Architekt, Kritiker und Vordenker – zum Tod von William S. W. Lim
Eduard Kögel
19. gennaio 2023
Der Golden Mile Complex in Singapur gehört zu den bekanntesten Bauten Lims. Die Anlage ist eine komplexe Mischung aus Wohn- und Geschäftshaus. Seit 2021 steht das umstrittene Bauwerk unter Schutz. (Foto: Eduard Kögel)
William Siew Wai Lim war nicht nur Architekt und Stadtplaner, sondern auch Netzwerker, Denkmalpfleger und Autor. Seine kritische Haltung zur urbanen Entwicklung in Asien wird in Zukunft fehlen.
William S. W. Lim wurde 1932 in Hongkong geboren und kam später mit seiner Familie nach Singapur. Zwischen 1951 und 1955 studierte er an der Architectural Association in London, wo dazumal unter anderem Ove Arup (1895–1988) und Peter Smithson (1923–2003) unterrichteten. 1956 wechselte Lim für ein Jahr als Fulbright Fellow nach Harvard an das Department for City and Regional Planning unter Jaqueline Tyrewhitt (1905–1983).
Als Architekt gründete Lim mehrere Büros, als Autor schrieb er über ein Dutzend Bücher. Er beteiligte sich als Aktivist und Intellektueller an transnationalen Diskursgruppen. Immer war Lim auf der Suche nach den neusten Trends, mit dem Ziel, eine Idee der asiatischen Architektur und Stadt zu definieren.
Seine Architekturbüros verstand Lim immer als kollektive Designunternehmen, die sich an erfolgreichen Gruppen orientierten – etwa an The Architects Collaborative (TAC), zu dessen Architekten Walter Gropius gehörte, oder dem 1939 in Grossbritannien gegründeten Büro Architects’ Co-Partnership. Bereits 1980 schrieb er: «Values, attitudes and visual images are changing at an accelerating rate. The speed of these changes is now unprecedented. A talented architect who practices mainly what he learnt during his formal education 15–20 years ago may be financially successful, but he is professionally irrelevant. The master architect is dead!»
William S. W. Lim (links) mit Koh Seow Chuan (Mitte) und Tay Kheng Soon (rechts), die seine Partner im Büro Design Partnership waren. Auf dem Bild im Hintergrund ist der Golden Mile Complex zu sehen. (Foto: mit freundlicher Genehmigung des William S. W. Lim Archive, nach 1967)
Der People’s Park Complex mit Sockel und Hochhausscheibe im Jahr 2019. Die Anlage mit über 300 kleinen Geschäften und 264 Wohnungen zählt zu Lims bekanntesten Bauten. (Foto: Eduard Kögel)
Der sogenannte City Room im People’s Park Complex ist ein öffentlicher Raum im Gebäude. Die Idee dazu hatten Lim und sein Team von den Metabolisten übernommen. (Foto: Eduard Kögel)
Arbeiten in wechselnden KollektivenNach der Ausbildung kehrte William S. W. Lim 1957 nach Singapur zurück und gründete drei Jahre später zusammen mit Lim Chong Keat (*1930) und Chen Voon Fee (1931–2008), die ebenfalls in Grossbritannien studiert hatten, das Büro Malayan Architects Co-Partnership (MAC). Dieses bestand bis 1967. Nach der Auflösung gründete Lim noch im selben Jahr zusammen mit zwei jüngeren vormaligen MAC-Associates, Tay Kheng Soon (*1940) und Koh Seow Chuan (*1939), das Büro Design Partnership, das nach dem Ausstieg von Tay Kheng Soon ab 1975 als DP Architects Pte (DPA) firmierte. 1981 verliess auch Lim das Büro, zu dessen Team heute weltweit über 900 Mitarbeitende gehören.
Die bedeutendsten Bauten der ersten Periode von Design Partnership waren der People’s Park Complex und der Golden Mile Complex, mit denen der Brutalismus nach Singapur kam. 1981 gründete Lim das Büro William Lim Associates (1981–2002), wo er mit jüngeren Kollegen nach einem Post-Modernismus suchte, von dem er sagte: «Pluralism and rebelliousness are essential ingredients of good design.» Die Bauten aus dieser Periode haben nicht immer den Test der Zeit bestanden, doch für Lim war das Bauen immer auch ein Ausprobieren und eine Form der Kritik an der gebauten Stadt.
Ursprünglich war der People’s Park Complex in Sichtbeton ausgeführt. Er wurde aber später im Zuge diverser «Verschönerungen» in leuchtenden Gelb- und Grüntönen gestrichen. Auch im Inneren wurden viele kleine Dekorationen hinzugefügt. (Foto: Eduard Kögel)
Der People’s Park Complex und der Golden Mile Complex in Singapur: Zwei ikonische BautenDer People’s Park Complex befindet sich nordwestlich von Chinatown und wurde 1973 eröffnet. Mit der Kombination aus einem sechsgeschossigen Sockelbau, in dem mehr als 300 Geschäfte untergebracht sind, und einer 25-geschossigen Hochhausscheibe mit 264 Wohnungen experimentierten die Architekten mit neuen Ideen. Das urbane Wohnzimmer, der sogenannte City Room, das die Metabolisten in Japan zu jener Zeit diskutierten, inspirierte das Konzept des öffentlichen Raumes im Sockel. Als der japanische Architekt Fumihiko Maki (*1928) den Bau besichtigte, war er erstaunt von der pragmatischen Umsetzung dessen, was er und seine Kollegen theoretisch durchdacht hatten. Die Idee des urbanen Wohnzimmers mit Geschäften und Werkstätten funktioniert bis heute, obschon der gesamte Komplex aus kommerziellen Gründen vom Abbruch bedroht ist.
Auch beim 1974 eröffneten Golden Mile Complex handelt es sich um eine komplexe Mischung aus Wohn- und Geschäftshaus. Die unterschiedlichen Funktionen sind oberhalb der Shoppingmall kaskadenartig übereinander gestapelt, und die Wohnungen haben einen schönen Ausblick über die Flusslandschaft. Die terrassierten Geschosse wurden im Laufe der Jahre von den Nutzenden in Eigenregie erweitert und individuell überdacht. Diese selbstermächtigte Collage bezeichneten die Politiker, die sich bereits vor über zehn Jahren für einen Abriss des 70 Meter hohen «Schandflecks» aussprachen, als vertikalen Slum. Dennoch gelang hier Bemerkenswertes: 2021 wurde das Gebäude unter Schutz gestellt. 2022 kaufte es ein privater Investor unter der Auflage, den Komplex zu sanieren. Jetzt wird diskutiert, ob das nicht auch ein Weg für die Zukunft des People’s Park Complex sein könnte.
Der Central Market in Kuala Lumpur 1986 nach seiner Sanierung (Foto: Eduard Kögel)
Foto: Eduard Kögel
Netzwerker, Aktivist und Autor1965 gründete Lim zusammen mit Tay Kheng Soon und anderen Gleichgesinnten die Singapore Planning and Urban Research Group (SPUR), die sich kritisch mit der offiziellen Planung des Stadtstaates auseinandersetzte. Die Zeichnungen aus ihren Publikationen sind legendär. Sie illustrieren die damalige Planungsideologie, die sich in den zeitgleich entstandenen grossmassstäblichen Projekten People’s Park Complex und Golden Mile Complex wiederfindet.
In den 1980er-Jahren begann Lim sich auch mit dem Erhalt der bedrohten historischen Bauten in Singapur und Malaysia zu befassen. In Kuala Lumpur sanierte er beispielsweise 1986 zusammen mit Chen Voon Fee und Carl Larson den im Art-déco-Stil erbauten Central Market. Die zunehmende Bedrohung der historischen Architektur in Singapur führte Ende der 1980er-Jahre zur Gründung der Singapore Heritage Society, deren Präsident Lim von 1988 bis 1997 war. Er sanierte auch einige der historischen Shophouses in Chinatown und half mit, die typische Bauweise der Stadt zu erhalten.
Seine Frau Lena Lim gründete 1976 den Verlag Select Books, der sich auf südostasiatische Themen spezialisierte. Hier publizierte Lim viele seiner Bücher, die sich mit Stadtplanung, Architektur, soziokulturellen Aspekten, sozialer Gerechtigkeit und Fragen der kulturellen Identität befassen.
Vision einer mischgenutzten Bandstadt aus einer Publikation von SPUR des Jahres 1967 (Zeichnung: mit freundlicher Genehmigung von Tay Kheng Soon)
Auf der Suche nach einer asiatischen Stadtidee2017 organisierte das NTU Centre for Contemporary Art Singapore die Ausstellung «Incomplete Urbanism. Attempts of Critical Spatial Practice». 2020 publizierte das Museum dazu das Buch «The Impossibility of Mapping (urban Asia)». Beiden liegt das Werk William S. W. Lims als Inspiration zugrunde. Zeit seines Lebens blieb Lim ein Suchender nach einer asiatischen Stadtidee, die von sozialen, kulturellen und politischen Komponenten bestimmt sein sollte. Als Aktivist und Avantgardist war ihm die formale Entwicklung seines gebauten Werks nicht das Wichtigste. Mehr interessierte ihn, wie die Menschen mit seinen Bauten lebten und wie sie diese zur Entfaltung ihrer eigenen Lebenswirklichkeit nutzen konnten.
Im Nachwort des Buches «The Impossibility of Mapping (urban Asia)» schreibt er: «In the current phase of development and context – both regionally and globally – what is clear is that the world is at a critical stage of great uncertainty and instability, with our future clearly unpredictable.» Und die Soziologin Saskia Sassen meint dazu: «Each of the contributions in ‹The Impossibility of Mapping (urban Asia)› is a testament to Lim’s mode of ‹seeing› – seeing with that other eye we all have but rarely use.»
William Siew Wai Lim ist am 7. Januar 2023 in Singapur verstorben.