«Kunst kann uns zu besseren Menschen machen»

Susanna Koeberle
14. februari 2020
Ai Weiwei vor seinem Werk «Safety Jackets Zipped the Other Way» (Foto: Hornbach)

Dass Ai Weiwei sofort zusagte, als Hornbach ihn für eine Kollaboration anfragte, erstaunt nicht sonderlich. Der chinesische Künstler, dessen Namen auch Nichteingeweihte aussprechen können, ist gelernter Schreiner und hat offenbar auch ein Faible für Werkzeuge. Berührungsängste mit Fragen des Alltags kennt er auch nicht. Für ein Projekt mit dem Baumarkt-Riesen scheint Ai Weiwei also die perfekte Besetzung. Am Dienstag präsentierte er in seinem Berliner Atelier seine Arbeit «Safety Jackets Zipped the Other Way». Das Kunstwerk besteht aus mehreren industriellen Warnschutzjacken, die mittels Reissverschlüssen miteinander verbunden werden. Ob man sie zuhause als weiche Riesenskulptur auf eigens dafür gedachte Stahlrohre platziert, an Haken hängt oder als «safety outfit» (so der Künstler) tragen möchte, ist jedem und jeder überlassen. Die Arbeit sei typisch für ihn, sagt der Künstler in einem Video, das zur Verbreitung der frohen Botschaft (man nennt das auch Werbung) gedreht wurde: «Sie ist einfach, direkt und unprätentiös». 

Diese Kunst kann man auch tragen. (Foto: Hornbach)

Die Arbeitsjackenskulptur nimmt auf eine ältere Arbeit des Künstlers aus den 1980er-Jahren Bezug. Readymades waren schon früh Teil von Ai Weiweis Œuvre. Beim Prinzip der Verfremdung spielt nicht das Objekt an sich die Hauptrolle, sondern die Kontextverschiebung. Die Funktionsentfremdung macht aus einem banalen Gegenstand Kunst – magisch und simpel zugleich, denn alle können das eigentlich machen. So möchte sich Ai Weiwei mit diesem Werk in erster Linie ans grosse Publikum richten und nicht an Sammler*innen oder Kunst-VIPs. «Kunst gehört allen, alle können Kunst machen», paraphrasiert der basisnahe Gestalter das Diktum von Joseph Beuys («Jeder Mensch ist ein Künstler»). Detaillierte Anleitungen zur Erstellung der unterschiedlichen Varianten des Kunstwerkes sind auf der Website von Hornbach verfügbar. Alles sehr professionell, inklusive dem Haftungsausschluss, falls man nicht sachgerecht vorgehen sollte.

Die Do-it-yourself-Welle (DIY) kam in den 1970er-Jahren auf. Schon damals gaben Designer wie Enzo Mari Anleitungen zur Herstellung von Möbeln («autoprogettazione»). Moden haben so ihre Zyklen und so ist heute DIY wieder salonfähig geworden. Mit «Werkstück» nahm auch Hornbach das Thema des selbst gemachten Designerstücks wieder auf. Und nun ist also die Kunst an der Reihe. Ganz neu ist die Idee, welche in Zürich durch die Agentur «Neutral» entwickelt wurde, nicht. So gab etwa Rudolf Stingel Schritt-für-Schritt-Anleitungen zur Herstellung eines eigenen «Stingels». Dieses Konzept im kommerziellen Kontext umzusetzen, ist aber schon ein ziemlich geschickter Marketingschachzug. Heute ist ja Partizipation zum moralischen Imperativ mutiert. Von Kunst kann man immer lernen: Sie mache die Welt nicht zu einem besseren Ort, aber könne uns zu besseren Menschen machen, findet Ai Weiwei.

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