Collagierte Bildräume
Susanna Koeberle
10. november 2020
Farbige Flächen und fotografische Tapete wechseln sich als Hintergrund für die Arbeiten von Shirana Shahbazi ab. (Foto: Sebastian Schaub, mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin und der Galerie Peter Kilchmann, Zürich)
Shirana Shahbazis Arbeiten fordern unsere Sehgewohnheiten heraus. Zurzeit zeigt die Zürcher Galerie Peter Kilchmann neue Werke, die teilweise während des Lockdowns entstanden sind.
In der künstlerischen Praxis von Shirana Shahbazi ist die Auseinandersetzung mit dem Thema Raum zentral. Dieser Aspekt zeigt sich insbesondere an der Art, wie die Zürcher Künstlerin Bildräume konstruiert. Und gerade die räumlichen und farblichen Inszenierungen ihrer fotografischen Arbeiten zeigen, wie stark sich Shahbazi für das Verhältnis von reellen und imaginierten (das heisst auch künstlich hergestellten) Räumen interessiert. Diese Recherche situiert sich allerdings stets im Spannungsfeld zwischen Abbild und Betrachter*in, sie geschieht nie um ihrer selbst willen. Es geht also nicht um die Thematisierung von «Realität» als solche, sondern um unsere Begegnung damit. Dass diese Begegnung einer physischen Erfahrung im Raum bedarf, wird einem als Besucherin der Ausstellung in der Galerie Peter Kilchmann, wo neue Arbeiten der Künstlerin gezeigt werden, besonders bewusst. Wenn wir durch die mittels Farbflächen strukturierten und dekonstruierten Galerienräumlichkeiten gehen, entsteht eine Gleichzeitigkeit von Schauen und Verstehen, die sich nicht einstellen würde, wenn wir diese Räume digital vermittelt bekämen. Durch die unmittelbare Begegnung mit den Werken verorten wir uns nicht nur in diesem konkreten Raum, die Arbeiten schaffen auch eine Brücke nach aussen: Wir werden zugleich auf die Wahrnehmung unserer Lebenswelt aufmerksam. Denn auch Gefühle wie Zugehörigkeit oder Ausgeschlossensein sind eng mit der Frage nach der Durchlässigkeit und Konstruktion des Räumlichen verwoben.
Vertrautes trifft auf Fremdes – für die neusten Werke arbeitete die Künstlerin auch mit Bildern, die ihr ihre Familie aus Teheran zuschickte. (Foto: Shirana Shahbazi, ohne Titel, 2020, C-Druck auf Aluminium, mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin und der Galerie Peter Kilchmann, Zürich)
Shahbazi arbeitet mit dem Mittel der Verdichtung, mit Überlagerungen von Bildern. Wir sehen auf den Fotografien vertraute Dinge: Architektur, Innenräume, Oberflächen, Pflanzen oder etwa Früchte, ganz selten tauchen auch Menschen auf. Manchmal ist das Dargestellte auch abstrakt: Wir erkennen nur Linien, Umrisse oder Fragmente. Diese collagierten Bildwelten erzeugen eine Mehrdeutigkeit und Komplexität, die von der Künstlerin gewollt ist. Damit liefert sie uns auch die Möglichkeit, verschiedene Zugänge und Lesarten zu den Arbeiten zu finden. Mehrdeutigkeit heisst für die Künstlerin nicht, wegzuschauen oder Tatschen zu verwischen. Es sei eher ein Zugeständnis an Wahrheiten im Plural, wie sie im Gespräch erklärt. Das Collagieren ist keine formale Spielerei, sondern erhält eine quasi existenzielle Tragweite. Aus dieser Perspektive lässt sich für sie auch über Identität sprechen.
Shahbazi erarbeitet für ihre Ausstellungen stets eine präzise räumliche Szenographie. (Foto: Sebastian Schaub, mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin und der Galerie Peter Kilchmann, Zürich)
Diese Fragestellung hat auch mit Shahbazis persönlicher Geschichte zu tun. 1974 in Teheran geboren, wuchs sie bis zu ihrem elften Lebensjahr in der Hauptstadt Irans auf, ehe sie mit ihrer Familie nach Deutschland emigrierte. Sie reiste danach wiederholt ihre «Heimatstadt» und dokumentierte diese Reisen auch fotografisch – wobei ihr der traditionelle Begriff der Heimat zugleich fremd ist. Das stetige Gefühl am «falschen Ort zu sein» sieht sie heute als Stärke. Das Fremdsein lässt sich allerdings nicht nur in ihrer Biographie verankern, denn es ist ein Zustand, den auch Menschen kennen können, die durchaus an einem Ort verwurzelt sind. Die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Realitäten erleben wir auch in unserem Alltag. Einen spezifischen Aspekt davon führte uns der Lockdown vor Augen. Menschen auf der ganzen Welt versuchten, entfernte Orte miteinander zu verbinden. Bildschirme wurden zu einer Art Ersatz für die physische Begegnung.
Die kleineren Arbeiten wurden mit dicken Rahmen aus Keramik versehen, die wiederum eine eigene Plastizität besitzen. (Foto: Shirana Shahbazi, ohne Titel, 2020, C-Druck auf Aluminium mit handgemachtem Rahmen aus Keramik, mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin und der Galerie Peter Kilchmann, Zürich)
Diesen Substitutionsmoment macht Shahbazi auch in ihren aktuellen Arbeiten sichtbar. Die unterschiedlichen Bildebenen sind teilweise durch schwarze Balken markiert. Dadurch gewährt sie uns Einblick in die Entstehung ihrer Bilder. Sie zeigt damit zugleich auf, wie jedes Abbild der Realität konstruiert ist. Die einzelnen Arbeiten stehen für das Fragmentarische; die Inszenierung in den Galerienräumlichkeiten hingegen kann als Versuch gelesen werden, diese getrennten Welten wieder in Beziehung zueinander zu bringen. Bilder einfach so an die Wand zu hängen, interessiert Shahbazi nicht. Jede Ausstellung bedeute auch eine feindliche Übernahme des Raumes, sagt sie. Die räumliche Szenographie bildet eine Bühne, auf der Besucher*innen die Realität als Fiktion erleben und umgekehrt. Insofern bedürfen Shirana Shahbazis Bilder immer auch eines Gegenübers: Sie eröffnen ein Zwiegespräch.