Das Prinzip der Langsamkeit

Elias Baumgarten
29. februari 2024
Foto: Sebastian Schels

Ein «Anti-Projekt» – so nennt Juniorprofessor Max Otto Zitzelsberger das neue Lernhaus für Umweltbildung des Freilandmuseums Oberpfalz. Doch was macht den Holzbau in Ostbayern so anders als herkömmliche Museumsbauten? Verblüffend ist schon mal der Blick auf den Zeitplan, den es eigentlich gar nicht gibt. Gebaut wird nämlich nur dann, wenn Material und Kapazitäten vorhanden sind: Die Arbeiten begannen 2021 mit Ernte, Zuschnitt und Lagerung des Holzes und sollen voraussichtlich 2026 abgeschlossen sein. 2022 wurden die Fundamente vom Team des Museumsbauhofs gegossen, das sich vorrangig um die historischen Bauten der Anlage kümmert und den Neubau nebenbei stemmt. Voriges Jahr wurde der Holzbau aufgestellt, heuer sollen die Fenster eingesetzt und Bauteile wie die Treppen hinzugefügt werden. Nächstes Jahr möchte die Bauherrschaft das Haus dämmen und die Fassade montieren, 2026 soll das Projekt mit dem Innenausbau fertiggestellt werden.

Wobei – eigentlich ist «fertig» beim Lernhaus relativ. Zwar sind die Bauarbeiten tatsächlich noch nicht abgeschlossen, doch in Betrieb ist das Gebäude schon lange: Die Baustelle dient der Vermittlungsarbeit. Schulkinder, Studierende und Museumsgäste werden an den einzelnen Arbeitsschritten des Baus beteiligt. Zum Beispiel stellten sie die grossen Lehmschindeln für die künftige Fassade in Workshops vor Ort her. Das stärkt die Identifikation der Menschen mit dem Bauwerk. Auch für seine Architekturstudierenden sei das wertvoll, sagt Max Otto Zitzelsberger, der an der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität in Kaiserslautern unterrichtet. Das Bauwerk ist auch ein Forschungsprojekt und Gegenstand verschiedener Seminare. «Praktische Erfahrung auf der Baustelle in Ergänzung zu einer rein theoretischen und dadurch meist sehr abstrakten Baukonstruktionslehre sind essenziell», erklärt der Juniorprofessor. «Zudem sind auch die Soft Skills relevant, die im Rahmen der Bau-Workshops erlernt und gestärkt werden können, also zum Beispiel das kritische Denken, die Fähigkeit, Probleme zu lösen, zu kommunizieren und im Team zu arbeiten, das Verantwortungsbewusstsein, die Arbeitsmoral und die interkulturelle Gewandtheit.»

Foto: Sebastian Schels
Foto: Sebastian Schels

Mit dem neuen Haus erhält das Museum dringend benötigte Räumlichkeiten für Veranstaltungen wie Workshops, dazu Übernachtungsmöglichkeiten für Gruppen und Schulklassen, ein Lager für Materialien und Werkzeuge sowie eine moderne Lehrküche. Der Neubau ersetzt das Hauptgebäude eines historischen Vierseithofs, das einem Brand zum Opfer gefallen war. Max Otto Zitzelsberger hat sich beim Entwurf des Seminargebäudes zwar an der Form des alten Bauernhauses orientiert, sie aber gleichzeitig auch gebrochen und verfremdet: Zwei eigenwillige Anbauten erinnern zum Beispiel an dessen Annexbauten, die ihm verschiedene Generationen nach und nach hinzufügten. Der Grundriss hingegen ist ganz auf die neue Nutzung abgestimmt und dementsprechend völlig anders aufgebaut. Und war das Wohnhaus des Vierseithofs aus Stein und Ziegel gebaut, «schwebt» der neue Holzbau aufgeständert über dem Boden.

Foto: Sebastian Schels
Foto: Sebastian Schels

Vor seinem Wechsel nach Kaiserslautern war Max Otto Zitzelsberger Akademischer Rat bei Florian Nagler an der TU München, einem international gefragten Experten für einfaches und ressourcenschonendes Bauen. Während Museumsbauten gerade in Deutschland oft Prestigeprojekte sind, die zuweilen hohe Kosten verursachen und verschwenderisch mit Baumaterial umgehen, sollte sein Entwurf möglichst einfach, umweltfreundlich und günstig sein. Das klassische Satteldachhaus sitzt auf wenigen betonierten Fundamenthälsen und ist, wie erwähnt, vom Boden abgehoben. Das hat eine Reihe an Vorteilen: Die versiegelte Fläche ist sehr klein, und es wird nur ganz wenig Beton benötigt. Ausserdem wirkt die Luftschicht zwischen Erdboden und Gebäude isolierend gegen Kälte und schützt das Holz vor Feuchtigkeit. 

Bei dem gedämmten Holzständerbau kamen weder besonders lange Hölzer zum Einsatz, noch solche mit grossen Querschnitten. Auch Leimbinder wurden nicht verbaut. Die Verbindungen sind handwerklich ausgeführt. So kann das Bauwerk am Ende seines Lebenszyklus leicht abgebaut und recycelt werden. Das Holz selbst stammt aus dem Wald des Museums. Es wurde im Winter geschlagen und ein Jahr lang behutsam getrocknet. Seine Qualität ist so hoch, dass die Querschnitte der tragenden Kanthölzer verglichen mit konventionellen Holzbauten erheblich reduziert werden konnten. 

Sind Gebäude für gewöhnlich so ausgelegt, dass sie auch bei extrem heissem oder kaltem Wetter ein konstantes Raumklima bieten, wurden die technischen Anlagen zur Heizung und Klimatisierung auf ein Minimum reduziert: Weil das Museum von Dezember bis Februar geschlossen bleibt, reichen eine Wandsockelheizung und zwei Holzöfen. Eine Klimaanlage schliesslich gibt es nicht.

Foto: Sebastian Schels
Foto: Sebastian Schels

Architektonisch ist das Lernhaus unverkennbar Max Otto Zitzelsberger zuzuordnen. Einige runde, achteckige und rautenförmige Fenster sowie seine schlanke Silhouette und sein steiles, weit überstehendes Blechdach verleihen ihm eine fröhliche Erscheinung. Sie erinnert an viele andere Projekte und Zeichnungen des Architekten aus Bayern – etwa den Bauhof der Oberpfälzer Gemeinde Berngau –, aber auch an Arbeiten seiner Studierenden. Die Fassade aus farbigen Lehmschindeln wird diese Wirkung in Zukunft noch verstärken. Natürlich ist das Haus kein gewöhnliches Bauwerk, nicht alles lässt sich ohne weiteres auf andere Projekte übertragen. Aber zu sehen, dass sich die Bauherrschaft die Zeit genommen hat, um langsam und mit Sorgfalt etwas Gutes zu schaffen, ist eine Wohltat, scheint es doch dieser Tag oft, als zählten Qualität, Geduld und gediegenes Handwerk kaum noch etwas. 

Grundriss Erdgeschoss (© Max Otto Zitzelsberger)
Querschnitt (© Max Otto Zitzelsberger)
Längsschnitt (© Max Otto Zitzelsberger)
Ansicht (© Max Otto Zitzelsberger)
Forschung, Konzeption und Planung
Juniorprofessor Max Otto Zitzelsberger, Rheinland-Pfälzische Technische Universität, Kaiserslautern
Mitarbeit: Eugen Happacher und Jonas Maczioschek
 
Tragwerksplanung
Merz Kley Partner GmbH, Dornbirn (Österreich) und Neumarkt in der Oberpfalz
Mitarbeit: Gordian Kley und Lorenz Einzinger
 
Bauherrschaft
Freilandmuseum des Bezirks Oberpfalz, Neusath und Perschen
Verantwortliche: Dr. Tobias Hammerl (Museumsleiter) und Bettina Kraus (Leiterin Museumspädagogik)

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