Irritation und Bruch
Manuel Pestalozzi
25. augustus 2020
Von Norden betrachtet, legt sich der Neubau im Entwurf von Dorte Mandrup fast wie ein Mantel um die Portalruine des einstigen Anhalter Bahnhofs. (Visualisierung: Mir / Dorte Mandrup Arkitekter A/S)
Von Berlins Anhalter Bahnhof ging es einst nach Mittel- und Süddeutschland, Österreich und Italien. Hinter den letzten Überresten des Terminals soll ein Exilmuseum entstehen. Den Architekturwettbewerb hat das Büro Dorte Mandrup aus Kopenhagen gewonnen.
Seit Jahrhunderten kehren Deutsche aus unterschiedlichen Gründen ihrer Heimat den Rücken. Während die einen wirtschaftlichen Chancen folgen, mussten andere fliehen, um ihre Freiheit zu bewahren oder gar ihr blankes Leben zu retten. Zahlreiche Länder profitierten: die USA, die Türkei, Israel, Russland und viele andere. Der berühmteste Auswanderer unten den deutschen Architekten ist wohl, mindestens aus Schweizer Sicht, Gottfried Semper. In Zürich sind bis heute die Spuren des Revolutionsflüchtlings zu bewundern.
Beim geplanten Museum in Berlin geht es allerdings nur um eine streng eingegrenzte Zeitperiode: 1933 bis 1945. Diese Fokussierung mag insofern verwundern, als hinter der Stiftung Exilmuseum Berlin die Schriftstellerin Herta Müller steht. Die Literaturnobelpreisträgerin des Jahres 2009 wurde 1953 in Rumänien geboren, reiste in den 1980er-Jahren nach Deutschland aus und lebt heute in Berlin.
Erklärtes Ziel der Stiftung ist, ein Museum zum Thema «Exil 1933–1945» an einem zentralen Berliner Ort aufzubauen. Darin soll neben der Vermittlung des historischen Themas der «Inhalt des Wortes Exil begreifbar gemacht werden», so Herta Müller. Auch die Relevanz des Themas für unsere Gegenwart soll behandelt werden. Seit mehreren Jahren ist bekannt, dass der Standort des künftigen Exilmuseums auf dem bezirkseigenen Grundstück südwestlich der Portalruine des 1959 abgerissenen Anhalter Bahnhofs am Askanischen Platz sein soll. Gemäss der Stiftung birgt der Ort hohe Symbolkraft, da von hier aus Tausende aufbrachen, um der Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu entkommen. Zugleich stehe das Areal als späterer Deportationsbahnhof auch für das Schicksal jener, denen die rettende Flucht nicht mehr gelang.
Die Beziehung zwischen dem Neubau und dem Überbleibsel aus der Gründerzeit ist alles andere als harmonisch. (Visualisierung: Mir / Dorte Mandrup Arkitekter A/S)
DisharmonieVor diesem bedeutungsschweren Hintergrund war eine weitere Berliner Gedenkstätte zu planen, die zur Auseinandersetzung mit dem sogenannten Dritten Reich einlädt. Dorte Mandrup und ihrem Team gelang dies nach Überzeugung der zehnköpfigen Jury, bestehend aus Architekt*innen und Vertreter*innen aus Politik und Gesellschaft, am besten. Das Projekt wird der Öffentlichkeit bis jetzt ausschliesslich mittels dreier Visualisierungen präsentiert; sie geben lediglich einige Aspekte des Solitärs wieder.
Entfernt erinnert der Entwurf mit der horizontalen Dachkante an expressionistische Studien von Hans Poelzig und Arbeiten von Louis Kahn: Eine nach Norden konkav gekrümmte Sichtbacksteinfassade erhebt sich über weit gespannten Bögen, die in den Ecken Bodenberührung aufnehmen. Das als umlaufendes Band in Erscheinung tretende, enge Öffnungsraster lässt Blicke auf die grossen, dahinter liegenden Glasscheiben zu. Die Vielschichtigkeit und eine gewisse Fragilität, welche die monumental wirkende Hülle konterkarieren, weisen möglicherweise auf die Unwägbarkeiten des Schicksals hin. Der Bezug des eleganten, dünnhäutigen Neubaus zur weiterhin freistehenden, wuchtigen Portalruine hinterlässt Irritationen. Die beiden passen nicht zusammen – doch vielleicht ist das Absicht. Schliesslich sind die diversen Baustile und das manchmal damit einhergehende unangenehme bauliche Nebeneinander in den einst im Krieg zerstörten deutschen Innenstädten auch Folge der Zeit zwischen 1933 und 1945.
Ein erster Blick hinter die Kulisse des Neubaus offenbart eine überraschende fragile Wirkung. (Visualisierung: Mir / Dorte Mandrup Arkitekter A/S)
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