Neues Gesicht für eine Ikone? Nein danke!
Elias Baumgarten
9. juni 2022
Foto © Bitter + Bredt
Die Westfassade der Hochhausscheibe der GSW-Hauptverwaltung von Sauerbruch Hutton in Berlin soll erneuert und umgestaltet werden. Das ist architektonisch, ökologisch, aber auch wirtschaftlich fragwürdig und ein falsches Signal.
Die GSW-Hauptverwaltung ist ein Stück Berliner Architekturgeschichte: Als die Anlage, die aus fünf eigenständigen Baukörpern besteht, in den 1990er-Jahren an der Rudi-Dutschke-Strasse errichtet wurde, war sie zukunftsweisend – und das in mehrerlei Hinsicht. Dem Team von Sauerbruch Hutton war es gelungen, die vielen historischen Anknüpfungspunkte aus Berlins bewegter (Architektur)Geschichte aufzunehmen – die barocke Logik des Stadtgrundrisses, die Verdichtung im 19. Jahrhundert, die Bombardements und den Wiederaufbau, die schmerzhaften Dekaden der Teilung. Zudem wirkte besonders die Hochhausscheibe mit ihren Fassaden in Rottönen identitätsstiftend – gerade auch weil ihre Farbigkeit den Idealen des Senatsbaudirektors Hans Stimmann zuwiderlief, die ansonsten zur Jahrtausendwende die Stadt prägten, und so für erfrischende architektonische Diversität sorgte. An seinen strengen Vorgaben, die in den frühen 2000er-Jahren mit zur «Versteinerung» Berlins führten, wäre die Gestaltung, mit der Sauerbruch Hutton anfangs der 1990er-Jahre den Wettbewerb gewannen, vermutlich gescheitert.
Doch nicht nur architektonisch und städtebaulich war das Gebäudeensemble ein Meilenstein, sondern auch ökologisch. Vieles, was heute Common Sense ist, war in den 1990er-Jahren innovativ. Die Hochhausscheibe (heute: «Rocket Tower») hat einen schmalen Grundriss, um das Tageslicht bestmöglich zu nutzen. Ihre Doppelfassade gestattete eine natürliche Belüftung, und Beton wurde gezielt als Speichermasse eingesetzt. Die charakteristische Westfassade besteht aus Sonnenschutzblenden in neun Rottönen (Sonderfarben). Diese geschosshohen Bauteile aus Metall sind perforiert und lassen sich sowohl drehen als auch verschieben. Auf diese Weise wird eine individuelle Licht- und Blicksteuerung möglich. Die Architektur verändert ihr Erscheinungsbild permanent.
Foto © Bitter + Bredt
Doch nun ist die GSW-Hauptverwaltung Gegenstand eines handfesten Streits geworden. Was ist geschehen? Heute gehört die Anlage der Sienna Real Estate Property Management Germany GmbH. Und diese möchte dem Hochhaus ein «neues Gesicht» verpassen. Die besagten Sonnenschutzpaneele auf der Westseite, die inzwischen in die Jahre gekommen sind, sollen durch Stoffbehänge ersetzt werden, die sich lediglich vertikal auf- und wieder einrollen lassen. Auch die charakteristischen Rottöne, für viele Kreuzberger*innen Teil der Identität ihres Stadtteils, sollen verschwinden: Die Stoffbehänge sollen in Standardfarben ausgeführt werden, die von der bisherigen Farbgestaltung gänzlich abweichen. Die Sienna GmbH sieht die neuen Farben derweil positiv, wie eine Erklärung zeigt, die der Tagesspiegel zu Monatsbeginn zitierte – eben als neues Gesicht.
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Sauerbruch Hutton reagierten Ende Mai mit einem Offenen Brief an die Eigentümerin. Die Petition der Architekt*innen wurde seither tausendfach unterzeichnet. Zu den Unterstützer*innen gehören wichtige Persönlichkeiten der deutschen Architektur-, Kunst- und Kulturszene. Und auch aus der Schweiz gibt es Rückenwind: ETH-Professor Kees Christiaanse hat genauso unterschieben wie Patrick Gmür, der einstige Direktor des Zürcher Amtes für Städtebau, und Regula Lüscher, Berlins ehemalige Senatsbaudirektorin. Auch meldeten sich viele prominente Vertreter*innen der Schweizer Szene in den sozialen Netzwerken zu Wort, zum Beispiel S AM-Direktor Andreas Ruby. Doch bisher haben Sauerbruch Hutton keine Antwort auf ihren Appell erhalten. Es bleibt zu hoffen, dass beide Parteien möglichst rasch in einen konstruktiven Austausch kommen.
Ob das Team von Sauerbruch Hutton unterdessen davon profitieren kann, dass architektonische Arbeiten in Deutschland urheberrechtlich geschützt sind, ist ungewiss. Die Interessen des Urhebers wären gegen jene des Eigentümers abzuwägen – Ausgang offen. Wie kompliziert, langwierig und auch unschön eine solche Auseinandersetzung werden könnte, zeigen beispielsweise die Querelen um die Sanierung des Münchner Kulturzentrums Gasteig.
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Berlin gehört momentan zu den architektonisch und (bau)politisch interessantesten Städten in Europa. Die Herausforderungen für Architekt*innen, Politik und Bauherr*innen sind enorm: Es fehlt an Wohnraum, wobei sich die Frage stellt, ob allein der massenweise Neubau von Wohnhäusern die Lösung sein kann oder ob es vielmehr einer intelligenten Nutzung des Bestandes, Massnahmen gegen die Spekulation und einer Verringerung des Platzbedarfs pro Kopf bedarf. Auch muss die künftige Stadtentwicklung mit den Zielen des Klimaschutzes verträglich sein und architektonisch qualitätsvoll sowieso. Und all das in Zeiten von Pandemie und Krieg, in denen Investitionen schwerer fallen als auch schon. Kurzum, man schaut im In- und Ausland auf die Stadt und verfolgt ihre Entwicklung genau. Ohnehin, aber gerade vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung der Sienna Real Estate Property Management Germany GmbH umso unglücklicher. Ein Schlüsselbaustein der jüngeren Berliner Architekturgeschichte würde erheblich beeinträchtigt, noch dazu ein Pionier des klimabewussten Bauens. Zudem würde viel vermeidbarer Abfall entstehen und eine beachtliche Menge CO2 emittiert.
Bessere wäre, die markante Fassade der mehrfach preisgekrönten Anlage zu reparieren. Damit könnte die Eigentümerin ein zeitgemässes Signal setzen. Sie würde sich für den Klimaschutz und die Wertschätzung des Bestehenden einsetzen und die Identität des Stadtteils stärken. Das wäre ökologisch, ökonomisch und sozial sinnvoll. Es ist Zeit, verantwortungsbewusst und weitsichtig zu handeln – für alle.
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Die Sonderfarben der bestehenden Westfassade des GSW-Hochhauses. Künftig könnte die Fassade in ganz anderen (Standard)Farben gestaltet sein, etwa auch in Blau-, Grau- und Grüntönen. (Ansicht © Sauerbruch Hutton)
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