Hightech, alte Jeans und recycelte Pappbecher

Manuel Pestalozzi
4. September 2024
Mittlerweile ist das NEST voll belegt. Im Modul STEP2 werden neuartige Bauprodukte gezeigt. Anders als die Teile, die in den übrigen Einheiten getestet werden, kann man sie bereits kaufen. (Foto: © Zooey Braun)

Das Forschungsgebäude NEST feiert dieses Jahr seinen achten Geburtstag. Inzwischen ist die Raumstruktur, die im Sinne eines Plug-in-Systems auswechselbare «Units» aufnehmen kann, gänzlich belegt – die letzte Lücke ist für die Einheit Beyond Zero reserviert, die bis 2026 entstehen soll. Gebaut wird zurzeit noch an der Erprobungsplattform für Drohnen auf der obersten Ebene des Konstrukts. Eben fertig geworden ist gleich nebenan die Unit STEP2.

Dieses zweistöckige Modul ist in Zusammenarbeit mit dem Chemiekonzern BASF entstanden. Das Unternehmen ist schon seit längerer Zeit an der Forschung auf dem Empa-Campus in Dübendorf beteiligt. Gestaltet haben die neue Unit ROK Architekten aus Zürich. Auch Ingenieurbüros, Bauteilhersteller und Experten für den 3D-Druck waren wichtige Mitglieder des interdisziplinären Teams.

Die feingliedrigen Deckenelemente der Unit STEP2 gehören zum Produktangebot der Firma Stahlton. (Foto: © ROK Architekten)
Zwischen Forschung und Verkauf

Wie alle NEST-Units wurde auch STEP2 für die praktische Erprobung entwickelt: Die Raumstruktur repräsentiert ein zukünftiges Bürohochhaus. Doch es gibt einen wesentlichen Unterschied zu den älteren Units: In STEP2 sind Produkte verbaut, die bereits am Markt erhältlich sind. Es handelt sich also weniger um einen Prototyp als vielmehr um ein «Musterzimmer».

Wer nun befürchtet, dass diese kommerziellere Ausrichtung zu gestalterischer Tristesse führt, irrt. Betritt man das neue Modul, so fällt zuerst die skulpturale Betontreppe Cadenza ins Auge, die mit Stahl-Rundstäben von der Decke abgehängt ist. Entworfen hat die elegante Konstruktion ein Team um den Lehrstuhl Digital Building Technologies der ETH Zürich und das Architekturbüro ROK. Sie soll das Potenzial von computergestütztem Design und 3D-Druck aufzeigen. Die 17 Treppenstufen wurden mithilfe einer einzigen wiederverwendbaren 3D-gedruckten Schalung gegossen. In die Realisierung des Bauteils floss auch die Expertise der ehemaligen BASF-Tochtergesellschaften Forward AM und New Digital Craft ein, die auf den 3D-Druck spezialisiert sind. Auch SW Umwelttechnik, ein Hersteller von Betonfertigteilen, und das Ingenieurbüro WaltGalmarini beteiligten sich. Cadenza kann bereits bei neuen Bauprojekten eingesetzt werden.

Die Stufen der Wendeltreppe Cadenza werden mit einer wiederverwendbaren Schalung aus dem 3D-Drucker hergestellt. (Foto: © Zooey Braun)
Hightech und Upcycling

Auch die Beton-Zwischendecke der Unit erregt Aufmerksamkeit. Sie besteht aus filigranen vorfabrizierten Elementen, die jeweils ein Gewölbe andeuten. Das an eine Rippendecke erinnernde System erlaubt Spannweiten von bis zu 14 Metern. Gedacht ist es vor allem für Bürogebäude und Hochhäuser. Entwickelt haben die Decke die Teams von ROK Architekten, WaltGalmarini und Stahlton gemeinsam. Der Bauteilhersteller Stahlton hat sie unlängst in sein Sortiment aufgenommen. 

Neben ihrer strukturellen Funktion übernimmt die Decke noch weitere Aufgaben: Mit einem speziellen Schaum von BASF ausgestattet, sorgt sie trotz ihrer eigentlich schallharten Oberfläche für eine angenehme Raumakustik. Ausserdem dient sie als thermische Speichermasse, wirkt also ausgleichend auf die Raumtemperatur und ist ein wichtiger Bestandteil des Energiekonzepts von STEP2.

Die schuppenartige Wandverkleidung von STEP2 besteht aus recycelten Pappbechern, der Bodenbelag aus wiederverwendeten Jeansfasern. (Foto: © ROK Architekten)

BASF hat sich auch an der Entwicklung der Raumoberflächen beteiligt: Nach dem Prinzip des Upcyclings hat der Konzern gemeinsam mit Partnern Verfahren erarbeitet, um aus Abfallstoffen leistungsfähige Böden und Wandverkleidungen anzufertigen. Dabei kommen neue Bindemittel zum Einsatz, die es erlauben, Reste alter Holzfaserplatten und Textilien durch thermoplastische Verformung zu dreidimensionalen Bauprodukten zu verarbeiten – wie zum Beispiel den individuell geformten Wandpaneelen. Wie die Bodenplatten wurden sie Reststoffen wie Jeansfasern, gebrauchten Pappbechern und Kaffeesatz hergestellt. Auch die Küchenmöbel wurden auf diese Weise aus vermeintlichem Müll gefertigt. 

Aussen besitzt STEP2 eine von der Firma Aepli Metallbau entwickelte Doppelhautfassade mit integrierter Beschattung und kontrollierter natürlicher Lüftung. Mit wenig Aufwand können in den kommenden Jahren einzelne Fassadenmodule ausgewechselt werden. Aktuell wird ein Fensterelement von New Digital Craft getestet, bei dem eine integrierte Struktur aus dem 3D-Drucker den Lichteinfall über den Tag steuert. 

Die Zukunft wird zeigen, ob die neue NEST-Unit dazu beitragen kann, dass die Produkte sich am Markt durchsetzen können. Schön wäre, wenn nicht nur Idealisten und Technikbegeisterte auf sie zurückgreifen.

Die Küchenfronten im oberen Geschoss erhalten ihre Farbe durch Kaffeesatz. (Foto: © Zooey Braun)

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