Lichtpoesie

Thomas Geuder
1. April 2014
Das neue Diözäsische Zentrum in Limburg korrespondiert städtebaulich mit dem spätromanischen Dom, dessen Grundstein Ende des 12. Jahrhundert. (Foto: Studio ThD)

Abgesehen von der Kritik, die der Bischof von Limburg Franz-Peter Tebartz-van Elst wegen am Ende doch erheblich gestiegener Baukosten und deren interner Verrechnung erfahren hat, ist das auf dem Limburger Domberg entstandene Diözäsane Zentrum Sankt Nikolaus ein durchaus bemerkenswerter Bau. Erdacht immerhin vom ehemaligen Präsidenten des BDA Michael Frielinghaus, könnte man es als «exzellentes Beispiel zeitgenössischer Baukunst» (Architekturkritiker Rainer Haubrich) oder als «monströsen Luxuskomplex» (Kirchenkritiker Peter Wensierski) bezeichnen, mit reichlich viel Grauzone zwischen diesen beiden Meinungen. Entstanden ist hier jedenfalls ein Bauwerk, das einige interessante Momente parat hält, die es sich zumindest aus architektonischer Sicht lohnt zu betrachten. Das fängt schon bei der räumlichen Organisation im Grundriss an, durch die auf dem verhältnismässig kleinen Grundstück eine kompakte Anlage geschaffen wird, in der erstaunlich viel untergebracht ist. So finden sich im zweigeschossigen Neubau verschiedene Begegnungsorte, eine Hauskapelle mit Sakristei und Kreuzgang, Verwaltungs- und Tagungsräume, Ausstellungsflächen, die privaten Wohnräume des Bischofs, ein Gästebereich sowie einige Wirtschaftsräume. Bei alledem die Kompaktheit nicht spürbar werden zu lassen und dem Bauwerk im Gegensatz dazu eine gewisse Grosszügigkeit zu verleihen, ist ohne Zweifel eine beachtenswerte Entwurfsleistung des Architekten.

Direkt hinter dem Eingangstor befindet sich der eigentliche Eingang zum Diözäsanen Zentrum, nach rechts gelangt man in die offiziellen Büroräume des Bischofs im sanierten Altbau. (Foto: Gabriele Allendorf Light Identity)

Einen wichtigen Beitrag zu dieser grosszügigen architektonischen Geste leistet der Umgang mit dem Licht im Innenraum. Da das Gebäude zur Hälfte unterirdisch liegt und das Erdgeschoss zudem umgeben ist von einer alten, erhalenswerten Begrenzungsmauer, konnten die Architekten nur mit natürlichem Licht aus Oberlichtern arbeiten, was raumsensorisch natürlich keine wirklich gute Alternative darstellt. Umso zentraler ist also die Ausgestaltung des Kunstlichts, das von der Münchner Lichtplanerin Gabriele Allendorf entworfen wurde. Sie entwickelte für jede Raumsituation eine individuelle Lösung, die sich weit fernab von Standardlösungen bewegt. Im Foyer etwa wird durch Lichtvouten am oberen Wandabschluss die Decke grosszügig erleuchtet, wodurch die ansonsten nur von einem Oberlicht «gestörte» Decke federleicht auf den Wänden zu lagern scheint. Ein ähnliches Lichtspiel erwartet den Besucher im dahinter folgenden Kreuzgang, dessen umlaufender Deckenstreifen diesmal von im Winkel zwischen Boden und Wand liegenden Lichtstreifen beleuchtet wird. Ihr Abstrahlwinkel ist so eingestellt, dass das Licht die Wände nicht streift. Licht aus der umlaufenden, unteren Raumkante gibt es auch in der von hier aus erreichbaren Kapelle St. Maria. Im Inneren wird sie als homogener Körper bzw. Raum wahrgenommen, dessen Oberflächen nicht durch aufgesetzten oder hängenden Leuchten gestört wird. Für die Lichtplanerin sollte es darum gehen, den Raum so weit wie möglich in seiner Natürlichkeit und Klarheit zu erhalten. So wird auch hier die Decke (diesmal in spitzer Satteldachform) hell, gotisch anmutend erleuchtet. In der Kapelle verbergen sich noch weitere Raffinessen: Die von dem renommierten Künstler Johannes Schreiter entworfenen Fenster in der Nord- und der Südfassade sind in den Laibungen mit senkrechten Lichtbändern versehen, mit denen sich das Morgen- und das Abendlicht simulieren lässt, passend zur Morgen- bzw. Abendmesse, reicht das natürliche Licht von aussen einmal nicht zur Inszenierung der kunstvollen Fenster. Die Fassade der Kapelle aus tiefschwarzem Basalt wird ebenfalls von Lichtbändern im Boden beleuchtet, wodurch der wassergestrahlte Stein geheimnisvoll zu schimmern beginnt.

Im Foyer sorgen etwas zurück versetzte Lichtbänder am oberen Wandabschluss dafür, dass die Decke wie federleicht auf den Wänden aufliegt. (Foto: Gabriele Allendorf Light Identity)

Der Konferenzraum erhält sein (natürliches) Licht hauptsächlich von oben, durch ein langgestrecktes Oberlicht. Dies wird ergänzt durch speziell für diese Raumsituation entwickelte Deckenleuchten, die eine Festbeleuchtung herbeizaubern: Sie bestehen aus einem Körper aus Messing, in den eine Glasscheibe eingelassen ist. Diese Glassscheibe wurde aus zwei verschiedenen Glassorten (Opti-white und normales, grün schimmerndes Fensterglas) hergestellt, die als Stäbe zu einer Scheibe miteinander verschmolzen wurden. So erhalten sie eine feine, horizontale Struktur. Das Licht aus den LEDs ist zusätzlich dimmbar und kann in der Farbe verändert werden. Ähnlich der Leuchten im Konferenzraum sind auch die Leuchten in der Tageslichtöffnung im Speiseraum erdacht: Hier ragen Plexiglasscheiben aus der Randverkleidung der Deckenöffnung, gefasst ebenfalls durch Messing und mit LEDs versehen. So entsteht die Wirkung eines invertierten Lüsters bzw. Kronleuchters. Im Untergeschoss befinden sich Reste eines keltischen Stadtwalls, die im Zuge der Bauarbeiten freigelegt wurden. Sie inszeniert Gabriele Allendorf durch punktuelles Licht aus kleinen LED-Strahlern, was dem alten Mauerwerk eine spezielle Haptik und zusätzliche Dynamik verleiht. Der grosse Mehrzweckraum, in dem sich der Keltenwall befindet, erhält sein Licht wieder von Lichtbändern am Deckenrand. Allen Unkenrufen zum Trotz findet Otto Normalarchitekturfan das raffiniert und auch poetisch.

Hinter dem Foyer folgt der Kreuzgang, dessen umlaufende Decke durch das Licht von unten inszeniert wird. (Foto: Gabriele Allendorf Light Identity)
Der Konferenzraum kann vielfältig beleuchtet werden: mit natürlichem Licht von den Seiten und oben sowie mit Kunstlicht aus den von Gabriele Allendorf entwickelten Deckenleuchten. (Foto: Gabriele Allendorf Light Identity)
Im dem Konferenzraum angegliederten Speiseraum ist die Tageslichtöffnung zum quasi invertierten Kronleuchter umfunktioniert. (Foto: Gabriele Allendorf Light Identity)
Grundriss Erdgeschoss
Grundriss Untergeschoss
Grundrissorganisation
Gegenüber des Konferenzbereichs befindet sich die Kapelle St. Maria, deren Decken und Wände komplett frei von Leuchten sind. (Foto: Gabriele Allendorf Light Identity)
Möglich ist dies durch LED-Lichtbänder auf der Empore … (Foto: Gabriele Allendorf Light Identity)
… sowie im umlaufenden Bodenrand. (Foto: Gabriele Allendorf Light Identity)
Die Kapellenfenster sind ein Entwurf des renommierten Künstlers Johannes Schreiter. (Foto: Gabriele Allendorf Light Identity)
Sie lassen sich durch Lichtbänder in den Fensterlaibungen in ein Morgen- oder Abendlicht tauchen. (Foto: Gabriele Allendorf Light Identity)
Die mit teifschwarzem Naturstein verkleideten Stirnseiten der Kapelle werden mit Streiflicht beleuchtet. (Foto: Gabriele Allendorf Light Identity)
Im Untergeschoss erhält der grosse Ausstellungsraum das Licht aus den Deckenrändern. (Foto: Gabriele Allendorf Light Identity)
Die Überreste des keltischen Stadtwalls inszeniert Gabriele Allendorf mit punktförmigem Licht aus LED-Strahlern. (Foto: Gabriele Allendorf Light Identity)
Modell (Foto: Studio ThD)
So sah das Grundstück vor den Baumassnahmen aus. (Foto: Architekturbüro Hamm)
Projekt
Diözäsanes Zentrum Sankt Nikolaus
Limburg, D

Produkt
Sonderlösungen
Entwurf Gabriele Allendorf

Lichtplanerin
Gabriele Allendorf Light Identity
München, D

Mitarbeit
Florian Kempe, Regine Oel, Alexander Hölzl

Architekt
BLFP Frielinghaus Architekten
Friedberg, D

Bauherr
Bischöflicher Stuhl
Limburg, D

Fertigstellung
2013

Fotografie
Gabriele Allendorf Light Identity
Studio ThD
Architekturbüro Hamm


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