«Es ist eine schlechte Zeit für Grundsatzfragen»
Jenny Keller
24. 4月 2014
Konstantin Grcic. Bild: Markus Jans
Architektur wird nicht nur gebaut, sie wird auch beschrieben und (selten) kritisiert. Jenny Keller hat mit Daniel Kurz, dem Chefredaktor der Zeitschrift «werk, bauen + wohnen» über ihren Berufsstand, über Print- und Onlinemedien geredet und hat ihn gefragt: gibt es sie überhaupt noch, die Architekturkritik?
Daniel Kurz' Kritik der neuen Messehalle in Basel. wbw, 7/8 2013, S. 68-69
Wie und wieso bist Du Architekturvermittler geworden?
Ich bin Historiker, spezialisiert auf Stadtgeschichte und -entwicklung. Von dort ist man schnell beim Städtebau. Beruflich führte mich das zur Denkmalpflege und später ins Amt für Hochbauten, wo ich die Publikationen betreute. Seit zwei Jahren bin ich nun bei werk, bauen + wohnen.
Ich finde es manchmal schwierig, den eigenen Beruf zu beschreiben. Es existiert ja ein Unterschied zwischen Architekturvermittlerin und Architekturkritiker. Mit der Bezeichnung Architekturkritikerin gehe ich aber vorsichtig um. Als was siehst Du Dich denn?
Ich sehe mich primär als Architekturvermittler.
Und wieso nicht als Kritiker?
Ich denke, meine Stärke liegt darin, dass ich Architektur in Kontext zu wirtschaftlichen, gesellschaftlichen oder landschaftlichen Fragen stellen kann. Dort sehe ich dann auch meine Vermittlungsaufgabe.
Ich arbeite natürlich auch als Architekturkritiker, insbesondere beim werk. Ich gebe aber zu, ich bin auch vorsichtig, diese Bezeichnung für mich zu beanspruchen.
Und wo positioniert sich das werk?
Unsere Zeitschrift ist eine Architekturzeitschrift, die hauptsächlich von Architekten gelesen wird, und entsprechend ist das Heft ausgerichtet. Wir machen ein Heft für Architektinnen und Architekten, deshalb ist Architekturkritik ein zentrales Thema.
Daniel Kurz' Kritik der neuen Messehalle in Basel. wbw, 7/8 2013, S. 70-71
Ich höre, seit ich über Architektur schreibe, dass es die «echte» Architekturkritik hier in der Schweiz nicht (mehr) gebe. In er Tat, einen Verriss liest man kaum mehr. Hitzige Diskussionen werden höchstens über mögliche Architekturprojekte, die es zu verhindern gilt, geführt. Was sagst Du zu dem Vorwurf?
Ich habe das selbst kritisiert, bevor ich hier beim werkangefangen habe. Ich denke, man kann uns das auch ein wenig vorwerfen, obwohl wir durchaus scharfe Kritik im Heft haben. Ich erinnere an die Messe Basel (Heft7/8-2013) oder an die Europaallee (Heft 6-2013). Die Kritik beginnt im übrigen mit der Auswahl der präsentierten Projekte. Damit zeigen wir, was uns wichtig erscheint. Und wir erklären auch, warum. Bei uns erscheinen die meisten Bauten im Kontext eines Heftthemas. Das erlaubt Vergleiche und gibt Raum für Hintergründe und Referenzen.
Aber es stimmt: Auf den wenigen Seiten, die man pro Heft zur Verfügung hat, möchte man ja gute Sachen zeigen. Nicht zuletzt, weil ein Heft auch von den Bildern lebt. Ein Heft mit Bauten zu füllen, die wir schlecht finden, macht niemandem Freude. Das schränkt uns auch ein bei der Behandlung von Themen wie etwa Raumplanung: Es gibt dazu in der Regel keine attraktiven Bilder. Trotzdem bringen wir jetzt häufiger solche Beiträge, denn das sind gesellschaftlich wichtige Fragen.
Kritik könnte ja durchaus einmal ein Thema sein...
... ja, und ich finde die Anregung gar nicht schlecht. Aber das müssten dann Bauten sein, die vielleicht in mancher Hinsicht gut sind, aber eben leider nicht in jeder. Aber man schneidet sich immer auch ein Bisschen in den eigenen Finger, wenn man kostbare Seiten für etwas opfert, an dem man keine Freude hat.
Dazu kommt, dass totale Kritik auch etwas unangenehm ist auf zwischenmenschlicher Ebene. Schliesslich zeigt ein Architekt uns sein Werk, vertraut sich uns an, gibt uns Pläne und Bilder – und dann haut man ihn in die Pfanne. Natürlich gibt es sehr viel uninteressante oder schlechte Architektur, aber die ist ganz einfach nicht Teil des Diskurses.
Es ist also auch eine Frage des Respekts?
Ja, aber nicht der Respekt vor einem grossen Namen ist gemeint, sondern der Respekt vor der Arbeit eines Architekten, der sich ja etwas überlegt hat.
Es stimmt schon, im Vergleich zu Konzert- oder Ausstellungskritiken in den Tagesmedien sind wir vielleicht zahm. Trotzdem kommt uns immer mal wieder zu Ohren, wir seien kritischer und schärfer geworden. Wir vermitteln durchaus Haltungen.
Daniel Kurz' Kritik der neuen Messehalle in Basel. wbw, 7/8 2013, S. 71-72
Wir stellen also fest, diese Architekturkritik findet statt, aber nicht als Verriss, sondern mehrheitlich diskursiv. Welches ist denn nun das geeignete Medium dafür? Oder anders gefragt, welche Rolle spielen die Internetpublikationen?
Ich bin der Meinung, Printmedien sind geeigneter für diese Kritik, weil wir mehr Raum haben, und weil wir ganze Themenhefte machen, in denen wir mehrere Beiträge zu einem Bau bringen können. Es braucht Zeit und Platz für eine Kritik. Bei Onlinepublikationen steht das Streben nach Aktualität einer fundierten Kritik im Weg.
Aber ein Internetmedium kann ja trotz des Strebens nach Aktualität auch etwas «Ruhiges» und Reflektiertes veröffentlichen. Die Debatte könnte also auch dort geführt werden.
Ja, und das macht Ihr ja auch im eMagazin auf Swiss-Architects.com. Aber mit unseren Themenheften können wir einem Beitrag mehr Tiefe geben, und von verschiedenen Seiten auf ein Projekt schauen. So entsteht ein Dialog.
Weiter frage ich mich, ob es denn eine Generationenfrage ist, dass heute keine hitzigen Debatten mehr geführt werden aufgrund einer architektonischen Haltung. Oder hat die Gegenwartsarchitektur gar keine tiefere Botschaft mehr?
Es gibt immer noch einzelne radikale Positionen, die durchaus faszinieren. In der heutigen Zeit gibt es aber fast keine Tabus mehr. Und deshalb auch keine Tabubrüche. Eine Zeit, in der so viel gebaut wird, ist eine schlechte Zeit für Grundsatzfragen. Solche hat man diskutiert in den 1970er-Jahren, in den 1990er-Jahren und auch in den 1920er-Jahren, also in einem Krisenkontext. Damals wurden Meinungen zugespitzt, weil die Architekten nicht mit Bauen beschäftigt waren.
Mir wird auch gesagt, dass diese Diskurse in den 1980er-Jahren viel existenzieller gewesen sind. Vielleicht waren sie aber nur einfach idelologischer? Da gab es Bestrebungen, Hochhäuser zu verbieten und Beton galt als grundsätzlich böse und hässlich. Diese Art von No-Gos gibt es heute nicht mehr.
Daniel Kurz' Kritik der neuen Messehalle in Basel. wbw, 7/8 2013, S. 73-74
Das wäre dann ja auch wieder eine Parallele zur Musik, der Mode oder der Kunst.
Ja, auf jeden Fall. Und ich denke, das Internet spielt hier schon eine Rolle. Denn die Gleichzeitigkeit aller Dinge erschwert die Isolierung einzelner Themen. Um jedoch eine Meinung zu vertreten und Position zu beziehen, muss man vieles ausschliessen können. Das ist schwieriger in einer Zeit, wo alles gleichzeitig greifbar ist.
In den 1960er-Jahren gab es ja zwei Zeitschriften, das Werk auf der einen und Bauen und Wohnen auf der anderen Seite. Und die einen waren für Alvar Aalto und Corbusier und die anderen für Mies van der Rohe und Stahl und Glas, wie das Inge Beckel bei Euch beschriebenhat. Solche prinzipiellen Unterschiede gibt es heute nicht mehr: Die beiden Zeitschriften haben ja auch längst fusioniert.
Das werk, bauen + wohnen hat einen Wettbewerb zur Architekturkritik ausgeschrieben. Daniel Kurz fasst ihn so zusammen:
«Wir suchen nach neuen Stimmen. In unserem Heft kommen viele Fremdautoren zu Wort, doch in der Schweiz gibt es wenig Leute, die schlau schreiben können, die also etwas zu sagen haben und das auch so vermitteln, dass man es gerne liest.»