Die bescheidene Pionierin

Eduard Kögel
22. november 2023
Hannah Schreckenbach 1968 in Takoradi an der ghanaischen Küste. (Foto: © Archiv Hannah Schreckenbach, mit freundlicher Genehmigung durch Thomas-W. Meyer)

1957 errangen die britischen Kronkolonien Goldküste und British-Togoland unter dem Namen Ghana die Unabhängigkeit. Die Euphorie war gross, und die Einheimischen hofften auf eine schnelle Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse. Doch dafür benötigte der junge Staat dringend Fachleute, an denen es im Land fehlte, hatten die Kolonialherren doch wenig in die Ausbildung der lokalen Bevölkerung investiert. Deshalb kam auch die junge deutsche Architektin Hannah Schreckenbach 1960 im Alter von 28 Jahren ins Land, wo sie die folgenden 22 Jahre arbeiten sollte. Die während dieser Zeit sehr unruhige politische Lage mit nicht weniger vier Militärputschen (1966, 1972, 1978 und 1979) war jedoch alles andere als günstig.

Dieses Gruppenfoto zeigt Hannah Schreckenbach mit Studenten ihres Entwurfsseminars und den Ältesten 1980 in Tafiefe in Ghanas Voltaregion. (Foto: © Archiv Hannah Schreckenbach, mit freundlicher Genehmigung durch Thomas-W. Meyer)

Hannah Schreckenbach wuchs in Magdeburg auf und machte Anfang der 1950er-Jahre in Dresden eine Maurerlehre. Bis 1955 studierte sie dort Architektur. Nach dem Vordiplom floh sie jedoch in die Bundesrepublik, wo sie in Karlsruhe ihr Studium 1958 mit dem Diplom abschloss. Es folgte ein Nachdiplomstudium am University College London, und für kurze Zeit arbeitete die junge Architektin in der britischen Kapitale als Stadtplanerin. Da machten Kommilitonen aus Ghana sie auf den postkolonialen Aufbruch in Westafrika aufmerksam, und im September 1960 kam Hannah Schreckenbach schliesslich nach Accra. 

Als Architektin und Planerin im Public Works Department (PWD) baute sie in Beton und Ziegel, wie es Anfang der 1960er-Jahre Standard war. Aber schon bald entdeckte sie die traditionelle Lehmbauweise in den ländlichen Regionen Ghanas. Sie dokumentierte die Dorf- und Wohnanlagen mit ihrem charakteristischen Ausdruck und gab von 1975 bis 1982 ihr Wissen an der Universität an die junge Generation weiter. Hannah Schreckenbach befasste sich mit der verschwindenden indigenen Baukunst im Norden des Landes und propagierte angepasste Technologien für das Bauen. 

Mole Game Reserve Motel, 1962 (Foto: © Archiv Hannah Schreckenbach, mit freundlicher Genehmigung durch Thomas-W. Meyer)

Eines der ersten Projekte von Hannah Schreckenbach, das 1961/62 realisierte Mole Motel, liegt im Mole-Nationalpark im Nordwesten des Landes. Bis heute dient das Motel als Unterkunft für Gäste und hat die über 60 Jahre seiner Existenz recht gut überstanden. In einer linearen Anordnung hat die Architektin einen Swimmingpool mit dahinterliegendem Restaurant sowie eine Reihe kleiner Pavillons entworfen und vor Ort im Bau betreut. Das Restaurant hat ein charakteristisches Dach mit flach geneigten Flächen, die in einer kontrastreichen Zickzacklinie auf die Sandsteinmauern des Baukörpers gesetzt sind. Der weite Dachüberstand schützt vor Sonne und Regen. Die Pavillons sind aus demselben Material gebaut, aber mit einem Flachdach ausgestattet.

Postamt Mambrobi, Accra, 1974 (Foto: © Archiv Hannah Schreckenbach, mit freundlicher Genehmigung durch Thomas-W. Meyer)

Zwischen 1970 und 1972 war die Architektin für die Erweiterung und den Umbau des Parlamentsgebäudes in Accra zuständig. Eine erstaunliche Aufgabe, die sie in einem europäischen Land als Frau zu jener Zeit sicher nicht übertragen bekommen hätte. Den vorhandenen zweigeschossigen Bau aus der Kolonialzeit erweiterte Hannah Schreckenbach unprätentiös um einen dreigeschossigen Flügel, der alle Elemente einer an das Klima angepassten Architektur zeigt: Die Schmalseite nach Süden ist weitgehend geschlossen, während die Seitenfassade mit horizontalen und vertikalen Verschattungselementen ausgestattet ist. Heute nutzt die 1993 geschaffene Commission on Human Rights and Administrative Justice (CHRAJ) das Gebäude, das nach einem Brand gerade saniert wird.

Erweiterung des Parlaments, Accra, 1971 (Foto: © Archiv Hannah Schreckenbach, mit freundlicher Genehmigung durch Thomas-W. Meyer)

Bereits als sie Anfang der 1960er-Jahre in den Nordwesten des Landes reiste, entdeckte Hannah Schreckenbach die vielen ethnischen Gemeinschaften, die jeweils eigene, aber sehr charakteristische Bautraditionen pflegten. Zumeist wurde zum Bau Lehm verwendet und die räumliche Anordnung um Höfe zu sogenannten Compounds arrangiert. Zudem waren die Bauten mit abstrakten Mustern verziert, die die Architektin faszinierten. Bald veröffentlichte sie einen Teil ihrer fotografischen und zeichnerischen Dokumentation.

1975 ging Hannah Schreckenbach als Senior Lecturer an die Fakultät für Architektur der University of Science and Technology in Kumasi, wo sie sich mit angepassten Technologien befasste. Sie hielt Vorlesungen und betreute Studios mit den Studenten. Ausserdem forschte sie weiter zu Dachkonstruktionen im Norden des Landes. Bevor sie Ghana 1982 verliess, schrieb sie mit Unterstützung der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) ein Lehrbuch mit dem Titel «Construction Technology for a Tropical Developing Country», bei dem ihr Jackson G. K. Abankwa half und das bis heute von den Studierenden genutzt wird.

Die Bundesrepublik verlieh ihr 1981 das Bundesverdienstkreuz für ihr Engagement in Ghana. Nach der Rückkehr arbeitete sie bis 1997 für die GTZ, wo sie vor allem beratend Projekte in Afrika betreute. 1992 war sie Gründungsmitglied des Dachverbands Lehm e. V. und trug somit in Deutschland zur Rehabilitation des alten Naturbaustoffs bei. Hannah Schreckenbach, die in den letzten Jahren einen Blog betrieb, in dem sie ihre Erinnerungen veröffentlichte, verstarb im Alter von 91 Jahren im Juli dieses Jahres in Magdeburg.

Hannah Schreckenbach in einem Hof bei Sirigu, Nordghana, 1974 (Foto: © Archiv Hannah Schreckenbach, mit freundlicher Genehmigung durch Thomas-W. Meyer)

Wichtige Bauten in Ghana

  • Mole Motel, Mole-Nationalpark, 1961/62
  • Nautical College of Engineering in Nungua, Accra, 1968
  • Erweiterung und Umbau des Parlamentsgebäudes in Accra, 1970–1972
  • Postamt in Mambrobi, Accra, 1972–1975

 

Wichtige Publikationen

  • Hannah Schreckenbach, «Ghana: Alte und neue Wohnbauformen», in: Baumeister, 4/1966, S. 407–412.
  • Hannah Schreckenbach, «Wohnzellen + Arbeitszellen = Biotektur? Volksarchitektur in Nordghana», in: Baumeister, 2/1969, S. 169–177.
  • Kojo Gyinaye Kyei, illustriert von Hannah Schreckenbach, «No Time to Die», Accra/Ghana: Catholic Press, 1975.
  • Hannah Schreckenbach mit Jackson G. K. Abankwa, «Construction Technology for a Tropical Developing Country», Eschborn: GTZ, 1983.

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