Perfekt unperfekt
Johannes Saurer Architekt
1. februari 2024
Die Fabrik wurde aufgestockt, ihr charakteristisches Aussehen blieb erhalten. (Foto: Thomas Telley)
Johannes Saurer hat mit seinem Team die Maschinenfabrik Habegger in Thun umgebaut und erweitert. Die Architekten besserten aus und reparierten, Neues ergänzten sie nur, wo es die neue Nutzung erforderlich macht.
Herr Saurer, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?
Die Fabrik befindet sich im Westquartier von Thun im Industriegebiet an der Kreuzung Mittlere Strasse/Militärstrasse. Das Fabrikgebäude wurde 1952 von dem damals 35-jährigen Thuner Architekten Franz Wenger erbaut. Er entwarf einen für die Uhrenindustrie typischen Bau: schmal, mit hohen Räumen und grossen Bandfenstern. Nach 28 Jahren erfuhr das Fabrikgebäude mit dem Auszug der Uhrensteinfabrik und dem Einzug der Habegger Maschinenfabrik den ersten grösseren Wandel. Weitere 42 Jahre später steht nun der nächste Wechsel an: Eine Informatikfirma wird die Fabrikräume beziehen.
Hartsteinbodenbelag, türkise Fensterrahmen, hohe Fenster und ein stützenfreier Innenraum prägen auch in der Aufstockung das Raumbild. (Foto: Thomas Telley)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?
In einer Machbarkeitsstudie wurde auch ein Abbruch der Fabrik mit anschliessendem Neubau geprüft. Wir konnten die Bauherrschaft aber davon überzeugen, das Gebäude nicht abzureissen, sondern umzubauen. Vor der Industrialisierung war das Umbauen ein selbstverständlicher Bestandteil des Bauens. In den Bauwerken waren wertvolle Baustoffe, Arbeitskraft und Arbeitszeit gebunden. Ein Abriss hätte die Vernichtung dieser Ressourcen bedeutet. Sinnvoller war deshalb, die Gebäude möglichst lange zu nutzen und nötigenfalls den neuen Bedingungen anzupassen. Unter den vormodernen Gebäude gibt es keines, das nicht umgebaut wurde. Das war unsere Entwurfsidee.
Beim Bauen im Bestand verfolgen wir das Ziel eines «selbstverständlichen Hauses». Wir meinen damit ein Gebäude, das aus Teilen unterschiedlicher Bauphasen besteht, wobei das Alte das Vorbild für das Neue ist und das jetzt Neue dereinst wiederum zum Vorbild für das Zukünftige wird. Das neue Ganze hat das Alte vollständig in sich aufgenommen. Wir lassen den Bestand unverändert, wo er funktioniert; nur wo dies nicht mehr der Fall ist, greifen wir ein. Aber nirgends lassen sich die Bauphasen ablesen. Denn wir ersetzen nicht, wir flicken. Dabei sind die besten Handwerker gefragt, Handwerker, die diese Philosophie mittragen. Wie beim Zahnarzt wird nur ersetzt, was wirklich kaputt ist. Die Patina zählen wir mit zur Originalsubstanz. Sie dokumentiert die Geschichte und würdigt das Alter. Die Patina gibt Hinweise auf frühere Nutzungen. Wir wollen einen geschlossenen Gesamteindruck erzielen und den Kontrast zwischen Alt und Neu minimieren.
Einfach und ehrlich: Mit sichtbaren Installationen und unverputzten Wänden bleibt das industrielle Flair erhalten. (Foto: Thomas Telley)
Die ehemalige zweigeschossige Halle wird als Veranstaltungs- und Pausenraum genutzt. (Foto: Thomas Telley)
Unterhalb der Galerie bilden kleine Glasvolumen geschützte Büroräume. (Foto: Thomas Telley)
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?
Das Fabrikgebäude wurde um ein Geschoss aufgestockt, um das Raumprogramm der neuen Nutzer aufzunehmen. Das Empfangsgebäude (Zwischenbau) sowie das ehemalige Wohnhaus werden ohne grosse bauliche Massnahmen als Büroräume weitergenutzt. Das Fabrikgebäude behält sein charakteristisches Aussehen, die Aufstockung unterscheidet sich nur unscheinbar durch eine grössere Geschosshöhe und eine vereinfachte Fenstereinteilung vom Bestand.
Wir haben die Dachneigung von 25 Grad auf 10 Grad geändert und das Dach mit einem Wellblech eingedeckt. Die Fenster der bestehenden Fabrikgeschosse wurden ersetzt, Einteilung und Farbe haben wir dabei vom Bestand übernommen. Auch die Fassadenfarbe des Bestandes übernahmen wir unverändert. Ausstellmarkisen aus hellem Stoff ersetzen die alten Lamellenstoren. Die in den 1980er-Jahren angebaute Lagerhalle wurde bis auf das Stahlgerippe rückgebaut, besser wärmegedämmt und mit einem Wellblech verkleidet. Neue Fenster und Oberlichter ermöglichen eine gute Belichtung in ihrem Innern. Das bestehende Anlieferungspodest wurde verlängert und mit Wellblech überdacht. Ein weiterer gedeckter Aussenraum befindet sich auf dem nordseitigen Fabrikanbau und ist vom obersten Geschoss zugänglich. Die Terrasse bietet eine einzigartige Aussicht auf das Schloss Thun.
Die Terrasse im obersten Geschoss ist zum Begegnungsort mit Aussicht über Thuns Altstadt geworden. (Foto: Thomas Telley)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?
Zu einem guten Projekt gehört immer eine gute Bauherrschaft. Unsere Auftraggeber haben die Idee des Flickens und Wiederverwendens von Anfang an mitgetragen und unterstützt.
Die Lagerhalle aus den 1980er-Jahren erhielt eine neue Gebäudehülle aus Wellblech. (Foto: Thomas Telley)
Situation (© Johannes Saurer Architekt BSA)
Grundriss Untergeschoss (© Johannes Saurer Architekt BSA)
Grundriss Erdgeschoss (© Johannes Saurer Architekt BSA)
Grundriss 1. Obergeschoss (© Johannes Saurer Architekt BSA)
Grundriss 2. Obergeschoss (© Johannes Saurer Architekt BSA)
Schnitte in Längsrichtung (© Johannes Saurer Architekt BSA)
Schnitte in Querrichtung (© Johannes Saurer Architekt BSA)
Umbau Maschinenfabrik Habegger
Standort
Mittlere Strasse 66, 3600 Thun
Nutzung
Bürobau
Auftragsart
Direktauftrag
Bauherrschaft
Habegger Immobilien AG, Hünibach
Architektur
Johannes Saurer Architekt BSA, Thun
Nina Özgür, Yvonne Aebersold, Donat Hauser, Rebecca Lädrach, Nicola Tschanz, Kaja Schüpbach, Olivia Gnehm, Anna-Lena Lehner, Anh Thu Nguyen und Johannes Saurer
Fachplaner
Bauingenieur: Bührer Dällenbach Ingenieure AG, Steffisburg
Brandschutzplanung: Indermühle Bauingenieure GmbH, Thun
HLK-Planung: Müller Haustechnik GmbH, Adelboden
Elektroplanung: esp Furrer GmbH, Frutigen
Bauphysik: HSR Ingenieure AG, Spiez
Fertigstellung
2023
Gesamtkosten BKP 1–9
CHF 4.5 Mio.
Gebäudekosten BKP 2
CHF 4.2 Mio.
Gebäudevolumen
8813 m3
Kubikmeterpreis
476 CHF/m3
Massgeblich beteiligte Unternehmer
Baumeister: Helmle AG Thun
Montagebau in Stahl: von Niederhäusern AG, Erlenbach im Simmental
Montagebau in Holz: Gfeller Holzbau GmbH, Worb
Fenster aus Holz: Jampen AG, Seftigen
Spenglerarbeiten: Brunner AG, Thun
Äussere Verputzarbeiten: Olisol AG, Heimberg
Sonnenschutz: Kästli & Co. AG, Belp
Elektroanlagen: Markus Moser AG, Frutigen
Heizungsanlagen: Müller Haustechnik GmbH, Adelboden
Schreinerarbeiten: Hossmann Küchen AG, Gerzensee
Hartsteinholzbeläge: Euböolithwerke AG, Olten
Auszeichnung
«Die Besten 2023» von Hochparterre, Anerkennung
Fotos
Thomas Telley, Tafers