Das Haus als Spielwiese
Susanna Koeberle
6. 3月 2019
Ausstellungsansicht mit Teppich von Aldo Lanzini im Vordergrund. Bild: Susanna Koeberle
Die Ausstellung «Home. A User’s Manual» an der ETH Hönggerberg führt eine neue Sicht auf die Themen Wohnen und Design vor.
Man könnte meinen, die ETH Hönggerberg habe nun einen eigenen Offspace. Das ist nicht ganz verkehrt, denn die gegenseitige Befruchtung zwischen Disziplinen (auch zwischen Kunst und Architektur) standen schon immer im Fokus des Programms der beiden «gta exhibition»-Kuratoren Fredi Fischli und Niels Olsen. Für die neuste Schau wurde der Ausstellungsraum in blaues und pinkes Licht getaucht, das von bunten Neonröhren an dessen Rand herrührt. Daher die Assoziation mit einer Galerie. Dieser Eindruck bestätigt sich auch beim Betreten des Foyers. Ganz ohne Stellwände kommt die aktuelle Ausstellung aus, für einmal erfahren Besucher*innen die ganze Grösse der Fläche. Die gezeigten Objekte könnten ebensogut Kunstwerke sein. Wobei diese Zuordnung hier schon fragwürdig ist. «Home. A User’s Manual» (mitkuratiert von Valentina Ehnimb) zeigt uns nämlich, dass Mode manchmal Kunst und Kunst manchmal Design sein kann.
Die Hauptprotagonistin dieser Ausstellung ist die italienische Designerin (und Künstlerin) Cinzia Ruggeri (*1945). Ihre Arbeit ist an den Rändern der Disziplinen anzusiedeln, aber auch in den Grenzgebieten zwischen Realität und Traum (wie auch die surrealistischen Elemente ihrer Stücke veranschaulichen). Die ausgebildete Modedesignerin schlug schon in den 1970er-Jahren einen eigenen Weg ein, heute würde man für ihre verrückten Kreationen den Begriff «postmodern» verwenden. Kleider sind für sie Orte zum Bewohnen (hier wurde ich an Christa de Carouge selig erinnert). Für die Ausstellung am gta lud sie sechs Freunde und Weggenossen ein: die Journalistin und Kuratorin Mariuccia Casadio, den Designer Alessandro Guerriero (Mitbegründer des «Studio Alchimia», das auch mit Trix und Robert Haussmann zusammenarbeitete), den Designer und Künstler Aldo Lanzini, den Architekten und Künstler Ugo La Pietra, den Künstler und Designer Luigi Serafini sowie den Modedesigner Wang Shuo (der bei Cinzia Ruggeri studiert hat). Schon nur die Doppelbezeichnungen sprechen für sich. Und doppelt reicht meist nicht, um genau zu sein.
«Abito Ziggurat» und «Colombra» von Cinzia Ruggeri. Bild: Susanna Koeberle
Erweiterter KontextDas Konzept der Ausstellung lehnt sich an George Perecs Roman «La Vie mode d’emploi» (das Leben Gebrauchsanweisung) an. Dort beschreibt der Autor ein Pariser Haus mit 99 Wohnungen. Die Erzählung schildert dabei sowohl die einzelnen Domizile im Detail wie auch die Lebensgeschichten seiner Bewohner*innen. Auch Cinzia Ruggeri entwirft für ihre Ausstellung ein imaginäres Zuhause, das unsere Vorstellung von «Heim» hinterfragt und in einem neuen Licht erscheinen lässt. Es besitzt verschiedene Räume, jeder davon wird durch einen Gast bespielt. Angezeigt werden die Räume durch Markierungen am Boden. Sie orientieren sich am Grundriss des «Palazzo Farnese« in Rom (einer Ikone der Renaissance-Architektur), wobei dieser um 45 Grad gedreht wurde, also schrägt im Raum zu liegen kommt.
Doch vielmehr als eine Wohnsituation finden wir ein Setting vor, welches das Thema Wohnen in einen erweiterten Kontext stellt, mit soziokulturellen Aspekten verknüpft. Das Video «La casa telematica» (1983) von Ugo La Pietra zeigt etwa, wie telematische Geräte (Fernseher, Computer etc.) unseren Wohnalltag sowie auch das Design von Möbelstücken verändern können. Natürlich ist das auch als ironischer Kommentar zu verstehen (ähnlich wie in Jacques Tatis Komödie «Mon Oncle», in der allerlei technische Gadgets persifliert werden), aber man staunt, wie weitsichtig Ugo La Pietra war. Heute haben wir keine Ehebetten, die sich auffächern, damit jeder auf seinen Bildschirm schauen kann. Aber jedes Familienmitglied sitzt mit seinem privaten Tablet im Wohnzimmer. Überhaupt kommen viele Entwürfe sehr zeitgenössisch daher, wie auch der Architekt Oliver Lütjens bemerkte, der bei der anschliessenden Gesprächsrunde dabei war.
«I am an eggcentric» von Luigi Serafini. Bild: Susanna Koeberle
TransdisziplinärDie Mailänder kreative Szene der 1970er- und 1980er-Jahre (generell diese Zeit) war durch den Wunsch nach einem Neustart geprägt – dies mehr im Sinne eines Hinterfragens von Dogmen. Die konzeptuellen Möbelstücke richteten sich gegen reinen Funktionalismus und schönen Schein. Dabei waren die Stilmittel, deren sich die Vertreter*innen diverser Gruppierungen (wie «Memphis», «Archizoom» oder eben «Studio Alchimia») bedienten, sehr unterschiedlich. Gemeinsam ist ihnen ein humorvoller und unbeschwerter Umgang mit Tradition. Die eklektischen Assemblagen, das Zitieren und Aneignen waren zuerst mal eines: anti. «Wir waren gegen alle», sagte Alessandro Guerriero an der Ausstellungseröffnung. «Es ging uns nicht darum, schönes Design zu machen. Wenn die Leute am Ende einer Ausstellung nicht wussten, was sie gesehen hatten, hatten wir unser Ziel erreicht», erklärte er. In der Ausstellung sieht man ein Beispiel eines «Mobile Infinito». Daran arbeiteten jeweils mehrere Autor*innen gleichzeitig. Der Tisch sei eine «schifezza» (Widerlichkeit), so Alessandro Guerriero, aber er sei Zeugnis davon, dass 40 Leute an einem Objekt gearbeitet hätten. Nach dem Zeitalter der Stardesigner sind auch heute wieder viele Kollektive am Werk. Spannend ist die Tatsache, dass man viele der ausgestellten Objekte nicht mehr einer bestimmten Epoche zuordnen kann. Die Stücke widerspiegeln vielmehr die künstlerische Freiheit, mit Systemen umzugehen.
Auch die heutige Generation von Architek*innen und Designer*innen interessiert sich wieder für neue Modelle und Methoden. Denn irgendwann verhärteten sich die Dogmen der Moderne zu einem Gefängnis. Als Gegenreaktion dazu ist heute wieder Sampeln angesagt. Dass es dabei nicht um beliebiges Mischen geht, sondern diese Haltung durchaus tiefgründig und reflektiert sein kann, beweisen viele Entwürfe jüngerer Kreativer. Der Blick in die nahe Vergangenheit wird zur Inspirationsquelle und öffnet das Feld der Disziplinen zu einem mehrstimmigen Diskurs. Die Ausstellung am gta führt diesen Sprachwitz und dieses spielerische Augenzwinkern plastisch vor Augen.