ab dem 16. September dieses Jahres sind ihr Schaffen und dessen Auswirkungen von der persönlichen bis zur globalen und politischen Ebene in der Ausstellung «Susan Meiselas. Mediations» zu sehen. 

Allgemein bekannt wurde die amerikanische Fotografin durch ihre Berichterstattung über die Revolution in Nicaragua. Über einige Jahre versuchte sie durch ihre Arbeit der Wahrheit in dem vom Bürgerkrieg geplagten Land auf den Grund zu gehen. Sie wollte die Mechanismen hinter der blutigen Auseinandersetzung begreifen und diese umfassend vermitteln. Einem Bild wurde dabei über die Zeit besonders viel Aufmerksamkeit zuteil: «Molotow Man» (unten zu sehen) wurde so oft reproduziert – auf Wände gemalt, überall publiziert und auf T-Shirts gedruckt –, dass es zum «offiziellen» Symbol der Revolution avancierte. Im Juli 1979 fotografierte Meiselas Pablo «Bareta» Arauz, ein Mitglied der sandinistischen Guerilla, als er einen Molotowcocktail auf die letzten übrig gebliebenen Soldaten aus Somozas Nationalgarde warf. Am Folgetag ergriff der Diktator die Flucht aus Nicaragua. Im Bürgerkrieg starben über dreissigtausend Menschen.

«I am not a war photographer in the sense that I didn’t go there for that purpose. I’m really interested in how things come about and not just in the surface of what it is.» 

Susan Meiselas

Susan Meiselas, «Sandinistas at the walls of the Estelí National Guard headquarters», Estelí, Nicaragua, 1979 (Foto © Susan Meiselas / Magnum Photos)
Die Menschen und ihre Realitäten

Die ersten Experimente mit dem Ziel, die Beziehung zwischen Menschen und Orten und deren Vermittlung durch die Fotografie zu erkunden, fanden sozusagen zu Hause statt: Für ihr Projekt «44 Irving Street» (1971) fotografierte Meiselas die Nachbarn im Studentenpensionat, die dafür an einem Ort ihrer Wahl posieren durften. Sie bat die Porträtierten in kurzen Texten zu beschreiben, wie sie sich auf der jeweiligen Fotografie wahrnehmen. Meist schrieben sie Geschichten auf, die allein dem Bild nicht zu entnehmen waren.

Für ihr Projekt «Carnival Strippers» (1972–1975) begleitete die Fotografin Stripperinnen von Stadt zu Stadt, durch New England, Pennsylvania und South Carolina, wo sie an Shows auftraten. Die Bilder entstanden sowohl im Rahmen von öffentlichen Darbietungen als auch im Privaten. Somit sollte einerseits die Wahrnehmung von aussen und andererseits ein Blick von innen gewährleistet werden – Reportage und Porträt zugleich. Meiselas wollte wissen, wie die Protagonistinnen sich selbst sehen, sie wollte hören, was sie über sich selbst sagen – und nicht beim vorgefassten Urteil stehenbleiben, sie seien bloss Opfer. Es ging ihr darum herauszufinden, was die Frauen zu solch einem Leben trieb. Und Meiselas interessierte auch, wie die Machtverhältnisse zwischen den Beteiligten funktionierten. Ein Schritt weiter ging diese Untersuchung schliesslich 1995 mit «Pandora’s Box». Diese Serie entstand in einem S&M-Club in New York. Auch hier wurden die Bilder mit Tonaufnahmen und Aussagen von Manager, Mätressen und Kunden ergänzt. Eine andere Art der Gewalt, da sie auf Wunsch der Beteiligten erfolgte, und eine andere Art von Macht, die von Frauen ausgeübt wurde.

«The camera is an excuse to be someplace you otherwise don’t belong. It gives me both a point of connection and a point of separation.»

Susan Meiselas

Mit dem Projekt «A Room of Their Own» nahm sich Meiselas vor wenigen Jahren dem Thema häusliche Gewalt an. Alles begann mit der Einladung, in einem Frauenheim im englischen Black County zu fotografieren. Dort stranden Frauen – zum Teil mit ihren Kindern –, die aus einem gefährlichen Zuhause fliehen mussten. Am Projekt beteiligt waren auch lokale Künstler, natürlich alle Bewohnerinnen des Heims, die gerne mitmachen wollten, und der Initiator Multistory. Das Zimmer im Heim repräsentiert für die Bewohnerinnen einen Wendepunkt. Meiselas fotografierte diese Räume – leer. Die fehlende Person ist aber im Bild jeweils dennoch spürbar. Die Leere wird zum Gemütszustand. Das Zimmer wirkt ambivalent, es kann einen Neubeginn bedeuten, aber auch ein Gefühl von Sesshaftigkeit vermitteln. In Seminaren und Gesprächen erzählten die Protagonistinnen ihre Geschichten und brachten ihre Gedanken und Gefühle zum Ausdruck. Alles mündete in ein Buch mit Fotografien, Collagen und Textbeiträgen. Die Anonymität von Personen und Orten wurde aus Sicherheitsgründen stets bewahrt.

«For me, the essence of documentary photography has always been to do with evidence.» 

Susan Meiselas

Susan Meiselas, «Dee and Lisa on Mott Street», Little Italy, New York City, USA, 1976 (Foto © Susan Meiselas / Magnum Photos)
Ab September im Kunst Haus Wien

In der Ausstellung werden unter anderem die hier beschriebenen Projekte gezeigt. Susan Meiselas bewegt sich mit ihren Arbeiten zwischen persönlichen, teils sehr intimen Einblicken und gesellschaftlichen, politischen Dimensionen. Sie ist sozial interessiert und schenkt der Rolle der Frau besondere Aufmerksamkeit. Seit 1976 gehört sie zur bekannten Fotoagentur Magnum und arbeitet als freie Fotografin. Mit ihrer besonderen Fähigkeit, Zugang zu den Sujets zu finden, gelingt es ihr, ausdrucksstarke Bilder zu schaffen, die sehr wohl die Geschichten unter der Oberfläche erzählen können. Ihr Interesse an der Beziehung zwischen Fotografin und Sujet und zwischen Bild und Kontext bildet einen roten Faden, der durch die verschiedenen Projekte und in diesem Fall durch die Ausstellung führt. 

Die Schau läuft vom 16. September 2021 bis 13. Februar 2022 im Kunst Haus Wien (Untere Weissgerberstrasse 13, 1030 Wien). Weitere Informationen zu «Susan Meiselas. Mediations» finden Sie auf der Website des Museums.
Susan Meiselas über ihre Arbeit und die Schau «Mediations», die 2018 in Paris zu sehen war.

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