Stiefel ahoi!
Susanna Koeberle
27. november 2018
Modell «stival» in blau (L) und orange (M). Bild: sk
Hochwasser ist ein Problem in Venedig. Ansätze zur Lösung dieses Problems gibt es. Auch ganz praktische Ideen.
Wenn sie kommt, verändert sie das Gesicht der Stadt: die acqua alta (Hochwasser) in Venedig. Der Spuk dauert zwar jeweils nur wenige Stunden, ist aber dennoch ein ernst zu nehmendes Problem. Die Wirkung von Ebbe und Flut ist in der Lagunenstadt immer zu beobachten, von acqua alta spricht man dann, wenn der Wasserspiegel bei Flut über 90 cm steigt. Das ist vor allem im Spätherbst und Winter der Fall. Bei einem Zusammenkommen von niedrigem Luftdruck und starker Flut schiebt der Wind das Wasser landeinwärts und kann, wie dies etwa kürzlich Ende Oktober geschehen ist, weite Teile der Stadt unter Wasser setzen. Seit 2007 kommen solche Hochwassersituationen vermehrt vor, was einige Forscher auf den Anstieg des Meeresspiegels wegen der Klimaerwärmung zurückführen. Pessimistische Schätzungen gehen sogar davon aus, dass die Stadt bis 2100 versunken sein könnte. Um dieses Szenario zu verhindern, begann man 2003 mit dem Bau von MOSE (modulo sperimentale eletromeccanico), einem Sturmflutsperrwerk, das aufgrund von verschiedenen Unwegsamkeiten (2014 kamen im Zusammenhang mit diesem Projekt Korruptionsskandale ans Licht, zudem verzögern technische Probleme den Bau) noch nicht fertig gestellt ist. Eine Inbetriebnahme könnte erst 2022 erfolgen – falls sich bis dann nicht bestätigt, dass die Instandhaltung des Bauwerks mehr Aufwand als Nutzen mit sich bringt.
Nun, diesen politischen Ökonomien begegnet man zwischenzeitlich auf eine ganz pragmatische Art und Weise. Was eine andere Form der Ökonomie erzeugt. Denn auch wenn man gegen die acqua alta scheinbar wenig unternehmen kann: Die damit verbundenen Probleme müssen dennoch gelöst werden. Wie kommt man bei acqua alta von A nach B, ohne sich die Füsse nass zu machen? Natürlich gäbe es dafür auch eine ganz einfache Lösung: Man müsste im November bei einem Venedigbesuch immer auch ein paar Gummistiefel einpacken. Da dieses Schuhwerk naturgemäss weder besonders bequem noch sehr praktisch zum Transportieren ist, unterlässt man das. Und steht dann nach dem x-ten Versuch einen trockenen Weg zu finden, ratlos vor der nächsten überfluteten Gasse.
Natürlich sind einem mittlerweile schon verschiedentlich die aparten Überzieher (eine Art Präservativ für die Beine) aufgefallen, die jeder zweite Mensch trägt (daran erkennt man Touristen noch deutlicher). Die Venezianer tragen hohe Gummistiefel oder behelfen sich mit Plastiksäcken um die Füsse. Für die Touristen haben findige Leute in den letzten Jahren faltbare «Stiefel» entwickelt, die leicht und praktisch sind und in jeder Handtasche Platz finden. Einer der ersten war offenbar der Stiefel «Goldon», es folgten Nachahmermodelle. Auf jeden Fall ein Nischenprodukt. Interessant ist die Vielfalt der Modelle. Farben, Machart, leichte Materialvarianten (alle sind natürlich aus Plastik) variieren und verwandeln Venedig in einen Laufsteg der Gummistiefelmoden. Die Teile sind made in China (meine jedenfalls) und können mehrfach verwendet werden – immerhin. Verkauft werden die Stücke sowohl an Kiosken wie auch von «illegalen» Händlern. Venedig werden sie nicht retten, bieten aber immerhin kurzfristig eine Lösung für Alltagsprobleme.