Ein Haus als Materiallager

Leonhard Fromm
29. avril 2021
Visualisierung: Interboden, HPP Architekten

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Der Entwurf für das Bürogebäude The Cradle stammt von HPP Architekten. «Obwohl wir mit unserem Partner Interboden unter 30 Anbietern nicht das Höchstgebot hatten, hat die Stadt uns aufgrund des nachhaltigen Konzeptes den Zuschlag für die Parzelle gegeben», sagt der Düsseldorfer Architekt Antonino Vultaggio, der seit diesem Jahr Senior Partner bei HPP ist. Das belege den Wandel im Denken und in der Wertehaltung, den Bauherren und die öffentliche Hand gerade durchmachten, freut er sich. Vultaggio ist überzeugt, dass The Cradle – über fünfzig Jahre betrachtet – wirtschaftlicher sein wird als herkömmliche Gebäude. Den im Sommer 2020 begonnenen Bauarbeiten liegt das Madaster-Prinzip («Madaster» ist ein Kunstwort aus Kataster und Material) zugrunde, wonach sämtliche Bauteile wie Holzbalken, Schrauben oder Türen digital erfasst und dokumentiert werden. Dafür hat das Planungsteam auf das Know-how und Prozessmanagement von Drees & Sommer zurückgegriffen, die seit 2014 Erfahrung mit dem Cradle-to-Cradle-Prinzip und Madastern sammeln. Herzstück des Düsseldorfer Neubaus ist laut Vultaggio neben der Holzbauweise die integrale Fassade, von der man sich eine identitätsstiftende Wirkung erhoffe, wie er sagt.

Visualisierung: Interboden, HPP Architekten

Die Fassade des Holzhybridbaus mit rautenförmigen Feldern fungiert auf der Südwestseite als Sonnenschutz. Gleichzeitig lässt sie auf der Nordseite viel Licht ins Gebäude. Der Vorteil: Es kann künstliche Beleuchtung eingespart werden, elektrisch angetriebene Jalousien werden nicht benötigt. Hinzu kommen im Inneren begrünte Kernwände und Aktivkohlefilter, die ein gesundes Raumklima begünstigen sollen. So hat das Bürogebäude über seinen gesamten Lebenszyklus gerechnet einen geringen CO2-Fussabdruck: «Bezüglich der Errichtung liegen wir 20 Prozent, bezüglich der Nutzung 37 Prozent unter dem Referenzwert der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB)», bilanziert der Architekt.

Doch es gibt auch noch Verbesserungsmöglichkeiten, die im durchgängig digitalisierten Madaster-Prozess durch ein Ampelsystem visualisiert wurden. Zum Beispiel sind die verwendeten Klebstoffe ökologisch nicht ideal, und es konnte auch kein Recyclingbeton verbaut werden, weil dieser in Düsseldorf aktuell nicht lieferbar ist. Auch das Gebäude mit Grundwasser zu kühlen, das hernach in den nahen Rhein geleitet wird, war nicht möglich: Die Nitratbelastung ist durch die Landwirtschaft zu hoch. Vultaggio sagt dazu: «In das Gebäude einen Nitratfilter zu integrieren, scheiterte aus technischen und wirtschaftlichen Gründen. Noch!» 

Für ihn versinnbildlicht The Cradle ein Lernprozess, in dessen Verlauf er bereits achtzig Prozent seiner Visionen realisieren kann. Primäres Ziel sei, dass Erkenntnisse aus dem Projekt alsbald in andere Vorhaben in ganz Deutschland einfliessen. So wachse insgesamt das Wissen, die Bauzulieferindustrie habe ausserdem Anreize, ökologische Alternativen zu entwickeln und flächendeckend zu fairen Preisen anzubieten. Vultaggio hofft, dass beispielsweise neue biologisch abbaubare Kleber oder sortenreine Komponenten, die besser demontier- und rezyklierbar sind, entwickelt werden. Seine Vision ist, dass Gebäude künftig als Rohstofflager, CO2-Binder, Schadstofffilter und Kraftwerke zur Energiegewinnung dienen.

Visualisierung: Interboden, HPP Architekten

Zur Lebensaufgabe hat sich das Cradle-to-Cradle-Prinzip Dr. Peter Mösle, Geschäftsführer der EPEA GmbH, gemacht. Bei Drees & Sommer verantwortet der Maschinenbauingenieur seit 2014 die Bereiche Ressourcen und Recycling. Er definiert vier Prinzipien, auf denen die Kreislaufwirtschaft beim Bauen beruht: Zunächst sei das «richtige Mindset» aller Beteiligten wichtig. Sie müssten eine echte Veränderung wollen, die sie «mit Kreativität, Lust und Stringenz verfolgen». Ein zweiter Schritt sei sodann die richtige Planungsmethode – hier mangle es an den Hochschulen leider noch immer an einer passenden Ausbildung. Und das, obwohl das entsprechende Wissen seit längerem verfügbar sei. Darum müssten sogenannte Circular Engineers, die sich mit Umweltverträglichkeit, Rezyklierbarkeit oder Demontierbarkeit von Baustoffen und deren Gewinnung befassen, in die Planung eingebunden werden, was jene leider noch komplizierter mache. Doch bisher hätte es, so Mösle, an Expertise aus den Disziplinen Biologie und Chemie gefehlt, die man brauche, um auch vom Ende eines Gebäudes her zu denken. Das letzte Prinzip betrifft deshalb die Methode, wie die Ökologie in den Prozess eingebunden wird: Man erarbeite ein Material-Kataster, das Stück- und Flächenlisten umfasse, auf denen die Ausschreibung von Böden, Fassaden, Türen und Fenstern basiere. Jeder Baustoff bekomme damit eine Art Ausweis über seine Gewinnung, seine Schädlichkeit und seinen Preis. 

Im Fall von The Cradle war Drees & Sommer der Circular Engineer. Das Büro setzte im Prozess auf Building Information Modelling (BIM). «Damit liegt automatisch die Rückbauanleitung digital vor, wenn ein Gebäude nach vierzig bis fünfzig Jahren ersetzt werden soll», erklärt Mösle. Auch er hofft, dass die Erfahrungen aus The Cradle in andere Projekte einfliessen. Insgesamt verfügt sein Büro schon über zehn Referenzbauten. Zunehmend könne der Mehrwert solcher Projekte konkret beziffert werden, weil etwa toxische Risiken entfallen, Rückbaukosten sinken oder Preise für sortenrein verbaute Materialien steigen.

Werde das Gebäude mit internationalen Rohstoffbörsen vernetzt, so Mösle weiter, könne die Wirtschaftsprüfung zukünftig auf einen Blick erkennen, wie sich dessen Wert verändert. So werde ersichtlich, dass sich vermeintliche Mehrkosten beim Bauen in der Gesamtbilanz rechtfertigen, weshalb sich der Ansatz der Kreislaufwirtschaft beim Bauen bald durchsetzen werde. «Aktuell klären wir die Finanzwelt auf und dann geht es ganz schnell», gibt sich der Ingenieur optimistisch. Jeder Bauherr sei eingeladen, das Verfahren selbst anzuwenden.


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