Klimaoffensive Baukultur
Manuel Pestalozzi
1. 7月 2021
Die Klimakrise ist längst auch in der Schweiz deutlich sichtbar. Die Aufnahme zeigt den stark geschrumpften Rhonegletscher im Jahr 2005. (Foto: Olive s. via Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0)
Ein breites Bündnis möchte Klimaschutz mit hoher Baukultur verbinden und hat neun Leitsätze formuliert. Das ist ein wichtiges Signal. Doch nun muss die Haltung weiter konkretisiert und mit guten Beispielen greifbar gemacht werden.
Wissen wir schon alles über den Klimawandel? Reagieren wir vernünftig und sinnvoll? Diese zwei Fragen stellen sich mir, wenn ich über die neue Website der Klimaoffensive Baukultur surfe, die kürzlich live geschaltet wurde. Die erste Frage ist wohl einstweilen mit einem Ja zu beantworten. Denn die Website bringt keinen wirklichen Erkenntnisgewinn: Alle dort aufgeführten Probleme sind im Grunde hinlänglich bekannt und werden bereits vielfach diskutiert: Die klimatischen Bedingungen verändern sich weltweit rasant. Vom Erreichen des ausgegebenen Netto-Null-Ziels sind wir noch weit entfernt. Und der Verlust an Biodiversität ist dramatisch.
Reagieren wir aber vernünftig und sinnvoll? Bisher leider nicht! Und für die Bauwirtschaft gilt das sogar in besonderem Masse. Es braucht noch viel Nachhilfe und viele Stupser. Und im Fall der Klimaoffensive Baukultur erhalten diese nun einen offiziell-institutionellen Charakter: Mit Unterstützung vom Bundesamt für Kultur engagieren sich wichtige Akteur*innen der öffentlichen Hand, der Berufsorganisationen und der Zivilgesellschaft für den Klimaschutz und die Bewahrung der Biodiversität. Im einzelnen sind das Archäologie Schweiz (AS), der Bund Schweizer Architekten (BSA), der Bund Schweizer Landschaftsarchitektinnen und Landschaftsarchitekten (BSLA), Domus Antiqua Helvetica (DAH), EspaceSuisse – Verband für Raumplanung, die Professur für Konstruktionserbe und Denkmalpflege der ETH Zürich, ICOMOS Suisse, die Konferenz der Schweizer Denkmalpflegerinnen und Denkmalpfleger (KSD), die Nationale Informationsstelle zum Kulturerbe (NIKE), der Schweizer Heimatschutz, der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein (SIA) sowie die Stiftung Natur & Wirtschaft.
Die Grundaussage der Klimaoffensive Baukultur: Ohne hohe Baukultur schaffen wir die Wende nicht. Eine hochstehende Baukultur führe zu lebenswerten Siedlungen, wird argumentiert, sie stifte Identität, befördere den sozialen Austausch und den Gemeinsinn. Sorgfältige Instandsetzungen und qualitätsvolles Neues, vielfältige Freiräume sowie intakte Ensembles und Landschaften steigerten das Wohlbefinden. Dem stünden, so die Träger der Offensive, technische und ökonomische Aspekte gegenüber, welche nach ihrem Dafürhalten bisher die Klimadebatte dominieren. «Mit der richtigen Strategie und einer guten Planung kann die Bewahrung des Kulturerbes, der Umgang mit dem Bestand und das zeitgenössische Bauen mit dem Ziel Netto-Null als Teil eines umfassenden Qualitätsbegriffs des gesamten Raums erreicht werden», schreiben sie in einer Pressemitteilung. Ausserdem fordern sie einen schonenden Umgang mit Ressourcen.
Die Klimaoffensive Baukultur ist sehr zu begrüssen. Doch ob sie Pflöcke einschlagen und Stricke zerreissen kann, das lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Die neun Leitsätze, die als Haltung formuliert wurden, sind allgemein gehalten, manche darf man vielleicht sogar kritisch Gemeinplätze nennen. Allerdings ist fairerweise zu sagen, dass die Abstimmung und Kompromissfindung zwischen den vielen beteiligten Institutionen, Vereinen und Verbänden gewiss nicht leicht ist. Baukultur ist zudem ein Begriff, der sehr schwer fassbar und mit einem schier unlösbaren Dauerstreit um die Deutungshoheit verknüpft ist. Also wird es nun im nächsten Schritt darauf ankommen, am Ball zu bleiben und die gemeinsame Haltung möglichst rasch weiter zu schärfen. Sie muss jetzt mit Positivbeispielen und konkreten Ratschlägen unterfüttert werden. Die noch ausgegrauten Menüpunkte «Gute Lösungen» und «Weiterführende Infos» auf der neuen Website müssen alsbald mit Inhalt gefüllt werden. Beispielsweise wären verbindliche Vorgaben zur Güterabwägungen bei Sanierungsvorhaben wünschenswert. Auch eine deutliche Stellungnahmen zur Nutzungsintensität des Baubestands wäre gut. Und noch viel wichtiger: Wenn die Offensive nicht stecken bleiben soll, wird man nicht umhinkommen, auch klare Positionen zum generellen, wohlstandsgesättigten Lebensstil zu beziehen. Denn er bestimmt die Alltags- wie die Freizeitkultur, und baukulturelle Fragen können nicht von ihm losgelöst diskutiert werden.
Im Rahmen unserer fünf D-A-CH-Gespräche diskutierten voriges Jahr Friederike Kluge und Meik Rehrmann, die Leiter des Büros Alma Maki und Mitbegründer von Countdown 2030, mit Verena Konrad, der Direktorin des Vorarlberger Architektur Instituts, und Martin Haas, dem Inhaber des Büros haascookzemmrich STUDIO2050 und Mitbegründer sowie Vizepräsidenten der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen, über eine menschen- und umweltfreundliche Baukultur.
Das Zürcher Büro JOM arbeitet an einer attraktiven, fossilfreien und dauerhaften Architektur.
Saikal Zhunushova baut in Kirgistan und der Schweiz nach ökologischen Kriterien.