Gemeinschaftliches Wohnen als Alternative zum Einfamilienhaus
Lukas Imhof Architektur
23. 6月 2022
Ansicht West (Foto: Hannes Heinzer)
Am Platz einer abgebrannten Scheune in Oberaach hat Lukas Imhof mit seinem Team ein Mehrfamilienhaus realisiert. Wie ist es ihm gelungen, ländliche Bautraditionen aufzugreifen und mit einer zeitgemässen, fast urbanen Wohnform zu verknüpfen?
Herr Imhof, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?
Eine abgebrannte Scheune, die Teil eines denkmalgeschützten Ensembles war, gab Volumen und Ausdruck vor. Besonders war, dass in diesem Volumen anstelle von einfachen Geschosswohnungen eine Wohnform entwickelt werden konnte, die nicht nur dicht, günstig und komfortabel ist, sondern auch einen gemeinschaftlichen Aspekt aufweist. Ziel war es, eine kostengünstige, verdichtete Wohnform als Alternative zum Einfamilienhaus anzubieten.
Der Hof mit dem historischen Brunnen ist zu einem wichtigen Treffpunkt für die Hausgemeinschaft geworden. (Foto: Hannes Heinzer)
Wetterseite mit roter Eternit-Fassade (Foto: Hannes Heinzer)
Erste Aneignung durch die Bewohner*innen am Tag des Einzugs (Foto: Hannes Heinzer)
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?
Die historische Scheune mit ihren zwei Scheunentoren und den dahinter liegenden, überhohen Tenn-Durchfahrten stand am Anfang. Ihre Fassade und die hohen Scheunenräume wollte ich als vage Erinnerung im Neubau und den Wohnräumen erhalten. Sie finden sich nun in den überhohen Wohnhallen und den zwei grossen Öffnungen zum Hof wieder. Die gegebene Volumetrie wiederum legte eine Split-Level-Lösung nahe, da sich bei normalen Geschosshöhen im zweiten Obergeschoss der Übergang von der Aussenwand zum Dach auf einer ungünstigen Höhe – nämlich der Augenhöhe – befindet. Durch die abwechselnde Spiegelung der Split-Level-Wohnungen entlang der Längsachse entstanden mit leichten Adaptionen sehr unterschiedliche Wohnungstypen. So kann das Haus für Bewohner*innen mit unterschiedlichen Vorlieben Wohnraum anbieten. Der Ausdruck des Baus, also die typische rote Eternit-Fassade auf der Wetterseite, das Ziegeldach mit den Glasziegeln und die Holzfassade, kommt natürlich ebenfalls von der Thurgauer Scheunentypologie.
Die zweite grosse Inspiration war der Wunsch, einen neuen, zeitgemässen und eher urbanen Wohnungsbau zu entwickeln. Dies hat etwa zum gemeinsamen Eingangs- und Aussenraum unter dem grossen Scheunendach geführt.
Hof mit der Remise im Hintergrund (Foto: Hannes Heinzer)
Die Wohnhalle mit dem Eingang zur gemeinsamen Vorzone. Auf eine private Zwischenschicht zum halböffentlichen Raum wurde bewusst verzichtet. (Foto: Hannes Heinzer)
Blick aus einer Küchennische in die Wohn- und Eingangshalle, die sich so in den Häusern 2 und 4 findet. (Foto: Hannes Heinzer)
So ist die Küche in den Häusern 1 und 3 gestaltet. (Foto: Hannes Heinzer)
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?
Motivisch sehr direkt durch die Aufgabe, eine abgebrannte Scheune wieder aufzubauen – wenn auch mit einer anderen Nutzung. Und ebenso durch die im Gebäudeensemble schon vorhandene, etwas geschützte Hofsituation mit der prägenden Linde, die eine ideale Grundlage gebildet hat, um die Wohnungen direkt und ohne private Zwischenschicht zum halböffentlichen Raum zu orientieren.
Auf der anderen Längsseite des Baus findet sich die Landwirtschaftszone: eine wunderbare Topografie mit einem alten Bestand an hochstämmigen Obstbäumen. Da diese Wiese nicht bebaut werden kann, haben die Zimmer mit den französischen Fenstern einen wunderbaren Blick.
Wohnhalle der Häuser 1 und 3 (Foto: Hannes Heinzer)
Foto: Hannes Heinzer
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen Ihren Entwurf beeinflusst?
Die Bauherrschaft, indem sie mit einer eher vagen Vorstellung von «etwas Gemeinschaftlichem» in die erste Sitzung kam – und unsere Vorschläge dann in der weiteren Projektentwicklung mitgetragen hat.
In hohem Masse hat ausserdem unser direkter Auftraggeber, die Krattiger Holzbau AG als Totalunternehmer, den Entwurf beeinflusst, indem die Firma es geschafft hat, in enger Zusammenarbeit die Kosten im Rahmen des Darstellbaren zu halten und gleichzeitig unsere architektonischen und gestalterischen Vorstellungen umzusetzen.
Die späteren Nutzer*innen wiederum – natürlich erst als herbeifantasierte Phantome – als Korrektiv zu unseren eigenen Wohnvorstellungen, indem wir uns immer wieder vor Augen gehalten haben: Wie wir wohnen wollen, ist eine Sache, aber wollen andere auch so wohnen? Und will so auch in fünfzig Jahren noch jemand wohnen? Was passiert, wenn jemand hier wohnt und mit der räumlichen Nähe nicht klarkommt? Und wie fühlen sich die Bauteile und Details in der Benutzung an, etwa ein französisches Fenster unter einem grossen Vordach? Letztere Überlegung hat beispielsweise dazu geführt, dass die einfachen Absturzsicherungen aus Stahl eine breite Auflage aus Holz bekommen haben. Wenn man am offenen Fenster lehnt und am Leben im Hof teilnimmt, kann man sich so bequem auf die Holzauflage stützten.
Aneignung des Vorbereichs durch die Bewohnenden fünf Wochen nach Bezug (Foto: Lukas Imhof)
Diese historische Aufnahme aus den 1970er-Jahren zeigt die abgebrannte Anlage, die nun ersetzt wurde.
Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?
Es gab einige Einsparungen, die dem Projekt aber eher geholfen haben. Ein Beispiel ist der Verzicht auf direkte Zugänge von der Einstellhalle in die Wohnungen – nun gehen alle Bewohner*innen über den gemeinsamen Hof, wenn sie nach Hause kommen, was unterschwellige Begegnungen und informellen Austausch befördert. Ausserdem haben wir die Einstellhalle auf das gesetzliche Minimum reduziert. Vielleicht wird so irgendwann ein nachbarschaftliches Carpooling umgesetzt? Auch die Einsparung von (eigentlich ohnehin wesensfremden) Dachgauben und der Verzicht auf die im Gebrauch vermutlich eher disfunktionalen Faltläden vor den grossen Wohnhallen im Erdgeschoss haben dem Bau nicht geschadet.
Grundriss Erdgeschoss
Grundriss Obergeschoss
Grundriss Dachgeschoss
Querschnitt
Längsschnitt
Lindenhof
Standort
Aspenstrasse 2, 8587 Oberaach
Nutzung
Mehrfamilienhaus
Auftragsart
Direktauftrag nach Projektstudie in einem TU-Team
Bauherrschaft
Privat
Architektur
Lukas Imhof Architektur GmbH, Zürich
Dejan Rebozzi und Lukas Imhof
Fachplaner
Generalplanung, Holzbauplanung und Baumanagement: Krattiger Holzbau, Amriswil
Holzbaustatik: Krattinger Engineering, Happerswil
Bauleitung
Krattiger Holzbau, Amriswil TG
Jahr der Fertigstellung
2022
Gebäudekosten BKP 2
3,2 Mio.
Gebäudevolumen
4560 m3
Kubikmeterpreis
700 CHF/m3
Massgeblich beteiligte Unternehmer
Totalunternehmer: Krattiger Holzbau, Amriswil
Fotos
Hannes Heinzer, Zürich