Lichtpoesie
Bauwerke im sakralen Bereich können und dürfen im Prinzip nicht nach Standard beleuchtet werden. Individuelle Lösungen sind gefragt. Spezialistin für derartige Sonderfälle ist die Lichtplanerin Gabriele Allendorf aus München, wie sie im Diözäsanen Zentrum in Limburg zeigt.
Abgesehen von der Kritik, die der Bischof von Limburg Franz-Peter Tebartz-van Elst wegen am Ende doch erheblich gestiegener Baukosten und deren interner Verrechnung erfahren hat, ist das auf dem Limburger Domberg entstandene Diözäsane Zentrum Sankt Nikolaus ein durchaus bemerkenswerter Bau. Erdacht immerhin vom ehemaligen Präsidenten des BDA Michael Frielinghaus, könnte man es als «exzellentes Beispiel zeitgenössischer Baukunst» (Architekturkritiker Rainer Haubrich) oder als «monströsen Luxuskomplex» (Kirchenkritiker Peter Wensierski) bezeichnen, mit reichlich viel Grauzone zwischen diesen beiden Meinungen. Entstanden ist hier jedenfalls ein Bauwerk, das einige interessante Momente parat hält, die es sich zumindest aus architektonischer Sicht lohnt zu betrachten. Das fängt schon bei der räumlichen Organisation im Grundriss an, durch die auf dem verhältnismässig kleinen Grundstück eine kompakte Anlage geschaffen wird, in der erstaunlich viel untergebracht ist. So finden sich im zweigeschossigen Neubau verschiedene Begegnungsorte, eine Hauskapelle mit Sakristei und Kreuzgang, Verwaltungs- und Tagungsräume, Ausstellungsflächen, die privaten Wohnräume des Bischofs, ein Gästebereich sowie einige Wirtschaftsräume. Bei alledem die Kompaktheit nicht spürbar werden zu lassen und dem Bauwerk im Gegensatz dazu eine gewisse Grosszügigkeit zu verleihen, ist ohne Zweifel eine beachtenswerte Entwurfsleistung des Architekten.
Einen wichtigen Beitrag zu dieser grosszügigen architektonischen Geste leistet der Umgang mit dem Licht im Innenraum. Da das Gebäude zur Hälfte unterirdisch liegt und das Erdgeschoss zudem umgeben ist von einer alten, erhalenswerten Begrenzungsmauer, konnten die Architekten nur mit natürlichem Licht aus Oberlichtern arbeiten, was raumsensorisch natürlich keine wirklich gute Alternative darstellt. Umso zentraler ist also die Ausgestaltung des Kunstlichts, das von der Münchner Lichtplanerin Gabriele Allendorf entworfen wurde. Sie entwickelte für jede Raumsituation eine individuelle Lösung, die sich weit fernab von Standardlösungen bewegt. Im Foyer etwa wird durch Lichtvouten am oberen Wandabschluss die Decke grosszügig erleuchtet, wodurch die ansonsten nur von einem Oberlicht «gestörte» Decke federleicht auf den Wänden zu lagern scheint. Ein ähnliches Lichtspiel erwartet den Besucher im dahinter folgenden Kreuzgang, dessen umlaufender Deckenstreifen diesmal von im Winkel zwischen Boden und Wand liegenden Lichtstreifen beleuchtet wird. Ihr Abstrahlwinkel ist so eingestellt, dass das Licht die Wände nicht streift. Licht aus der umlaufenden, unteren Raumkante gibt es auch in der von hier aus erreichbaren Kapelle St. Maria. Im Inneren wird sie als homogener Körper bzw. Raum wahrgenommen, dessen Oberflächen nicht durch aufgesetzten oder hängenden Leuchten gestört wird. Für die Lichtplanerin sollte es darum gehen, den Raum so weit wie möglich in seiner Natürlichkeit und Klarheit zu erhalten. So wird auch hier die Decke (diesmal in spitzer Satteldachform) hell, gotisch anmutend erleuchtet. In der Kapelle verbergen sich noch weitere Raffinessen: Die von dem renommierten Künstler Johannes Schreiter entworfenen Fenster in der Nord- und der Südfassade sind in den Laibungen mit senkrechten Lichtbändern versehen, mit denen sich das Morgen- und das Abendlicht simulieren lässt, passend zur Morgen- bzw. Abendmesse, reicht das natürliche Licht von aussen einmal nicht zur Inszenierung der kunstvollen Fenster. Die Fassade der Kapelle aus tiefschwarzem Basalt wird ebenfalls von Lichtbändern im Boden beleuchtet, wodurch der wassergestrahlte Stein geheimnisvoll zu schimmern beginnt.
Der Konferenzraum erhält sein (natürliches) Licht hauptsächlich von oben, durch ein langgestrecktes Oberlicht. Dies wird ergänzt durch speziell für diese Raumsituation entwickelte Deckenleuchten, die eine Festbeleuchtung herbeizaubern: Sie bestehen aus einem Körper aus Messing, in den eine Glasscheibe eingelassen ist. Diese Glassscheibe wurde aus zwei verschiedenen Glassorten (Opti-white und normales, grün schimmerndes Fensterglas) hergestellt, die als Stäbe zu einer Scheibe miteinander verschmolzen wurden. So erhalten sie eine feine, horizontale Struktur. Das Licht aus den LEDs ist zusätzlich dimmbar und kann in der Farbe verändert werden. Ähnlich der Leuchten im Konferenzraum sind auch die Leuchten in der Tageslichtöffnung im Speiseraum erdacht: Hier ragen Plexiglasscheiben aus der Randverkleidung der Deckenöffnung, gefasst ebenfalls durch Messing und mit LEDs versehen. So entsteht die Wirkung eines invertierten Lüsters bzw. Kronleuchters. Im Untergeschoss befinden sich Reste eines keltischen Stadtwalls, die im Zuge der Bauarbeiten freigelegt wurden. Sie inszeniert Gabriele Allendorf durch punktuelles Licht aus kleinen LED-Strahlern, was dem alten Mauerwerk eine spezielle Haptik und zusätzliche Dynamik verleiht. Der grosse Mehrzweckraum, in dem sich der Keltenwall befindet, erhält sein Licht wieder von Lichtbändern am Deckenrand. Allen Unkenrufen zum Trotz findet Otto Normalarchitekturfan das raffiniert und auch poetisch.
Diözäsanes Zentrum Sankt Nikolaus
Limburg, D
Produkt
Sonderlösungen
Entwurf Gabriele Allendorf
Lichtplanerin
Gabriele Allendorf Light Identity
München, D
Mitarbeit
Florian Kempe, Regine Oel, Alexander Hölzl
Architekt
BLFP Frielinghaus Architekten
Friedberg, D
Bauherr
Bischöflicher Stuhl
Limburg, D
Fertigstellung
2013
Fotografie
Gabriele Allendorf Light Identity
Studio ThD
Architekturbüro Hamm
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