Effizienz und räumlicher Reichtum
wild bär heule
21. aprile 2022
Die Sichtmauerwerksscheiben verbinden das Attikageschoss mit den Regelgeschossen zu einer ansprechenden Komposition. (Foto: Roger Frei)
wild bär heule haben in Wallisellen einen alten Gewerbebau, der sich nicht umnutzen liess, durch ein Mehrfamilienhaus ersetzt. Ivar Heule erklärt die Besonderheiten des Achtspänners mit 27 Mietwohnungen.
Herr Heule, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?
Ein Gewerbebau aus den 1980er-Jahren liess sich nicht mehr vermieten, und eine Umnutzung zu Wohnungen war aufgrund der Gebäudestruktur nicht möglich. Die vorhandene Tiefgarage wurde für eine nachhaltige Werterhaltung in das neue Projekt integriert. Weil deren Statik nicht erlaubte, über der Garage zu bauen, war die Position des neuen Gebäudes vorgegeben. Die Baumasse musste an diesem Ort konzentriert werden.
Zugang zum Neubau auf dem Niveau der bestehenden Sammelgarage. Dank des Luftraums spürt man bereits dort den räumlichen Reichtum. (Foto: Roger Frei)
In der ebenerdigen Zugangshalle gliedert der Liftkörper den Raum. (Foto: Roger Frei)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?
Das Familistère in Guise von dem utopischen Sozialisten Jean-Baptiste André Godin (1817–1888).
Durch die erwähnte Konzentration der Baumasse ist ein Solitär mit einem für das Wohnquartier grossen Fussabdruck entstanden. Diesen haben wir in seiner Fassadenabwicklung stark gegliedert, um die Massstäblichkeit im Kontext dennoch zu wahren. Im Innern werden pro Geschoss acht Wohnungen über ein einziges zentrales Treppenhaus erschlossen. Wegen dieser hohen Effizienz konnte der Erschliessungsbereich über das notwendige Mass hinaus vergrössert werden. Verschiedene Lufträume, ein zweiter Treppenlauf und eine Laterne im Dach schaffen einen wahrnehmbaren räumlichen Luxus. Aus einem reinen Erschliessungsraum ist ein Ort mit Aufenthaltsqualität, ja ein soziales Biotop geworden.
Blick in die zum grössten Teil erhaltende Sammelgarage mit den Entrauchungsöffnungen, die gleichzeitig Tageslicht in den Untergrund bringen. (Foto: Roger Frei)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?
Das enge wirtschaftliche Korsett führte zu einem äusserst kompakten Gebäudetypus. Im Gegenzug wurde in räumlichen Luxus und wertige, durable Materialien investiert. Langfristig ist die Anlage darum unterhaltsarm für den Vermieter und stösst zugleich auf hohe Akzeptanz seitens der Nutzer. Beides sind Voraussetzungen für ein nachhaltiges Projekt mit einem langen Lebenszyklus.
Dank zweier raumhoher Türen im Bad entstehen ein Rundlauf und ein Shortcut, die dem Grundriss erstaunliche Weite verleihen. (Foto: Roger Frei)
Die verschiedenen Überecksituationen gliedern das Volumen gegen aussen und öffnen den Raum auf wohltuende Weise. (Foto: Roger Frei)
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten des Büros ein?
Wir verstehen es als Weiterentwicklung unseres Wohnbauprojekts in Frauenfeld für ältere Menschen. Auch dort lag der Fokus auf einer Erschliessungstypologie, die Begegnungen unter den Bewohnern stimuliert.
Ein zweiter Treppenlauf und die überhohe Laterne im Dach bereichern den Erschliessungsraum. (Foto: Roger Frei)
Weil die Küche Teil des Wohnraums ist, wurden die Oberschränke und der Sockel sorgfältig in die Wand integriert, sodass die Arbeitsfläche und die Korpusse zum «Buffet» werden. (Foto: Roger Frei)
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?
Das Sichtmauerwerk aus Kalksandsteinen verleiht dem Objekt seinen Ausdruck. Die Wandscheiben ohne Stürze sind detailarm konstruiert, vermögen aber das Volumen zu gliedern und die baurechtlich vorgeschriebene Attika mit dem Hauptbaukörper zu vereinen. Die Längsseiten der Steine werden bei der Herstellung als Relief ausgebildet, das eigentlich als Haftgrund für den Verputz vorgesehen gedacht ist. Ohne Verputz ist das sorgfältige Handwerk der Mauer in seiner Machart ablesbar, und je nach Lichteinfall zeigt sich ein lebhaftes Schattenspiel. Die verwendeten Kalksandsteine werden aus Branntkalk, Sand und Wasser ohne chemische Zusätze hergestellt. Im Unterschied zu Klinkersteinen, die bei 1100 bis 1300 Grad Celsius gebrannt werden müssen, erhalten die Kalksandsteine ihre Festigkeit im Autoklav bei lediglich 200 Grad.
Schwarzplan
Grundriss Regelgeschoss
Schnittperspektive
Mehrfamilienhaus als Achtspänner
Standort
Melchrütistrasse 83, 8304 Wallisellen
Nutzung
Mietwohnungen
Bauherrschaft
Privat
Architektur
wild bär heule Architekten AG, Zürich
Fachplaner
Tragwerksplanung: Schärli + Oetli AG, Zürich
Gebäudetechnik: HLKS-Planer: Schoch Reibenschuh AG, Volketswil
Elektroplanung: Gutknecht Elektroplanung AG, Au
Landschaftsarchitektur: Vetschpartner Landschaftsarchitekten AG, Zürich
Bauphysik: Steigmeier Akustik + Bauphysik GmbH, Baden
Brandschutzplaner: ProteQ GmbH, Schaffhausen
Geologe: Dr. von Moos AG, Zürich
Bauleitung
Projekt-Bauleitung: Fuchs Baumanagement gmbh, Uster
Örtliche Bauleitung: m.y.concept gmbh, Feldmeilen
Jahr der Fertigstellung
2022
Gesamtkosten BKP 1–9
CHF 11 Mio.
Gebäudekosten BKP 2
CHF 8,92 Mio.
Gebäudevolumen
13744 m3 inkl. der bestehenden Tiefgarage (gemäss SIA 416)
Kubikmeterpreis
649 CHF/m3
Energiestandard
Minergie Standard (keine Zertifizierung)
Massgeblich beteiligte Unternehmer
Baumeisterarbeiten: Ponato AG, Hombrechtikon
Sichtmauerwerk: Kurt Schlatter, Hemmental
Fenster: G. Baumgartner AG, Hagendorn
Fassadenbau: Gadola Fassaden AG, Willikon
Sonnenschutz: Alurex Kindt AG, Lyss
Aussentüren, Tore und Schlosserarbeiten: Schneebeli Metallbau AG, Zürich
Innentüren: RWD Schlatter AG, Roggwil
Küchen: Movanorm AG, Zürich
Fotos
Roger Frei, Zürich