Regeln herausgefordert
Singer Baenziger Architekten
29. mei 2019
Strassenseite (Foto: Christian Senti)
Singer Baenziger haben dieses Jahr ein Reiheneinfamilienhaus in Zürich aufgestockt. Das Projekt könnte die Bewilligungspraxis in der Stadt für die Zukunft nachhaltig verändern. Roman Singer und Rémy Baenziger stellen sich unseren Fragen.
Ort Quartier Unterstrass, 8057, Zürich
Auftragsart Direktauftrag
Bauherrschaft privat
Architektur Singer Baenziger Architekten, Zürich: Rémy Baenziger, Doris Tinner, Filippa Costa, Roman Singer
Fachplaner Bauingenieur: Schnetzer Puskas Ingenieure AG, Zürich und AIK, Zürich: Kurt Ritter
Jahr der Fertigstellung 2019
Massgeblich beteiligte Unternehmer Holzbau: schaerholzbau ag, Altbüron, LU | Fassadenputz: Meier-Ehrensperger AG, Zürich
Fotos Christian Senti, Zürich
Dachzimmer (Foto: Christian Senti)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?Die Siedlung besteht aus einheitlichen, weitgehend intakten zweigeschossigen Reihenhäusern aus dem Jahr 1920, die um einen Tennisclub herum angeordnet wurden. Man könnte durchaus erwarten, die Häuser seien denkmalgeschützt. Das Quartier liegt aber in der Zone W3. Unser Projekt ist die erste Aufstockung im Viertel und wohl die erste dieser Art überhaupt in der Stadt Zürich. Deren Bewilligungspraxis war bis anhin so, dass Aufstockungen auch ein Giebeldach haben mussten. Durch das Skizzieren verschiedener Szenarien und ein gut ausgearbeitetes Projekt konnten wir das Amt für Städtebau aber von unserer Lösung mit weniger Höhe und Masse sowie guten Proportionen überzeugen.
Momentan sieht man in Zürich oft die 45°-Giebeldach-Aufstockungen, die meistens die bestehende Architektur negieren und dementsprechend nach reiner «Baugesetzarchitektur» aussehen. Wir wollten es sensibler machen. Uns kamen früh Projekte von Adolf Loos mit abgetreppten Häusern, Terrassen und Pergolen oder solche von Josef Frank mit runden Fenstern in den Sinn. Mit dem bestehenden, weiss gestrichenen Tennisclub mit Flachdach war auch der direkte Bezug zur klassischen Moderne vorhanden. So war für uns klar, dass das Gebäude weiterhin die Sprache seiner Zeit sprechen sollte, aber unter Betonung des Übergangs von traditioneller zu moderner Architektur. So konnten auch die Bedürfnisse der Bauherrschaft nach mehr Platz, Licht und Aussenraumbezug befriedigt werden.
Pergola (Foto: Christian Senti)
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?Weil die bestehende Siedlung sehr homogen und weitgehend original ist, haben wir uns in der Verantwortung gesehen, dort nichts kaputt zu machen. Es gibt wahrscheinlich nur wenige Leute, die im Quartier nicht wohnen wollten, und die bestehenden Häuser sind attraktiv. Es hat uns gereizt die Aufstockung so zu gestalten, als wäre sie – auf den ersten Blick gesehen – schon immer so gewesen. Auf den zweiten Blick sind dann interessante Details und Anspielungen erkennbar und man realisiert, dass es sich um einen neueren Umbau handelt. Wir sehen unser Projekt – wie inzwischen auch das Amt für Städtebau – als Beitrag der aufzeigt, wie eine solche Siedlung unter Wahrung ihrer Identität verdichtet und modernisiert werden kann.
Die Pergola war ursprünglich nur als leichte, weiss gestrichene Holzkonstruktion gedacht. Dies hätte jedoch die rigiden Dachvorschriften des Planungs- und Baugesetzes verletzt. Wir haben dann massive Pfeiler und einen Sturz eingeplant. Fortan gab es keine Probleme mehr.
Die Konstruktion der Aufstockung musste mehrmals überarbeitet werden. Aufgrund des Gewichtes und um nicht zu dicke Aussenwände zu haben, mussten die Wände und Decken in Holz konstruiert werden. Auch konnten wir rein geometrisch nicht die Längswände des Attikageschosses auf bestehende Trennwände in den unteren Geschossen setzen. Im Innern ist der Holzbau über die Wandtäfer ablesbar, welche eigentlich die für diese Bauweise typischen Vorsatzschalen für Installationen sind.
Schlafzimmer (Foto: Christian Senti)
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten des Büros ein?Reihenhäuser von 1870 bis 1942 haben wir schon mehrere umgebaut und erweitert. Momentan bauen wir gerade ein typengleiches Haus in der gleichen Strasse aus, indem wir die Waschküche und die Garage zu einem Studio umgestalten. Aus dem Dachgeschoss machen wir einen grosses Schlafzimmer, das bis zum First reicht. Also eigentlich das Gegenteil des präsentierten Projektes. In der gleichen Siedlung haben wir zudem bereits eine neue Wohnküche geschaffen. Wir konnten bei drei nahezu identischen Häusern räumlich drei verschiedene Lösungen umsetzen; eine grossartige Situation, die man als Architekt selten vorfindet.
Arbeitszimmer (Foto: Christian Senti)
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?Wir haben bei diesem Umbau auch die bestehende Fassade gedämmt, was man auf den ersten Blick nicht realisiert. Dies war so nur mit einem Aerogeldämmputz möglich. Wir haben den alten, teils losen Putz entfernt und 4 bis 6 cm Dämmputz aufgetragen. Die Fensterbänke und Simse stehen damit weiter genügend ab und mussten nicht verlängert oder ersetzt werden. Zum angebauten Nachbarhaus konnte ein weicher Übergang ohne sichtbare Kante erreicht werden. Den neuen Deckputz haben wir möglichst dem alten Putz angeglichen.