Umdenken statt Braindrain
Inge Beckel, Jenny Keller
27. maggio 2017
Eine Pionierin mit zu wenig Nachahmerinnen. Lux Guyer umringt von Hauswirtschaftschülerinnen. Bild: gta Archiv der ETH Zürich, Nachlass Lux Guyer
Wir müssen reden. Darüber, weshalb es nach wie vor weniger Frauen in Architekturbüros gibt und wie das geändert werden kann. Denn die Zukunft der Bauwirtschaft muss gleichberechtigt sein.
Am Anfang der Karriere einer Architektin sind die Verhältnisse noch im Lot. Unter der Studentenschaft an der ETH Zürich zum Beispiel ist die Anzahl der Frauen im Vergleich zu den Männern ausgewogen und bildet so im Grundsatz die Bevölkerung ab. Doch schon bei den Vermittlern, also auf Professorenstufe wird der Gender-Gap plötzlich real: Der Männeranteil überwiegt mit knapp 90 Prozent. Laut Bundesamt für Statistik machen die Architektinnen im Berufsalltag dann immerhin rund 27 Prozent aus, doch auf Geschäftsleitungsebene der grossen Architekturbüros national und international wird die Luft plötzlich dünner für Frauen. Sie sind kaum mehr vorhanden. Oder könnten Sie auch nur an einer Hand Architektinnen von Weltruhm – die noch leben – aufzählen? Eben.
Eines muss klargestellt werden: Frauen sind nicht schlechtere Architektinnen mit weniger Talent oder Passion als Männer. Sie verschwinden vom Arbeitsmarkt, fallen in den Gender-Gap. Die Arbeitsbedingungen scheinen also nur bedingt ihren Bedürfnissen zu entsprechen. In der Folge beschliesst ein beachtlicher Teil der gut und teuer ausgebildeten Frauen, sich mit kleineren und nicht prestigeträchtigen Arbeiten im Architekturbüro zu begnügen, statt eine Schlüsselposition zu besetzen. Ein anderer Teil wechselt das Berufsfeld ganz. Ein Braindrain, der gesellschaftlich und volkswirtschaftlich ein totaler Unsinn ist.
Woran liegt das? Zum einen sind es strukturelle Gründe in den Architekturbüros selbst, die Frauen (und Männern!), die aus familiären Gründen beruflich kürzer treten wollen, ein Abrutschen in Hintergrundpositionen bescheren: Teilzeitarbeit gilt bei erfolgreichen Architektinnen und Architekten als Tabu. Wir fordern ein Umdenken in der Branche. Und ein Überdenken von Rollenbildern. DER Architekt muss seinen Beruf nicht 24 Stunden, sieben Tage die Woche ausüben und wie ein Künstler leiden, um kreativ zu sein. Architektur ist eine angewandte, keine freie Kunst. Wenn sogar Ärztinnen und Ärzte Teilzeit arbeiten können, muss das auch in einem Architekturbüro möglich sein. Teilzeit kann beispielsweise über ein Jahr verteilt werden mit längeren Ferienperioden (passend zu den arbeitsunfreundlichen Schulferien), damit während einer heiklen Phase im Bauprozess die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer Vollzeit anwesend ist. Übergabe-Zeiten, klare Absprachen, die Fähigkeit abzugeben und zu delegieren auf Seiten der Angestellten, aber auch Vertrauen von den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern sind dafür Voraussetzung. Und, dass sich Frauen und Männer getrauen, Teilzeitstellen und alternative Arbeitsmodelle einzufordern.
Die Forderung «gleicher Lohn für gleiche Arbeit» muss endlich eingehalten werden, denn der nicht erklärbare Lohnunterschied trägt nicht dazu bei, dass Frauen mehr arbeiten. Für Familien, in denen Väter und Mütter einer bezahlten Tätigkeit nachgehen wollen, und nicht sie daheimbleibt, weil er mehr heimbringt, müssen Kinderbetreuungsangebote vorhanden sein, die kein finanzielles Risiko darstellen. Tagesstrukturen sollten zur Norm werden, weil dieser Rhythmus den Alltag der Kinder und Eltern weniger zerstückelt, sodass einer anspruchsvollen Tätigkeit nachgegangen werden kann.
Wie sähe die gebaute Umwelt aus, wäre sie mehr von Frauenhand erstellt worden? Wir wissen es nicht. Langzeitstudien fehlen und können, wenn es so weitergeht, leider auch nie aufgestellt werden. Deshalb müssen wir reden. Darüber, wie die Zukunft der Bauwirtschaft endlich gleichberechtigt wird.
Dieser Text erscheint heute in der Sonderausgabe «Zukunft der Schweizer Bauwirtschaft – Digitale Revolution im Bau» im Tagesanzeiger und unter www.smart-leben.ch.