Die Freude am Prozess
JONGER Architekten
9. maio 2024
Die Tgea Simonett besteht aus mehreren aneinandergebauten Häusern unterschiedlicher Epochen, darunter ein Backhaus-Anbau und eine Stallscheune. (Foto: Christian Jonasse)
Christian Jonasse und Esther Elmiger berichten, wie sie ein historisches Wohnhaus im Bündner Bergdorf Lohn über zwölf Jahre hinweg hergerichtet und sanft umgebaut haben. Die meisten Bauarbeiten erledigten die beiden selbst.
Frau Elmiger, Herr Jonasse, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?
Esther Elmiger: Das spätmittelalterliche Wohnhaus Simonett stand jahrzehntelang leer. Wir fassten 2012 den Plan, uns diese Bauruine langsam und grösstenteils in Eigenleistung anzueignen. Wie können wir die archaische Präsenz der Materialien erhalten? Erträgt die vorhandene Struktur eine Umdeutung und welchen Wohnkomfort wollen wir dabei erreichen? Diese Fragen standen am Anfang eines zwölfjährigen Bauprozesses.
Blick auf die Südfassade mit der zweiflügligen Rundbogentür im Erdgeschoss, dem Fensterband der Stube im Obergeschoss und dem Doppelfenster der Kammer im Dachgeschoss (Foto: Christian Jonasse)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?
Christian Jonasse: Historische Bauten weisen robusten Raumstrukturen mit grossen räumlichen und materiellen Qualitäten auf. Damit diese für den Entwurfsprozess produktiv werden, betrachten wir sie zu Beginn als «Ruinen», die ihre Bedeutung und ihren Zweck verloren haben. Programmanforderungen und Gebäudebestand in Beziehung zu setzen, gleicht oft einem Funkenschlag, der ein zusätzliches, unerwartetes Raumangebot eröffnet. Unsere Aufgabe besteht darin, diese potenziellen Räume zu erkennen und daraus einen Mehrwert zu generieren.
Um zusätzlichen Wohnraum unter dem kalten Dach zu schaffen, griffen wir auf ein im Bestand bereits angelegtes Prinzip der Wärmeverteilung zurück: Das bestehende Raumpaar – zwei aufeinandergestapelte Kammern in Strickbauweise – ergänzten wir um ein neues mit Küche und Schlafzimmer. Beide Paare werden jeweils über einen Holzofen beheizt und erhalten je nach Jahreszeit unterschiedliche Wohnqualitäten. Auf diese Weise erhielten wir die historische Rauchküche und machten die Erschliessung unter dem kalten Dach zum vielfältig bespielbaren Raum: Er ist Werkstatt, gedeckter Aussenraum und grosszügige Schmutzschleuse in einem.
Die Stube verfügt über einen historischen Ofen, die Einrichtung besteht aus vorgefundenen, restaurierten Möbel und Ergänzungen aus gehobeltem Altholzriemen. (Foto: Christian Jonasse)
Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?
Esther Elmiger: Das Programm für den Umbau stand von Beginn an fest. Die konkreten Bedürfnisse haben sich aber erst über die Jahre präzisiert, denn mit dem Leben und Arbeiten vor Ort lernten wir das Raumklima, die Lichtverhältnisse im Tagesverlauf und die Eigenheiten des Wetters in der Höhe kennen. Der langsame Baufortschritt gab uns die Gelegenheit, Pläne wieder zu verwerfen. Der historische Kontext hat dabei nie per se eine Rolle gespielt. Er war für uns vielmehr dann von Bedeutung, wenn er half, Antworten auf Fragen der Gegenwart zu finden. Die letztlich umgesetzten baulichen Lösungen sind getrieben von der Architektur, die uns in den jeweiligen Jahren umgeben und beschäftigt hat. Deren Grenzen wurden nebst dem niedrigen Budget auch durch unsere handwerklichen Fähigkeiten gezogen. Sie würden heute anders aussehen, würden wir das Projekt noch einmal von vorne beginnen.
Blick vom Podest der kalten Erschliessung in die Küche und links zur Stube (Foto: Christian Jonasse)
Wohnküche mit neuem Gewölbe, Specksteinherd und Küchenelemente (Foto: Christian Jonasse)
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten Ihres Büros ein?
Christian Jonasse: Seit unseren ersten Erfahrungen in der Projektrealisierung hat uns die Auseinandersetzung mit bestehenden Bauten begleitet. Für schwer vorfabrizierte Betongebäude aus den 1960er-Jahren konnten wir uns genauso begeistert wie für historische Strickbauten im Alpenraum. Seit unserem ersten gemeinsamen Projekt – ein Saunahaus im Garten eines bürgerlichen Landhauses aus den 1930er-Jahren – suchen wir stetig nach einer Entwurfshaltung, die sich zu historischem Bestand genauso äussern kann wie zu Bauten des 20. Jahrhunderts.
Badezimmer mit Terrazzo, gefertigt aus roten Steinen des stillgelegten Steinbruchs in Arzo (Foto: Christian Jonasse)
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?
Esther Elmiger: Für den Umbau des Hauses Simonett sind wir in die Rolle des improvisierenden Bricoleurs geschlüpft. Die vorgefundenen Lärchenbalken und die Steine der Bruchsteinmauern wurden wiederverwendet. Wir haben sie mit Materialien ergänzt, die uns interessierten – zum Beispiel einem rötlichen Terrazzo für das Badezimmer, dessen Steine wir im Steinbruch von Arzo selbst ausgesucht haben, oder dünnen Ziegel, aus denen das katalanische Gewölbe in der Küche konstruiert ist. Die Mauerausbrüche für die neuen Fenster dienten zur Instandsetzung der Mauerkronen, und aus den Lärchenbalken haben wir Einbauten und Möbel angefertigen. Kurz, wir haben alle vorhandenen Materialien als Ressourcen genutzt und konnten den Bauschutt mit einer einzigen Schubkarre entsorgen.
Das Vordach der Stallscheune wurde durch eines mit Kollektoren ersetzt. Dessen Tragwerk und die Bank darunter sind aus Holz der Unterkonstuktion des Gewölbes gefertigt. Der Sitzplatz besteht aus vorgefundenem Altholz. (Foto: Christian Jonasse)
Situation (© JONGER Architekten)
Grundriss Erdgeschoss (© JONGER Architekten)
Grundriss Obergeschoss (© JONGER Architekten)
Grundriss Dachgeschoss (© JONGER Architekten)
Längsschnitt (© JONGER Architekten)
Schnitt Küchengewölbe (© JONGER Architekten)
Tgea Simonett
Standort
Castatscha 3, 7433 Lohn
Nutzung
Ferienhaus
Bauherrschaft
Privat
Architektur und Bauleitung
JONGER Architekten GmbH, Zürich
Fertigstellung
2024
Investitionskosten BKP 0–9
CHF 0.20 Mio. + ca. 4'500 Stunden Eigenleistung für Planung und Ausführung
Gesamtkosten BKP 1–9
CHF 0.13 Mio. (Eigenleistungen nicht eingerechnet)
Gebäudekosten BKP 2
CHF 0.15 Mio. (Eigenleistungen nicht eingerechnet)
Gebäudevolumen
535 m3 (Wohnhaus, Backhaus und Stall nicht eingerechnet)
Kubikmeterpreis
250 CHF/m3 (Eigenleistung nicht eingerechnet)
Fotos
Christian Jonasse