Haus zum Pudel – eine architektonische Initiative

Marazzi Reinhardt
11. novembre 2021
Foto: Schaub Stierli Fotografie
Sergio, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Wir hatten im Jahr 2014 die Chance, eine kleine Liegenschaft im Klettgauer Dorf Beringen zu erwerben. Wohin uns das am Ende führen würde, war uns damals noch nicht klar. Das Endergebnis hat sich über sieben Jahre in einer freien Arbeit entwickelt. Die Nutzungen kristallisierten sich allmählich heraus. Wir erarbeiteten sie behutsam aus den Gegebenheiten des Ortes. Es sind ungewohnte, aber auch befreiende Situationen entstanden, welche die Bewohner dazu einladen, sich die Architektur anzueignen. Das Projekt hat die Gemeinde schlussendlich so sehr überzeugt, dass sie sich mit Land und einem zinslosen Darlehen beteiligt hat.

Foto: Schaub Stierli Fotografie
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?


Wir wollten als Architekten unseren Beitrag leisten und ein Stück Dorf reaktivieren. Uns begeisterte die Möglichkeit, ein Projekt nach unseren Vorstellungen und Werten zu entwickeln und zu realisieren. Der Name «Haus zum Pudel» ist inspiriert von den Fotoalben, welche wir im Vorgängerbau gefunden haben. Darin spielte ein Pudel die Hauptrolle. So gesehen lebt der alte Geist im neuen Bau weiter.

Foto: Schaub Stierli Fotografie
Foto: Schaub Stierli Fotografie
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?


Der Bautyp der Trotte – als gemeinschaftliches Gebäude im Dorfgefüge verstanden – hat uns sowohl inhaltlich als auch formal inspiriert. Das Gebäude erinnert mit den kleinen, hochrechteckigen Öffnungen, den steingefassten, grossformatigen Zugängen, dem knappen Vordach sowie der währschaften Materialisierung an diesen Bautyp. Der zur Liegenschaft gehörende Aussenraum ist gleichzeitig auch ein öffentlicher Raum. Die Erdgeschossnutzungen passten sich den Gegebenheiten des Ortes an und liessen bei uns schliesslich die Idee des Hofladens für die öffentliche Nutzung reifen. Ausserdem inspirierten sie uns zur Fassadenentwicklung mit integrierter Bushaltestelle.

Foto: Ladina Bischof
Foto: Ladina Bischof
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?


Da es sich um unser eigenes Projekt handelte, haben wir versucht, für den Ort und die Menschen angemessene Lösungen zu finden. Der Dialog mit den Nachbarn, den Behörden und schlussendlich mit den zukünftigen Nutzern stand dabei im Zentrum, um einen Mehrwert für alle Beteiligten zu schaffen. Die lange Planungs- und Bauzeit lässt sich auch auf diesen Prozess zurückführen.

Foto: Ladina Bischof
Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?


Während des intensiven Planungsprozesses und der Suche nach der optimalen Nutzung gab es einige Überarbeitungen. So wurde anstelle der zuerst geplanten grossen Wohnung dem Wunsch der Gemeinde nach zwei kleinen Wohneinheiten entsprochen. Es freut uns aber sehr, dass die erste Entwurfsidee, einen Hofladen neben der Bushaltestelle unterzubringen, tatsächlich umgesetzt werden konnte.

Foto: Ladina Bischof
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten des Büros ein?


Das Gebäude ist ein weiterer Schritt auf unserer beständigen Suche nach Reichtum durch Handwerkskunst und nach einer Sinnlichkeit der Materialien. Wir sind davon überzeugt, dass ein abstrahierter Ansatz hilft, ganzheitliche und nachhaltige Lösungen zu entwickeln, die den Bedürfnissen der Nutzer auf konzeptioneller, funktionaler und atmosphärischer Ebene gerecht werden.

Foto: Ladina Bischof
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?


Wir haben einige Baumaterialien aufbereitet und wieder eingesetzt (Parkett, Waschmaschinen, Pflästerung). Einerseits um Ressourcen zu schonen, andererseits um ein Stück Geschichte in das Haus zu tragen. Dies war aber nur möglich und finanzierbar, weil wir diese Arbeiten selber ausgeführt haben.

Foto: Ladina Bischof
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?


Das Haus zeichnet sich dadurch aus, dass wir versucht haben, alle Aspekte von der Setzung bis zu den Details zu diskutieren. Als Generalisten haben wir den Anspruch, auch über die vermeintlich gesetzten Produkte ab Stange nachzudenken und diese zu hinterfragen. So haben wir eigens für diesen Bau Elektroapparate und Türgriffe entworfen. Wo es möglich war, wurden die Materialien unbehandelt und direkt verbaut. Dadurch entwickeln sie eine Präsenz und Unmittelbarkeit, welche der ruralen Architektur verbunden ist.

Foto: Ladina Bischof
Schwarzplan
Grundriss Erdgeschoss
Grundriss Obergeschoss
Grundriss Dachgeschoss
Grundriss Estrich
Schnitt A
Schnitt B
Schnitt C
Bauwerk
Haus zum Pudel
 
Standort
Unterdorf 3, 8222 Beringen
 
Nutzung
Ladenlokal, Bushaltestelle und zwei Maisonett-Studios
 
Auftragsart
Freie Arbeit
 
Bauherrschaft
Sergio Marazzi und Andreas Reinhardt
 
Architektur
Marazzi Reinhardt, Winterthur
 
Jahr der Fertigstellung
2021
 
Gesamtkosten BKP 1–9 
CHF 850000
 
Fotos
Aussenaufnahmen: Schaub Stierli Fotografie
Innenaufnahmen: Ladina Bischof

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