Nahe bei den Menschen
Inge Beckel
26. 9月 2013
Energiesalon 3/2013 (Bild: PSA Publishers/Charles Ganz)
Seit 2008, mit einer Unterbrechung im vergangenen Jahr, findet in Zürichs Architekturforum, stets nach der grossen Sommerpause, der Energiesalon statt. Er besteht jeweils aus mehreren Veranstaltungen, wo über Nachhaltigkeit nachgedacht und debattiert wird. Die Veranstaltungen sind interdisziplinär angelegt und wollen die gestellten Fragen möglichst umfassend angehen, also nicht nur aus einer baunahen, primär den Fokus aufs Technische gerichteten Perspektive, sondern gleichzeitig einen die Gesellschaft erfassenden Blick ansetzen. Der Energiesalon wird heute von Bob Gysin + Partner BGP, EK Energiekonzepte aus Zürich und in Zusammenarbeit mit dem Architekturforum Zürich getragen.
Diesen Herbst folgte nach einem Abend mit Blick in die Nähe – nämlich auf Zürich – ein Schwerpunkt von und auf Hamburg. Vor einer Woche dann schweifte der Fokus auf die Südhalbkugel, primär nach Hyderabad in Indien, Thema waren aber auch Jakarta in Indonesien, Lagos in Nigeria und Südamerika.
Lokal handeln
Indien hat insgesamt gegen 40 Städte, die drei Millionen und teilweise massiv mehr Einwohnerinnen und Einwohner zählen. Ausgelöst durch mehr Konsum und Änderungen des Lebensstils, nehmen heute die Pro-Kopf-Emissionen von Kohlendioxid ständig zu. Entsprechend steigt der Energieverbrauch konstant. Gemäss der Agrarwissenschaftlerin Angela Jain vom Berliner Nexus-Insitut, die lange Jahre in Hyderabad geforscht und die einleitend einen Vortrag gehalten hat, können vor allem drei Entwicklungen beobachtet werden, die in direktem Zusammenhang mit dem rasanten Wachstum von Städten meist der Südhalbkugel stehen, in diesem Fall von Hyderabad.
Primär gibt es häufig Energieengpässe oder gar Stromausfälle. Es sei keine Seltenheit, dass beispielsweise Schulstunden unterbrochen werden müssten, weil Licht und Computer ausfielen. Weiter werden sich explosionsartig vergrössernde Städte durch schlechte Luft ebenso wie durch schlechte Wasserqualität ausgezeichnet. Und schliesslich weist die Infrastruktur grosse Defizite aus. Die gängigen «Rezepte» dagegen sehen Verantwortliche in Indien grundsätzlich in Effizienzsteigerungen, ebenso in der Kernenergie, aber auch im Ausbau erneuerbarer Energien.
Projekte, die Jain demgegenüber unterstützt oder mitgetragen hat, haben im kleinen lokalen Rahmen nahe bei den Menschen angesetzt. So wurden beispielsweise Schulkinder in Umwelt gebildet und sensibilisiert – in der Hoffnung auch, dass sie ihr Wissen und ihr bewussteres Handeln mit nach Hause bringen. Weiter sind Schulen mit Solarstrom aufgerüstet worden, was diese nicht nur finanziell unabhängiger macht, sondern auch vor den Stromausfällen schützt. Nunmehr können Schulstunden ohne Unterbrüche stattfinden...
Solarstrom macht von den Grossverteilern unabhängig (Bild: Nexus, Berlin)
Die Probleme gleichen sich
Auf dem Podium sassen dann neben Angela Jain die Umweltwissenschaftlerin Adrienne Grêt-Regamey, die Architektin und Städtebauerin Fabienne Hoelzel und Benjamin Lang, Direktor Lateinamerika von Swisscontact, einer wirtschaftsnahen unabhängigen Stiftung für internationale Entwicklungszusammenarbeit. Einerseits wurde die Meinung vertreten, dass sich die Probleme in diesen schnell wachsenden Metropolen der so genannten Schwellenländer generell in der Tendenz gleichen. So zeichnen Defizite in der Infrastruktur, Energieengpässe und Energieausfälle sowie Luft- und Wasserverschmutzung alle diese Orte in grösserem oder kleinerem Umfang aus.
Reagiert und agiert man demgegenüber auf lokaler Ebene, sind die klimatischen Umstände, die Kultur und Gewohnheiten der Menschen, aber zuweilen auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen unterschiedlich. Weiter sind die Herangehesweisen verschieden. Während etwa Grêt-Regamey primär wissenschaftlich arbeitet und in Jakarta vor Ort einerseits Wasserproben analysiert und andererseits Leute interviewt, nennt Hoelzel ihr Vorgehen ein städtebauliches. Der Architektin, die drei Jahre in São Paulo bei der Aufwertung von Slums mitgearbeitet hat und heute in Nigeria tätig ist, geht es primär um den öffentlichen Raum, der gestärkt und gepflegt werden muss, denn es sind diese Räume, wo sich die Menschen begegnen und sich austauschen. Es sind öffentliche Räume, wo sie handeln können, um überhaupt wahrgenommen werden und damit allenfalls Einfluss nehmen zu können.
Immer aber sind es bottom up-Ansätze, die von den Podiumteilnehmerinnen praktiziert werden. Demgegenüber hätten sich so genannte world class-Anlässe wie Fussballweltmeisterschaften als wenig nachhaltig erwiesen. Denn was den Menschen vor Ort hilft, ist kein kurzfristiger Mega-Event, der nach nur wenigen Tagen Geschichte ist. Will man ihre Lebensumstände langfristig verbessern, geht es darum, das Bewusstsein dieser Leute zu schärfen, dass sie mit der sie umgebenden Umwelt pfleglicher und sensibler umgehen. Es geht weiter darum, lokale Ressourcen zu nutzen, ohne sie auszubeuten. Es geht um Transparenz, um Abhängigkeiten offenzulegen. Es geht um dezentrale Ansätze: Macht wird verteilt, und damit der Zugriff auf Ressourcen.
Das Venedig Nigerias: Makoko, bedroht, um «globaleren» Ökonomien Platz zu machen (Bild: Fabulous urban/Fabienne Hoelzel)
Makoko: wirtschaften, wo die Arbeit anfällt (Bild: Fabulous urban/Fabienne Hoelzel)
Wertschätzung
Generell: Was treibt Menschen in Metropolen? Sicherlich Armut und fehlende Verdienstmöglichkeiten dort, woher sie kommen. Doch Jain zeigte auch Bilder, die die Menschen von einem besseren Leben träumen lassen. Diese Bilder sehen die Menschen an Plakatwänden, in Zeitungen, vor allem aber im Fernsehen. Darauf sind schicke Appartementhäuser abgebildet, eingebettet in grüner Umgebung, zuweilen gesäumt von Schnellbahnen. Oft ähneln sich die Bilder. Sie könnten ein Stück Florida sein. Oder Sydney. Kuala Lumpur. Hyderabad. Oder Lagos. Im Vordergrund ist in der Regel eine gut gekleidete Frau oder ein Paar zu sehen, sonst wirkt der Ort tendenziell leer, menschenleer.
Es sind copy-paste-locations. Sie bedienen eine weltweit vermarktete Sehnsucht nach einem westlich ausgerichteten, vermeintlich besseren Leben. Mit den Gegebenheiten vor Ort und den Bedingungen, unter denen die Mehrheit der Menschen in den schnell wachsenden Metropolen des Südens tagein tagaus leben, haben diese copy-paste-lifestyles in der Regel nichts oder fast nichts zu tun. Um diesen Menschen andere Perspektiven zu öffnen, sind kleinräumige, lokale Ansätze wichtig, wie oben skizziert. Gleichzeitig geht es um Wertschätzung. Wertschätzung von Lebensentwürfen und -realitäten, die sich eben just jenseits der globalisierten Hochglanzbilder abspielen.
Oder es geht darum – wie im Falle Makokos in Nigeria – den Verantwortlichen klar zu machen, dass die Orte, die sie für «Besseres» zerstören oder örtlich versetzen wollen, in der bestehenden Form wertvoll sind. Es sind Orte, die den Menschen vor Ort nachhaltig dienen und deren Heimat sie sind. Und schliesslich, wie Benjamin Lang auf dem Podium festhielt, geht es nicht allein darum, den Anderen etwas beizubringen – vielmehr könnten auch wir von ihnen lernen. Dabei müssten wir wohl vor allem unsere Wertmassstäbe befragen: die Wachstumsmaxime, Effizienz – oder eher Suffizienz (vgl. gehört 28|13), die Abhängigkeit von grossen Energielieferanten – oder kleinere, dezentrale Netze? Auch bei uns gilt, neben dem Globalen das Lokale, das Kleine wertzuschätzen.