Seite an Seite im Arbeiterhaus
Girsberger und Bachmann
23. février 2023
Das Langhaus aus dem 19. Jahrhundert wurde umgebaut und um einen Neubau ergänzt. Dabei verschränken sich Alt und Neu wie hier auf der Südwestseite. (Foto: Lukas Murer)
Stefanie Girsberger erklärt, wie sie gemeinsam mit Lorenz Bachmann ein Arbeiterhaus der einstigen Ziegelei Muri umgebaut und erweitert hat.
Frau Girsberger, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?
Auf dem ehemaligen Areal der Ziegelei Muri steht neben alten Fabrikantenvillen ein eigenwilliges Langhaus. Anfang des 19. Jahrhunderts wurden in dessen hallenartigem Erdgeschoss vermutlich Kamin-Zement-Hüte gefertigt, während im Obergeschoss die Arbeiterwohnungen angeordnet waren, die man über einen Laubengang erreichte.
Diese faszinierende Typologie verlor durch zahlreiche bauliche Transformationen ihre selbstverständliche Klarheit. Mit dem Umbau und der Erweiterung des nordwestlichen Endes haben wir einerseits versucht, die alte Struktur wieder freizulegen. Andererseits ging es uns darum, eine neue Gliederung einzuführen, die zeitgenössisches Wohnen ermöglicht.
Der Pflasterklinker im geschützten Eingangsbereich hält die Erinnerung an die einstige Nutzung des Ensembles als Ziegelei wach. (Foto: Lukas Murer)
Auch auf der Laubenseite sind Alt und Neu miteinander verwoben. (Foto: Lukas Murer)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?
Der ursprüngliche Ausdruck beruht auf einem aus der Notwendigkeit heraus entwickelten und dennoch harmonischen Rhythmus in Struktur und Fassade. Diese bescheidene und doch wohlproportionierte anonyme Architektur hat uns berührt. Wir zogen Parallelen zu Beispielen der elementaren Architektur wie den Case Nuove in Pienza oder der Theorie und den Projekten des Architekten Michael Alder (1940–2000).
Nachdem die Produktion der Ziegelei eingestellt worden war und Teile des Areals an Private verkauft wurden, begann eine wilde Umgestaltung des Ortes und des Langhauses. Wir versuchten mit unserem Vorgehen, die Geschichte des Ortes wieder aufzunehmen und im Heute weiterzuschreiben. Mit unserem Entwurf verfolgten wir den Ansatz, einen nachhaltigen und kulturell relevanten Umgang mit alter Bausubstanz zu finden.
Die besondere Tektonik des Bestands ist im Gebäudeinneren wieder zu erleben: In der Küche etwa zeigt sie sich im Zusammentreffen einer Betonstütze, eines Stahlträgers und der Deckenbalken. (Foto: Lukas Murer)
Links über dieser Nische in einer ehemaligen Fensteröffnung sind die Verstärkungen der Balkenköpfe zu erkennen. (Foto: Lukas Murer)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?
Für die Bauherrschaft waren Kosten und Rendite wichtige Faktoren. Dies hat uns gezwungen, die Parzelle möglichst gut auszunutzen und effiziente Mietwohnungen zu entwerfen. Wir teilten die ehemals horizontale Gliederung in drei vertikal funktionierende Einheiten. So entstanden mit der Erweiterung drei Reihenhäuser mit neuen Raumqualitäten sowohl im Inneren als auch im Aussenbereich.
Unsere erste Idee bestand darin, das Erdgeschoss gewerblich zu nutzen. Dann aber setzte sich das Konzept des Reihenhauses durch. Doch bei einem solchen Umbau liegt der Knackpunkt darin, die gestalterischen Ideen aus der Entwurfsphase tatsächlich umsetzten zu können. So stellte sich das Freilegen der Struktur als schwieriger heraus, als wir zunächst gedacht hatten, da das Tragwerk stellenweise marode war und verstärkt werden musste. In enger Zusammenarbeit mit den Unternehmern wurde nach kreativen Lösungen gesucht. Dieses spontane Reagieren auf Unerwartetes ist auch immer wieder eine Chance, bewusst neue Bilder zu kreieren.
Sichtbezug zur Gasse (Foto: Lukas Murer)
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten Ihres Büros ein?
Jedes Projekt verlangt immer wieder nach der Auseinandersetzung mit dem spezifischen Kontext oder der gebauten Substanz. Zu den so gewonnenen Erkenntnissen kommen die Wünsche und Vorstellungen der Bauherrschaft hinzu. Dieses Entwerfen nahe am Ort und am Leben begeistert mich. Dabei liegt der Reiz darin, aus der gegebenen Komplexität heraus nach einer übergeordneten räumlichen oder konstruktiven Idee zu suchen. Diese Ankerpunkte begleiten den Entwurf, helfen ihn zu schärfen, erlauben aber auch Spielraum. Ich bin zufrieden, wenn sich ein Ansatz herauskristallisiert, der Konstruktion, Nützlichkeit und Schönheit vereint. Materialien lasse ich gerne für sich sprechen oder kombiniere sie mit Farbtönen, um bewusst eine bestimmte Stimmung zu erzeugen.
Das Wohnzimmer öffnet sich zur Laube. (Foto: Lukas Murer)
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?
Der bestehende Hybridbau aus Stampfbeton und Fachwerk wurde mit einer Backsteinkonstruktion erweitert. Passenderweise wurde das Material von den AGZ Ziegeleien bezogen, die ihren Ursprung vor Ort haben. Auch die Klinkersteine auf Fenstersimsen, Schwellen und Aussenbelägen wecken Erinnerungen an die Vergangenheit der Ziegelei.
Die dämmende Hülle aus Holzfaserplatten, die mit einem mineralischen Besenstrichputz versehen wurden, umschliesst den Alt- und Neubau selbstverständlich zu einem Ganzen. An der Giebelfassade wurde symbolisch ein Sgraffito des hervortretenden Stahlträgers angebracht, welcher sich durch den kompletten Altbau zieht. Die Balkonschicht in grünlasiertem Fichtenholz öffnet sich im Erdgeschoss zur Gasse hin und bildet einen geschützten Aussenraum. Die Materialien wurden also ihrem Nutzen entsprechend am konstruktiv richtigen Ort eingesetzt. Ihr Zusammenspiel bildet den differenzierten Ausdruck des Gebäudes.
Situation (© Stefanie Girsberger und Lorenz Bachmann)
Grundriss Erdgeschoss (© Stefanie Girsberger und Lorenz Bachmann)
Schnitt (© Stefanie Girsberger und Lorenz Bachmann)
Konstruktionsdetail des Altbaus (Zeichnung: Indra Stiefel © Stefanie Girsberger und Lorenz Bachmann)
Arbeiterhaus Muri
Standort
Haslistrasse 2a, 2b, 2c, 5930 Muri
Nutzung
Wohnen
Auftragsart
Direktauftrag
Bauherrschaft
CS-Liegenschaften AG
Architektur
Stefanie Girsberger und Lorenz Bachmann, beide Zürich
Fachplaner
Bauingenieur: MSL Ingenieure AG, Muri
Bauphysik: EK Energiekonzepte, Zürich
Fertigstellung
2022
Massgeblich beteiligte Unternehmer
Baumeister, Sanitär, Heizung, Gipser, Maler und Bodenleger: BS-Umbauten GmbH, Mellingen
Holzbau: Wyli Holz AG, Muri
Baumeister: Implenia AG, Basel
Fotos
Lukas Murer, Zürich