Die Schule als neuer Dorfbaustein
21. mars 2024
Blick über den Pausenplatz auf den Mittagstisch (links) und das Schulhaus (Foto: Lukas Murer)
Pablo Horváth hat die Schulanlage der Ortschaft Haldenstein im Norden Churs gebaut. Er erklärt, wie seine Architektur aktuellen pädagogischen Erkenntnissen Rechnung trägt.
Herr Horváth, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?
Unsere Aufgabe bestand darin, eine neue Schulanlage zu konzipieren, die sich in die gewachsene Dorfstruktur einfügt, aber auch Präsenz zeigt. Ihre Bauten sollten selbstbewusst in Erscheinung treten. Wir haben das neue Schulhaus und den Mittagstisch also so gesetzt, dass sie vom Dorfzentrum her erkennbar sind. Sie markieren westseitig den räumlichen Abschluss der Dorfkernzone. Die beiden Neubauten bilden zusammen mit den Aussenräumen eine neue, klare, selbstverständliche ortsbauliche Situation und fügen sich harmonisch in den Kontext ein.
Dialog zwischen Neubau und Nachbargebäuden; die Gestaltung greift die Architektursprache der Ortschaft auf und entwickelt sie weiter. (Foto: Lukas Murer)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?
Vom Standort des Schulhauses aus öffnet sich der Blick in die umliegenden Berge. Diese landschaftlich reizvolle Weitsicht ist innenräumlich in der Erschliessungs- und Lernzone eingefangen und kann zu allen vier Himmelsrichtungen erlebt werden. Das raumbildende Tragwerk aus Betonscheiben spannt eine Lernlandschaft auf, die raumübergreifendes Unterrichten ermöglicht und fördert.
Weiter inspirierte uns das Dorf Haldenstein mit dem spezifischen Vokabular seiner Bauten. Wir haben uns mit diesem beschäftigt und typische Elemente wie zum Beispiel die Dachformen, die Materialien Putz und Holz sowie die Farbigkeit in unseren Entwurf einfliessen lassen.
Treppenfigur im Schulhaus (Foto: Lukas Murer)
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?
Es ist uns bei jeder Bauaufgabe ein zentrales Anliegen, den lokalen Kontext zu untersuchen, so auch in Haldenstein. Ortsbaulich typisch für Haldensteins Siedlungsstruktur sind zum Beispiel enge Gassen, kleine offene Plätze und topografisch unterschiedliche Höhen.
Wir haben das Schulhaus leicht zurückversetzt und abgedreht. So entsteht strassenseitig eine sanft abgesenkte, sichere Zugangsgasse. Und beim rückwärtigen Eingang der Kindergärten wird die Gasse durch den Aussen-Geräte-Baukörper redimensioniert, sodass der Ankunftsraum für die Kleinsten eine ihnen entsprechende Massstäblichkeit aufweist. Zusammen mit der bestehenden Turnhalle fassen Schulhaus und Mittagstisch einen zentralen, geschützten Pausenplatz. Eine Linde in chaussierter Fläche ist in die Grundrisskonzeption eingebunden und erzeugt eine stimmungsvolle Atmosphäre.
Nebst den erwähnten siedlungsbaulichen Elementen finden, wie erwähnt, auch andere ortstypische Merkmale im Entwurf ihre Entsprechung – allerdings gestalterisch transformiert in eine Ausdrucksform der Gegenwart.
Klassenzimmer mit Enfilade entlang der Fassade für den klassenübergreifenden Unterricht (Foto: Lukas Murer)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?
Die Bauherrschaft respektive deren fachliche Vertreterinnen äusserten den Wunsch, nicht nur das normale Raumprogramm zu erfüllen, sondern Grundrisse zu entwerfen, die neue Lernformen ermöglichen. Gemeint war damit eine Art «Lernlandschaften», es ging also darum, raumübergreifende Angebote zu schaffen, die über die konventionellen Klassenzimmer hinausgehen: Dort können Kleingruppen projektweise oder stufenübergreifend zusammenarbeiten.
Nein. Der Wettbewerb war sehr gut vorbereitet und unser Wettbewerbsbeitrag ziemlich ausgereift, sodass wir von einem günstigen Ausgangspunkt aus starten konnten. Auch bei der Umgebungsgestaltung lag schon ein gut durchgearbeiteter Vorschlag vor, der zu den drei umliegenden Burgen Bezug nahm und in seinen Grundzügen ebenfalls unverändert ausgeführt werden konnte.
Erschliessungs- und Lernzone (Foto: Lukas Murer)
Kindergarten (Foto: Lukas Murer)
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten Ihres Büros ein?
Die Schulanlage Haldenstein ist das siebte Schulgebäude, das wir um- respektive neu bauen konnten. Wie beim Neubau des Primarschulhauses in Fläsch und der Bibliothek der Pädagogischen Hochschule in Chur ist das Schulhaus Haldenstein ein kompakter, schlichter Baukörper. Es bildet zusammen mit dem Mittagstisch einen gefassten Pausen- und Aufenthaltsraum.
Die Stütze aus Massivholz im Mittagstisch stammt aus dem Wald der Stadt Chur. (Foto: Lukas Murer)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?
Energetische und konstruktive Aspekte spielten für uns schon immer eine wichtige Rolle, während uns gestalterische Tendenzen weniger interessieren. Dass man sich bei der Fassadengestaltung für Holz entschieden hat, ist nebst Gründen der lokalen Verankerung und Anmutung sicher auch energetischen Überlegungen geschuldet.
Situation (© Pablo Horváth Architekt)
Grundriss Erdgeschoss: Mittagstisch (links) und Schulhaus mit Kindergarten (© Pablo Horváth Architekt)
Grundrisse: 1. bis 3. Obergeschoss des Schulhauses (© Pablo Horváth Architekt)
Schnitte (© Pablo Horváth Architekt)
Neubau Schulanlage Haldenstein
Standort
Usserdorf 17, 7023 Haldenstein
Nutzung
Primarschule, Kindergarten und Mittagstisch
Auftragsart
Selektiver Projektwettbewerb
Bauherrschaft
Stadt Chur (bis 2020: Gemeinde Haldenstein)
Architektur
Pablo Horváth Architekt, Chur
Pablo Horváth, Dominik Boos (Projektleiter), Michaela Gaudenz, Elia Beti und Andrea Gadient
Fachplaner
Landschaftsarchitekt: Alex Jost, Chur
Bauingenieur: Plácido Pérez, Bonaduz
Brandschutz: Bachofner GmbH, Frümsen
Bauphysik: Martin Kant, Chur
HL-Ingenieur: Collenberg Energietechnik, Chur
Sanitäringenieur: Marco Felix, Chur
Elektroingenieur: Nay Engineering, Chur
Bauleitung
Andreas Lütscher Baumanagement, Haldenstein
Fertigstellung
2023
Gesamtkosten BKP 1–9
CHF 11.9 Mio.
Gebäudekosten BKP 2
CHF 9.0 Mio.
Gebäudevolumen
9'900 m3 (gemäss SIA 416)
Fotos
Lukas Murer, Zürich