Kilian Kirchgessner erhält deutsch-tschechischen Journalistenpreis für Radiobeitrag über brutalistische Zeitzeugen
Katinka Corts
16. novembre 2022
Zu den bekannteren brutalistischen Bauten Tschechiens gehört die «Neue Szene» des Nationaltheaters in Prag. Das Foto zeigt das Gebäude im Jahr 2016. (Foto: Thomas Ledl via Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0)
Bauten im Stil des Brutalismus polarisieren. Kilian Kirchgessner hat den Hörer*innen des Deutschlandfunks die brutalistische Architektur Tschechiens nähergebracht, die einst als «kommunistisch» abgelehnt wurde, nun aber auch Wertschätzung erfährt.
Das Urteil über die Architektur des Brutalismus fällt häufig äusserst negativ aus. Das galt lange Zeit auch für brutalistische Bauwerke in Tschechien. Ab den 1950er-Jahren hatten sich weltweit verschiedene Ausprägungen moderner Architektur entwickelt, die heute grob unter diesem Schlagwort zusammengefasst werden. Zu den bevorzugten Baumaterialien zählte «Béton brut», also roher Beton, der sichtbar belassen wurde.
Kilian Kirchgessner berichtet in seiner Radiosendung für den Deutschlandfunk, wie in Tschechien entsprechende Gebäude aus den 1960er- und 1970er-Jahren lange Zeit mit dem Kommunismus gleichgesetzt wurden. Inzwischen aber gibt es ein Umdenken: Plötzlich gilt als schützenswert, was früher mit der Abrissbirne aus dem Stadtbild Prags und anderer Städte entfernt wurde.
Věra Machoninová, Kotva Department Store, 1970, Prag (Foto: VitVit via Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0)
Das Transgas-Gebäude (1978) von Jiří Eisenreich, Jindřich Malátek und Václav Aulický wurde im Jahr 2019 abgerissen (Foto: Dezidor via Wikimedia Commons, CC BY 3.0)
«Vielleicht ist es also genau das, was vom Brutalismus übrig bleibt, zumindest hier, bei der tschechischen Botschaft in Berlin: Er muss nicht mehr Machtdemonstration sein, keinen Beweis von Grösse oder Modernität mehr erbringen. Es bleibt die Architektur als Zeugnis einer vergangenen Epoche.»
Viele der Gebäude sind in die Jahre gekommen, was für heutige Nutzungen Probleme mit sich bringt – allein schon, weil Raumaufteilung und -gestaltung häufig nicht mehr den gängigen Anforderungen entsprechen. Dennoch finden sich – besonders in Fachkreisen – auch zahlreiche Liebhaber*innen dieser Bauwerke. Diese Architektur und das neue Bewusstsein für ihre Bedeutung im heutigen Tschechien bringe Kilian Kirchgessner dem deutschen Radio-Publikum näher, sagte Christoph Scheffer vom Hessischen Rundfunk in seiner Laudatio. «Die jüngere Generation in Tschechien – so erfahren wir – sieht die Bauten des Brutalismus nicht mehr als hässliche Überreste des Kommunismus, sondern entdeckt die Schönheiten von rohem Sichtbeton und expressiv-modernen Formen.»
Neu wird die Aufgabe sein, die damals entstandenen Bauten als Zeugnisse ihrer Zeit anzunehmen, schätzen zu lernen und bestenfalls behutsam so umzunutzen, dass sie im Stadtbild erhalten bleiben, zumal ihr Abriss ökologisch höchst zweifelhaft ist und nur schwer vertretbar wäre. Mit der Zeit alle «ungeliebten» Bauepochen aus dem Stadtbild zu verdrängen, brächte mit sich, dass wir in historisierenden Städten leben, die uns keinen Bezug zu unserer eigenen Geschichte und Entwicklung erlauben. Kirchgessners Beitrag ist daher wichtig und zeigt, dass jede Epoche es verdient, aus mehreren Perspektiven betrachtet und diskutiert zu werden.
Den schön und abwechslungsreich gestalteten Radiobeitrag empfehlen wir Ihnen wärmstens. Er eignet sich für architekturinteressierte Laien genauso wie für Fachleute. Wir gratulieren herzlich zur Auszeichnung.
Die Botschaft der Tschechischen Republik in der Wilhelmstrasse 44 im Zentrum Berlins wurde in den Jahren zwischen 1974 und 1978 als tschechoslowakische Botschaft nach einem Entwurf der Architekten Vera Machonina, Vladimir Machonin und Klaus Pätzmann auf dem damaligen Thälmannplatz (bis 1949: Wilhelmplatz) errichtet. (Foto: Jörg Zägel via Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0)
Sie können den Radiobeitrag «Brutalistische Zeitzeugen. Tschechiens Umgang mit der Architektur des Kommunismus» online anhören.
Eine Sendung von Kilian Kirchgessner
Moderation und Redaktion: Johanna Herzing
Regie: Simonetta Dibbern
Ton und Technik: Martin Hoffmann
Produktion: Deutschlandfunk
Erstsendung: 27. November 2021, in: «Gesichter Europas»
Der Beitrag umfasst Auszüge aus der Oper «Wir bauen eine Stadt» von Paul Hindemith, gesungen und gespielt vom Dismanův dětský soubor (1970).