Diskretes Casinolicht
Thomas Geuder
2. oktober 2014
Die jüngste Erweiterung der WGV schliesst die denkmalgeschützte «Alte Wache» mit ein, im Innenhof zwischen Alt- und Neubau befindet sich das «Casino». Bild: Thomas Geuder
Die Lichtplanung in einer Kantine ist eine Herausforderung, schliesslich soll das Essen auch am Tisch noch köstlich aussehen. Das «Casino» der WGV-Versicherung in Stuttgart besitzt obendrein vier omnipräsente Oberlichtbänder. All das fügt der Lichtplaner Gerd Pfarré zu einem ausgewogenen Licht-Ensemble.
Die Württembergische Gemeinde-Versicherung (WGV) in Stuttgart war einst in einem der wenigen Solitärbauten in Stuttgarts Innenstadt untergebracht: erbaut 1976, terrassenförmig angeordnet, mit 45°-Winkeln und Waschbeton-Fassade. Kein wirklich beliebter Bau war das bei den Stuttgartern, dennoch stellte er städtebaulich wie architektonisch eine willkommende Auflockerung im Stadtgefüge des Stuttgarter Kessels dar. Erforderliche Renovierungsarbeiten vor allem durch neue Brandschutzbestimmungen jedoch führten zu dazu, dass sich der Erhalt des Baus nicht mehr lohnte. So wurde er im Jahr 2011 (nach gerade mal 35 Jahren) wieder abgerissen und ersetzt durch einen Neubau des renommierten Berliner Büros Léon Wohlhage Wernik. Ganz dem Trend nach Personalisierung von Gebäuden folgend heisst der Bau nun «Caleido» und bietet viel Raum für Büros und weitere Nutzungen. Die WGV ihrerseits hat bereits in den 1980er-Jahren begonnen, sich in den Nachbarblock auszudehnen. Hier sind nach und nach (alle rund acht Jahre) Neubauten als Blockrandbebauung hinzu gekommen, auch parallel zum Abriss des alten Solitärs. Die letzten beiden Bauabschnitte wurde von den Berlinern Hascher Jehle Architektur entwickelt und erbaut. Sie komplettieren den Block und beziehen die «Alte Wache» an der südwestlichen Ecke des Grundstücks mit ein, ein denkmalgeschützter Backstein-Bau von 1890 und ehemalige Polizeistation, in dem sich nun ein Raum für Veranstaltungen befindet. Zwischen Neubau und Alter Wache spannt sich über drei zueinander leicht versetzte Ebenen die hauseigene Kantine auf, von den WGV-lern «Casino» genannt. Ihr Raum ist durch die Ebenen und entsprechenden Oberlicht-Bänder klar in Längsrichtung strukturiert.
Über den bestuhlten Bereichen wurden speziell entwickelte, lineare LED-Lamellen angeordnet, die für eine weiche, indirekte Grundbeleuchtung sorgen und akustisch wirksame Eigenschaften besitzen. Bild: Andreas J. Focke
So waren es genau diese architektonischen Besonderheiten, die die Herausforderung für die Lichtplanung waren. In diesen stark gegliederten Raum wollte der Lichtplaner Gerd Pfarré aus München die Beleuchtung so integrieren, dass sie so diskret und selbstverständlich wie möglich erscheint und zu einem Teil der Struktur wird. Zwischen den vier Lichtbändern, die viel natürliches Licht in den Raum lassen, befinden sich drei Deckenbänder, die wunderbar mit Licht bespielt werden. Zu diesem Zweck realisierte Gerd Pfarré zusammen mit der ebenfalls aus München stammenden Leuchtenmanufaktur Lichtlauf speziell für diesen Raum angefertigte Akustik-Licht-Baffeln (das sind Deckensegel), die ein weiches, absolut gleichmässiges Allgemeinlicht erzeugen. Dazu sind in der Oberkante der Baffeln LED-Lichtleisten (ca. 13 W/m, 3000 °K) von unten unsichtbar integriert, die indirekt nach oben abstrahlen und das Licht über die Decke in den Raum hinein reflektieren.
Die Baffeln absorbieren ausserdem einen Teil des Schalls, sodass es im Casino auch bei voller Auslastung nie zu laut wird. Zwischen den Baffeln versetzbar eingehängt befinden sich (ebenfalls speziell für dieses Projekt entworfene) LED-Spotwürfel, die für ein direktes, aber blendfreies Licht auf den Tischen sorgen. Die Seiten in den Tageslichtbändern sind ausserdem mit langen und farbenreichen Kunstwerken ausgestattet, die von von linearen LED-Profilen auf der gegenüberliegenden Seite beleuchtet werden. Das so durch die Farbpigmente vor allem in den Abendstunden erzeugte Licht verleiht dem Raum eine besondere Atmosphäre.
Im Kantinen-Neubau verfolgt die Lichtplanung das Prinzip der wohl bedachten, dezenten Beleuchtung. Bild: Andreas J. Focke
Für die Räume in der Alten Wache hat sich Gerd Pfarré ein anderes Konzept überlegt. Denn hier bestimmen nicht Tageslichtbänder den Raum, sondern einzelne, rechteckige Oberlichter sowie (ganz normal) Fenster in der Aussenfassade. Für eine spannende Beleuchtung sorgen hier zahlreiche verschieden grosse, unregelmässig 12-eckige Pendelleuchten, die frei im Raum verteilt sind. Sie sind mit Kompaktleuchtstofflampen 32 W bzw. 26 W ausgestattet und können per elektronischem Vorschaltgerät und DALI getrennt voneinander geschaltet und gedimmt werden. Eine zentrale Elektromontageeinheit aus Aluminium nimmt EVG, Fassung sowie Leuchtmittel auf, und dient als Verteilerdose zur nächsten Einheit. Die Leuchtkörper selbst bestehen aus transluzentem Polycarbonat und sind deswegen sehr leicht. Je drei bis fünf der Y-förmig an der Zuleitung abgependelten Leuchten bilden eine «Kette», die mit einfachen Kunststoffhaltern in variierenden Abständen an der Decke befestigt sind. Nicht nur die Räumlichkeiten dieses Teils des Casinos sind mit den Pendelleuchten ausgestattet, sondern auch der Besprechungsraum in der Stirnseite der Alten Wache, die städtebaulich die Ecke des Geländes bildet. Hier leuchten sie in den Abendstunden, sodass von aussen gesehen bei Dämmerung ein spannendes Spiel zwischen altem Gemäuer und modernen Leuchten entsteht. Schön ist auch immer wieder, wenn aus einer solchen projektbezogenen Zusammenarbeit mehr entsteht. So ist die Pendelleuchte zukünftig als Serienmodell bei Lichtlauf erhältlich und trägt den schönen Namen: «Casino».