Siegfried Kuhn – 1001 Geschichten eines Pressefotografen
Nadia Bendinelli
25. maggio 2023
Foto: Nadia Bendinelli
Kuhns humorvolle Autobiografie ist zugleich ein Fotobuch – oder, wie er sagt, ein «Arbeitsbuch». Zu den Bildstrecken gesellen sich spannende Anekdoten und Einblicke in seine Arbeitsweise, die immer persönlich und erfrischend ehrlich erzählt sind.
Machart, Verbreitungswege und Geschwindigkeit haben sich stets verändert, doch das Bedürfnis, Geschichten in Bildern zu erzählen, gibt es seit Menschengedenken. In der Blütezeit der Illustrierten düsten die Pressefotografen emsig durchs Land – von Schauplatz zu Schauplatz –, um kostbare Zeitdokumente zu sammeln. Einer von ihnen war Siegfried Kuhn.
Kuhns Eltern, beide Fotografen, führten zwischen 1923 und 1957 ein Atelier in Lyss im Kanton Bern. Nach seiner Ausbildung gehörten Studiofotografie und Laborarbeit auch zu seinem Alltag. Doch schon als Kind schmiedete er insgeheim andere Zukunftspläne: Sein Traum war es, «als Reporter zu arbeiten und die Welt zu erobern».
1959 ging dieser Wunsch schliesslich in Erfüllung: Die A.T.P. – eine der damals führenden Schweizer Bildagenturen – suchte einen Reporter für ihr Berner Büro. Für Kuhn war das der Beginn einer neuen Karriere. Von überallher schickte er seine Filme per Express-Bahnpost nach Zürich, wo sich der Hauptsitz der Agentur befand. Dort wurden sie von einem Kurier entgegengenommen, sofort ins Labor gebracht und für die Veröffentlichung aufbereitet. Kuhn bekam seine Bilder nur dann zu sehen, wenn sie in den diversen Zeitschriften erschienen. Von Auswählen oder Mitbestimmen war nie die Rede.
«Typhus in Zermatt», 1963. Die Epidemie mit 437 Infizierten verursachte drei Todesfälle. Hinzu kam ein grosser Imageschaden für die Schweiz. (Foto: Nadia Bendinelli)
Die Hektik dieser Arbeit ist aus Kuhns Autobiografie deutlich zu spüren. Sie ist aber vermischt mit viel Humor und angereichert mit witzigen Momenten; etwa, als er den Bundesrat Hans Schaffner im Béatrice-von-Wattenwyl-Haus fotografierte. Die im Jahr 1959 benutzte Lichtanlage leistete gute Dienste und ermöglichte schön gezeichnete Bilder, erzeugte aber eine nicht zu unterschätzende Wärme. Kurz beiseitegelegt, um die Familie Schaffner für das Porträt zu «drapieren», verursachten die Lampen ein plötzliches Aufrauchen des Perserteppichs. Der Bundesrat amüsierte sich über den Zwischenfall: Man sei ja nur Mieter im Haus und der Teppich somit Eigentum der Eidgenossenschaft.
Sport war ein Schwerpunkt der Bildagentur A.T.P. – Siegfried Kuhns besondere Leidenschaft galt dabei dem Radsport. (Foto: Nadia Bendinelli)
Berichterstattung über den Kampf zwischen Muhammad Ali und Ernie Terrell, der am 6. Februar 1967 in Texas stattfand. Der Kampf ging über 15 Runden, und Ali gewann aufgrund einer einstimmigen Entscheidung des Kampfgerichts. (Foto: Nadia Bendinelli)
«Siegfried Kuhn. Pressefotograf 1959–1995»Das Buch ist – auch dank gefühlt Tausenden von Anekdoten – leicht, lustig und erfrischend ehrlich. Auch Fehltritte und widrige Umstände finden neben Erfolgen, Freude und relevanten Ereignissen Platz. Die Inhalte decken unterschiedliche Interessenfelder ab: Es geht um lokale und internationale Sportwettbewerbe, Politik und Kultur; um berühmte und gewöhnliche Menschen. Man bekommt leicht eine Vorstellung von Kuhns Arbeitsalltag. Gleichzeitig schwelgt man durch seine Erzählungen in Erinnerungen oder erfährt Neues aus der Schweizer Geschichte.
Als akkreditierter Bundeshausfotograf wohnte Siegfried Kuhn den unterschiedlichsten Anlässen und Bundesratsreisen bei. Um die Olympiaden und weitere sportliche Ereignisse festzuhalten, vergrösserte er seinen gewohnten Aktionsradius erheblich – zum Beispiel 1967 durch eine Amerikareise. Dabei konnte er Muhammad Ali vor und während eines Kampfes gegen Ernie Terrell über vier Wochen begleiten. Regelmässig begab sich der Fotograf nach Gstaad, beliebter Ferienort zahlreicher Prominenter. Dort entstanden Fotostrecken mit Grace Kelly, Roman Polański, Brigitte Bardot, Curd Jürgens, Roger Moore und vielen anderen. Auch Fototermine mit Künstlern und Literaten fanden sich regelmässig auf seinem Plan. Friedrich Dürrenmatt bot, so erinnert sich Kuhn, immer wieder gelungene Selbstinszenierungen. Und den Künstler Bernhard Luginbühl kannte er seit der Ausbildung an der Gewerbeschule. Weitere Freundschaften mit Schweizer Künstlern schloss Kuhn im Laufe der Zeit.
Doch auch düstere Kapitel der Schweizer Geschichte wie die Typhusepidemie in Zermatt im Jahr 1963 fotografierte er. Sie reihen sich in seine Sammlung überaus vielfältiger Erfahrungen.
Den Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt fotografierte Siegfried Kuhn des Öfteren. (Foto: Nadia Bendinelli)
Ursula Andress, die berühmte Schauspielerin mit Berner Wurzeln, wurde oft Sujet von Kuhns Aufnahmen. (Foto: Nadia Bendinelli)
Bundesrat Adolf Ogi zeigte seine sportliche Seite. (Foto: Nadia Bendinelli)
Foto: Nadia Bendinelli
Es handelt sich um eine interessante Autobiografie, die Fotografie-, Geschichte- und Sportbegeisterten gleichermassen gefallen kann. Sie gibt Einblick ins lebhafte System der damaligen Pressefotografie. Sie zeigt das Tagesgeschehen aus über dreissig Jahren. Und sie gibt uns die Möglichkeit, einen sympathischen Fotografen kennenzulernen. Durch Siegfried Kuhns persönliche Eindrücke und Erlebnisse wird uns gestattet, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen und etwas näher an den Protagonisten zu rücken. Stilistisch erscheinen die Abbildungen sehr unterschiedlich: Das ist nur logisch, bedenkt man die Themenvielfalt. Im Buch zu blättern und zu lesen, bereitet grosse Freude: Man kann lachen, die Stirn runzeln, nachdenken und sicher einige noch unbekannte Details aus der Zeit zwischen 1959 und 1995 entdecken.
Fotografien (Kontaktabzüge) der Viehschau in Lauenen im Kanton Bern, die 1974 stattfand. Mit dieser Bildstrecke gewann Siegfried Kuhn den «Grossen Fotopreis der UBS». (Foto: Nadia Bendinelli)
Siegfried Kuhn. Pressefotograf 1959–1995
Fotobüro Bern (Hrsg.)
Siegfried Kuhn
205 x 295 Millimeter
424 Pagine
954 Illustrations
Broschiert
ISBN 978-3-03942-041-4
Scheidegger & Spiess
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