Neue Räume in altem Gewand
studiogomez.
22. febbraio 2024
Stützenauflager mit Granitsockel. Die neuen Einbauten sind mit viel Liebe zum Detail und grosser handwerklicher Präzision gestaltet. (Foto: Christian Grund)
In Oberglatt hat Raúl Gómez Hernández ein Yoga- und Meditationszentrum in einem alten Bauernhof eingerichtet. Der junge Architekt erklärt, warum er bei dem Umbau auf ein Raum-im-Raum-Konzept setzte.
Herr Gómez Hernández, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?
Die Intention bestand darin, die Scheune und den Stall als einen Ort wirtschaftlicher Aktivität wiederzubeleben. An jenem Ort, wo einst Vieh- und Ackerwirtschaft zur Selbstversorgung beitrugen, übernimmt heute das Yoga- und Meditationszentrum der Bauherrin die Verantwortung für die Sicherung der Versorgung. Diese Transformation reflektiert nicht nur eine zeitgemässe Anpassung, sondern auch eine tiefere Verbindung zwischen traditionellen landwirtschaftlichen Wurzeln und zeitgenössischen Bedürfnissen nach innerem Wohlbefinden und Selbstpflege. Der einstige Wirtschaftsort erlebt somit eine Art Metamorphose, bei der die Essenz der Selbstversorgung in einem neuen Kontext erhalten bleibt und durch die Praktiken des Yoga und der Meditation weitergedacht wird.
Von aussen ist der Umbau kaum zu erkennen. Für Raúl Gómez Hernández eine bewusste Entscheidung, denn sein Eingriff soll die Wirkung der historischen Substanz nicht beeinträchtigen. (Foto: Christian Grund)
Eine Stufe sorgt dafür, dass man die Yoga- und Behandlungsräume bewusst betritt. (Foto: Christian Grund)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?
Kurz gesagt handelt es sich bei dem Umbau um eine Raum-im-Raum-Lösung, die den bestehenden Zustand unangetastet lässt. Eine Holzbox wurde in der Scheune platziert, und wir haben dort Material herausgeschnitten, wo es nicht benötigt wurde.
Die Raumhöhe ist in Abhängigkeit von der Raumfläche gestaltet. Diese architektonische Entscheidung orientiert sich an Prinzipien der traditionellen japanischen Architektur, bei der die Raumhöhe durch eine einfache Faustregel definiert wird: Die Höhe eines Zimmers beträgt 190 Zentimeter plus die 9,4-fache Zahl der Tatami im Raum. Diese Überlegung führte dazu, dass der Meditationsraum, um eine intimere Atmosphäre zu schaffen, kleiner und daher auch niedriger gestaltet wurde, während der Yogaraum, in dem eine offene und öffentliche Atmosphäre herrschen soll, höher ausgeführt ist. Diese differenzierte Nutzung der Raumhöhe schafft in Verbindung mit der bewussten Entscheidung, Licht nicht nur als funktionales Element, sondern als Oberflächenmaterial zu betrachten, unterschiedliche Stimmungen in den Räumen, was zu einem dynamischen Raumerlebnis beiträgt.
Das Projekt schöpft aus der reichen Historie des Ortes, insbesondere der traditionellen Vieh- und Ackerwirtschaft, die einst zur Selbstversorgung beitrug. Die Entscheidung, die Scheune und den Stall wieder als Wirtschaftsort zu etablieren, wurzelt tief in der Verbindung zur lokalen Geschichte und zum kulturellen Erbe.
Die Bauherrin fand Anregung in der Idee, die landwirtschaftlichen Wurzeln mit zeitgenössischen Bedürfnissen zu verschmelzen. Das Konzept, ein Yoga- und Meditationszentrum in ihren historischen Gebäuden zu integrieren, wurde durch die Suche nach einem Gleichgewicht zwischen Tradition und modernem Lebensstil inspiriert. Dabei diente die Vergangenheit als Quelle für Authentizität und Nachhaltigkeit, während die Integration von Yoga und Meditation eine innovative Perspektive auf das Wohlbefinden und die Selbstversorgung darstellt.
Raumüberlagerung im Tenn: Das Projekt folgt einem Raum-im-Raum-Konzept, wobei eine Box aus Holz in die historische Scheune gestellt wurde. (Foto: Christian Grund)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?
Die Bauherrin hat den Entwurf in erheblichem Masse beeinflusst. Ihr starkes Interesse an den Raumproportionen und deren Wirkung spiegelt sich deutlich im Design wider. Insbesondere legte sie grossen Wert darauf, dass die Räume eine einzigartige Atmosphäre schaffen, in der die Kunden eine klare Veränderung und Entspannung spüren können. Die Entscheidung, eine Stufe einzuführen und somit einen bewussten Übergang in die Yoga- und Behandlungsräume zu ermöglichen, geht über rein funktionale Aspekte hinaus und zeigt, dass die Bauherrin eine sinnliche Erfahrung für die Nutzer schaffen möchte. In diesem Sinne spiegelt der Entwurf nicht nur die funktionalen Anforderungen wider, sondern bringt auch die ästhetischen und emotionalen Vorstellungen der Bauherrin zum Ausdruck.
Nein, denn ich setzte mich im Vorfeld intensiv mit dem Ort auseinander und traf mich mit der Bauherrin zu Workshops. Von Anfang an war klar, dass die gewünschte Raumwirkung nur auf diese besondere Art und Weise erreicht werden konnte. Die frühzeitige und gründliche Analyse des Ortes sowie die konstruktive Zusammenarbeit in den besagten Workshops ermöglichten eine klare Vision und Ausrichtung des Projekts von Anfang an. Dies unterstreicht die Bedeutung eines tiefen Verständnisses und einer harmonischen Abstimmung zwischen den Planenden und der Bauherrschaft für die erfolgreiche Umsetzung der gesteckten Ziele.
Lichtraum im Meditationszimmer. Licht wurde vom Architekten bei diesem Projekt nicht nur als funktionales Element, sondern auch als Oberflächenmaterial verstanden. (Foto: Christian Grund)
Wie gliedert sich das Gebäude in seine Umgebung ein?
Inkognito – von aussen lässt nur ein Holzverschlag darauf schliessen, dass sich in der Scheune keine Tiere mehr befinden. Diese dezente äussere Gestaltung vermittelt eine harmonische Integration des neuen Projekts in die Umgebung, ohne dabei aufdringlich oder kontrastierend zu wirken. Die Entscheidung, äusserlich auf eindeutige Hinweise zu verzichten, trägt zur Kontinuität und Unauffälligkeit des Gebäudes innerhalb des Gesamtbilds bei. Ich bin in meiner Architektur bestrebt, die historische und ästhetische Integrität der bestehenden Bauten zu bewahren, während ich gleichzeitig moderne Nutzungsanforderungen erfüllen möchte.
Im Yogaraum (Foto: Christian Grund)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?
Die bewusste Entscheidung für Lowtech-Lösungen und die Verwendung natürlicher Materialien, die auf den bestehenden Baustrukturen basieren, prägen das Projekt. Ein zentrales Anliegen war dabei, die Tradition des Handwerks an diesem Ort zu bewahren und weiterzuführen. In diesem Kontext spielte der Beitrag des Zimmermanns eine entscheidende Rolle, der rund 90 Prozent der Arbeiten übernahm.
Die Konstruktion des Tragwerks durch den Zimmermann ist besonders bemerkenswert, da sie darauf ausgerichtet ist, ohne Mühe wieder in ihre Einzelteile zerlegt zu werden. Diese Vorgehensweise ermöglicht es, die Primärmaterialien erneut zu verwenden, was einen klaren Schritt in Richtung Nachhaltigkeit darstellt. Dass wir Holzbalken in handelsüblichen Längen verwendet haben mit der Idee, dass diese in 100 Jahren für etwas anderes wiederverwendet werden können, verdeutlicht unser Ziel einer langfristigen und ressourcenschonenden Bauweise.
Die Pflege sämtlicher Holzoberflächen durch das Laugen und Seifen betont nicht nur die ästhetische Wertschätzung für das Material, sondern auch den respektvollen Umgang mit den natürlichen Eigenschaften des Holzes. Diese Gestaltungsentscheidungen zeugen von einem tiefen Engagement für ökologische Verantwortung und die Fortführung der Handwerkstradition an diesem besonderen Ort.
Über Holz habe ich nun viel gesprochen, doch auch der Einsatz von Lehm stellt zweifellos ein bedeutendes Plus für dieses Projekt dar. Obwohl die Kosten gesenkt werden konnten, war es leider nicht möglich, den gesamten Bau aus Lehm zu realisieren. Stattdessen mussten wir uns auf ein Lehmputzsystem mit Lehmbauplatten beschränken.
Die Entscheidung, zumindest teilweise auf Lehm zurückzugreifen, zeugt vom Streben nach einem Gleichgewicht zwischen ökologischen Prinzipien und wirtschaftlichen Realitäten. Lehm als Baumaterial ist bekannt für seine nachhaltigen Eigenschaften wie eine hervorragende Wärme- und Feuchtigkeitsregulierung sowie für seine ökologische Verträglichkeit. Die Verwendung von Lehmputz und Lehmbauplatten ermöglicht, zumindest in ausgewählten Bereichen von den positiven Eigenschaften dieses Naturbaustoffs zu profitieren.
Obwohl nicht der gesamte Bau aus Lehm besteht, verleiht die Integration von Lehmputz und Lehmbauplatten dem Projekt dennoch einen ökologischen Mehrwert und zeigt das Bestreben, nachhaltige Baumaterialien in einem realistischen Rahmen einzusetzen.
Situation (© studiogomez.)
Grundriss Erdgeschoss (© studiogomez.)
Grundriss Obergeschoss (© studiogomez.)
Schnitt (© studiogomez.)
«Raum im Hof»
Standort
Im Hof 12, 8154 Oberglatt
Nutzung
Yoga- und Meditationsraum
Auftragsart
Direktauftrag
Bauherrschaft
Privat
Architektur
studiogomez.ag, Zürich
Planung und Bauleitung: Raúl Gómez Hernández
Fertigstellung
2024
Gesamtkosten BKP 1–9
CHF 0.5 Mio.
Gebäudekosten BKP 2
CHF 0.4 Mio.
Massgeblich beteiligte Unternehmer
Daniel Beer, Kuster Zimmerei, Schreinerei, Uetikon am See
Stefan Gassmann, Pedrocchi Bau GmbH, Oberglatt
Fotos
Christian Grund, Zürich
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