Ein Garten für Venedig
Susanna Koeberle
1. settembre 2020
Im Hintergrund der Giardini Reali sieht man den Markusturm. (Foto: Susanna Koeberle)
Nach längeren Restaurierungsarbeiten wurden im Dezember des vergangenen Jahres die königlichen Gärten von Venedig neu eröffnet. Diesen Frühling blühte die frisch bepflanzte Grünanlage zum ersten Mal – leider damals wegen des Lockdowns noch unbemerkt. Jetzt ist dieser öffentliche Raum zu neuem Leben erwacht.
Venedig ist nicht als Gartenstadt bekannt. Man könnte die Serenissima aber auch als grossen öffentlichen Raum bezeichnen. Dieser wird vor allem vom Tourismus genutzt, der allerdings in den letzten Jahren immer exzessiver geworden ist und der Stadt – die auch unter den Folgen des Klimawandels leidet – stark zusetzt. Umso mehr sind öffentlich zugängliche Erholungsorte wichtig, die auch von Einheimischen genutzt werden können. Ein solcher Ort sind die Giardini Reali. Das Erstaunliche daran ist, dass diese Gärten – obwohl gleich hinter dem Markusplatz gelegen – quasi unbekannt sind. Als mir die beiden Künstler Maria Thereza Alves und Jimmie Durham (Goldener Löwe für das Lebenswerk an der Biennale 2019) im März dieses Jahres anlässlich ihres Auftritts an der «Collectible» in Brüssel von diesem Garten erzählten, traute ich meinen Ohren nicht. Wie war es möglich, dass ich diesen bis anhin übersehen hatte? Die beiden Künstler wussten davon, weil sie angefragt worden waren, für den einen Flügel des neu restaurierten Gartenpavillons einige Tische zu entwerfen (Alves und Durham sind Mitinhaber des Möbelbrands Labinac).
Der seitliche Flügel des Pavillons heisst «The Human Garden». (Foto: Susanna Koeberle)
Bei meinem letzten Venedig-Besuch galt also mein erster Abstecher diesem «versteckten» Park, der nach mehrjähriger Restauration Mitte Dezember letzten Jahres eröffnet worden war. Zuständig für die aufwendige Instandsetzung des historisch bedeutenden Gartens ist die «Venice Gardens Foundation» mit der Generali Versicherung als Hauptsponsor. Als Landschaftsgärtner wurde Paolo Pejrone beauftragt, die Restaurierung der Bauten übernahm Alberto Torsello (basierend auf Plänen von Carlo Aymonino und Gabriella Barbini). Der Pavillon datiert aus der Zeit zwischen 1816 und 1817 und wurde vom Architekten Lorenzo Santi als Kaffeehaus konzipiert, eine Funktion, die der Bau jetzt nach der Renovation wieder einnimmt. Entstanden war die Gartenanlage einige Jahre nach der Eroberung Venedigs durch Napoleon im Jahr 1797. Der seitliche Flügel des gewächshausartigen neoklassischen Pavillons dient heute als Veranstaltungsraum. In diesem als «Human Garden» betitelten Gebäudeteil sollen künftig auch Anlässe stattfinden, welche im Zusammenhang stehen mit der von der «Fondazione Generali» unterstützen Organisation «The Human Safety Net».
Der neue Garten blühte diesen Frühling zum ersten Mal. (Foto: Susanna Koeberle)
Rege genutzt wurden bei unserem Besuch Ende August auch die Bänke, die in der streng symmetrischen Struktur des Parks verteilt sind. Die Pflanzen im Garten befanden sich vor der Sanierung in einem kritischen Zustand, 19 Bäume waren krank oder schon abgestorben. Nun zieren 22 neue Bäume, 832 Stauden, 3150 andere Gewächse sowie 68 Kletterpflanzen diese grüne Insel im Miniformat. Solche Oasen sind mehr als Grünräume: Sie stehen für ein dringend notwendiges Umdenken, was die Nutzung dieser einmaligen Stadt betrifft. Der Lockdown hatte in der beliebten Tourismusdestination zwar grosse Einbussen zur Folge. Doch wo man auch hinhörte, waren sich die Einheimischen einig, dass die Stadt endlich wieder atmen konnte. Venedig ist mehr als ein schwimmendes Museum, mehr als ein geschütztes Weltkulturerbe: Die Stadt steht auch für einen kulturellen Schmelztiegel, der seit seiner Gründung von Austausch und Koexistenz geprägt war. Das darf nicht einfach einem gefrässigen Massentourismus preisgegeben werden.