Wenn Altbewährtes innovativ wird

Elias Baumgarten
17. diciembre 2020
Pedevilla Architects mit willeit architektur, Servicegebäude am Kreuzbergpass, Sexten, 2020 (Foto: Gustav Willeit)


Elias Baumgarten: Obwohl die Schweiz über eine besonders hohe Dichte an guter Architektur verfügt, klagen bei uns viele Nicht-Architekten, aber auch Profis über die aktuelle Bauproduktion. Es sei ein «Einheitsbrei» entstanden, mit dem sich niemand identifizieren könne, heisst es immer wieder. Ihr erhaltet aus der Architekturszene viel Lob für eure Gestaltungen und auch viele Laien haben Freude an ihnen. Wie kommt das?

Armin Pedevilla: Architektur ist immer exponiert und nie Privatsache. Sie leistet einen wichtigen Beitrag, damit sich die Menschen mit ihrem Dorf oder ihrer Stadt identifizieren können. Ich denke, nachvollziehbare regionale Bezüge sind sehr wichtig – gerade in Zeiten der Globalisierung. Unsere Gebäude sollen verständlich sein und Emotionen wecken. Wenn man Architektur erst erklären muss, wird es schwierig. Wir orientieren uns beim Entwerfen stets an der Topographie, der Meereshöhe, dem spezifischen Klima und den vor Ort vorhandenen Materialien. Vielleicht ist das der Grund, warum unsere Bauten trotz zeitgemässer, moderner Formensprache auf die Menschen vertraut wirken und von ihnen eher angenommen werden als vielleicht andere aktuelle Projekte.

Alexander Pedevilla: Das heisst allerdings nicht, dass wir keinen starken Gestaltungswillen einbringen. Formen und Proportionen sind uns sehr wichtig, wir versuchen reichhaltige atmosphärische Qualitäten anzubieten. Unser Anspruch ist zum Beispiel in der Zusammenarbeit mit Handwerker*innen, einen Schritt weiter zu gehen und Dinge auszuprobieren, die ehedem noch nicht gewagt wurden. Wir sind neugierig. Wir möchten Tradition und technischen Fortschritt zusammenbringen. Sich auf das baukulturelle Erbe einer Region zu beziehen darf nicht heissen, Altbewährtes stumpf zu kopieren oder rückwärtsgewandten Kitsch zu produzieren.

Armin Pedevilla: Ausserdem spielen Materialien und Oberflächen eine wesentliche Rolle in unserer Architektur. Unsere Projekte folgen immer einer materialspezifischen konstruktiven und handwerklichen Logik. Im Holzbau verwenden wir zum Beispiel tunlichst keine Bleche oder Ähnliches, sondern suchen nach konstruktiven Lösungen – zum Beispiel mit Schindeln oder Überlappungen. Unser Ziel ist es, Oberflächen zu schaffen, die über die Zeit eine Patina aufbauen. Ich könnte mir vorstellen, dass auch das unseren Projekten zu einer gewissen Wertschätzung verhilft – aus ähnlichen Gründen wie uns historische Bauten faszinieren, alte Bauernhäuser, Stadel, Burgen oder Ansitze etwa: Jeder stellt sich eine eigene Geschichte dahinter vor.

Servicegebäude am Kreuzbergpass (Foto: Gustav Willeit)
Foto: Gustav Willeit
Schnitt
Grundriss

Elias Baumgarten: Für euer Vollholz-Wohnhaus ciAsa Aqua Bad Cortina in St. Vigil haben euch heuer viele Kolleg*innen grossen Respekt gezollt, das Projekt erhielt zahlreiche Auszeichnungen und wurde überall publiziert. Handwerker aus dem Dorf haben es aus Holz, das aus der unmittelbaren Umgebung stammt, gebaut. Auf Leime, Harze und eine zusätzliche Dämmung konntet ihr dank der einfachen Konstruktionsweise verzichten. Nachhaltigkeit ist für euch ein Leitthema?

Alexander Pedevilla: Das würde ich so gar nicht sagen, es kommt mir nicht so vor, als würden wir dieses Thema besonders stark in den Fokus rücken. Aber unser regionaler Ansatz erleichtert oft ein zukunftsfähiges Bauen – und die ciAsa ist dafür sicher ein gutes Beispiel. Nachhaltigkeit bedeutet für uns, Gebäude zu schaffen, die über lange Zeiträume hinweg erhalten und gepflegt werden. Denn eine gute Dämmung oder hervorragende Werte bei der Energieeffizienz sind schön und gut, doch sie nutzen wenig, wenn das Gebäude schon nach zwanzig Jahren wieder abgerissen wird und im schlimmsten Fall als Sondermüll endet. Unsere Philosophie ist es, Bauwerke zu schaffen, die emotional berühren. Denn Wertschätzung bedeutet schlussendlich Werterhaltung. Das ist auch gar nicht neu, sondern entspricht einer uralten bäuerlichen Tradition, die wir in Südtirol und an vielen anderen Orten in den Alpen seit Jahrhunderten kennen. Von jeher wurden Häuser für lange Zeiträume entwickelt und von den nachfolgenden Generationen gepflegt und – sofern nötig – angepasst.

Armin Pedevilla: Wichtig wäre, dass wir zu einem einfacheren Bauen zurückfinden. Es werden heute oft zu viele Schichten verbaut, es kommen zu viele Folien, Kleber und schädliche Chemikalien zum Einsatz. Das gilt für alle Bauweisen. Wir versuchen deshalb vermehrt, monolithisch zu bauen, zum Beispiel mit Dämmbeton, Vollholz und Ziegel – alles ohne zusätzliche Dämmung. Die Bauherr*innen lassen sich von den Vorteilen schnell überzeugen. Werden Gebäude so konzipiert, dass sie uns das Gefühl geben, sie erhalten zu wollen, weil wir sie wertschätzen und sie uns emotional berühren, dann werden sie mehr zum Klimaschutz beitragen als die Beachtung kühl-mathematisch errechneter Kennwerte. Genau aus dieser Überlegung heraus schätzen wir ja historische Gebäude und Räume, weil sie uns berühren, begeistern und staunen lassen. Deshalb wollen wir sie auch erhalten. Gelingt es uns auch in der Gegenwart, solche Gebäude zu schaffen, bedeutet das gelebte Nachhaltigkeit; dann stimmt auch die Klimabilanz.

ciAsa Aqua Bad Cortina, St. Vigil, 2020 (Foto: Gustav Willeit)
Foto: Gustav Willeit
Foto: Gustav Willeit

Elias Baumgarten: Lasst uns über das Bauen im alpinen Raum sprechen. Der Tourismus ist überall in den Alpen eine wichtige Einnahmequelle. Zugleich steht er – zumindest so wie er heute vielerorts noch betrieben wird – im Widerstreit mit dem Schutz der wertvollen Naturlandschaft. Für Architekt*innen ist das ein Dilemma, denn die Tourismusbranche lockt regelmässig mit lukrativen Aufträgen. Wie denkt ihr darüber? Schliesslich habt ihr schon einige Projekte für Hoteliers entwickelt.

Armin Pedevilla: Richtig ist, dass viele Hoteliers nach wie vor immer grösser werden wollen, es herrscht ein gewisses Machtgehabe. Natürlich ist das problematisch. Aber nicht alle ticken so. Einige Südtiroler Hotelchefs setzen heute auf Persönlichkeit und Individualität, auf das Spezielle, das der jeweilige Ort, der Betreiber und die Kultur zu bieten haben. Dabei geht es nicht um Grösse, sondern um das Besondere und die Qualität. Es kommt im Tourismusbereich wie überall stark auf die Bauherrschaft an. Wir hatten bisher grosses Glück: Bei all unseren Projekten hatten wir mit sehr verantwortungsvollen Auftraggebern zu tun. Sie legten besonderen Wert auf Beständigkeit, Regionalität, Kultur und Landschaft. Andere fragen uns aufgrund unserer Haltung und unseres Umgangs mit Architektur, Kultur und Handwerk gar nicht erst an. Es zeigt sich je länger, je mehr, dass anspruchsvolle, aber auch verantwortungsbewusste Architektur bei den Gästen gut ankommt. Entsprechende Projekte haben deshalb eine gewisse Vorbildfunktion. Vielleicht ist das mehr wert, als mit erhobenem Zeigefinger umherzustolzieren und die Menschen zu belehren. 

Alexander Pedevilla: Wenn wir über den Schutz der alpinen Landschaft sprechen wollen, müssen wir auch das Thema Zersiedelung diskutieren. Betrachten wir den Alpenraum als Ganzes, ist sie ein grosses Problem. Vielerorts entstehen noch immer Neubauten ausserhalb der bestehenden Siedlungsstrukturen, mithin werden dafür extra neue Infrastrukturen angelegt. Wir haben mitbekommen, dass in der Schweiz zuletzt eine interessante Debatte dazu geführt wurde. In Südtirol haben wir diesbezüglich viel Glück: Wir verfügen schon seit Jahrzehnten über eine recht strikte Raumordnung. Man versucht bereits seit längerem, keine neuen Flächen mehr zu bebauen. Und letzthin wurde dies mit der neuen Raumordnung, die seit dem Sommer in Kraft ist, nochmals verschärft. Der Fokus bei uns liegt klar auf der Nachverdichtung. Diesen Weg sollten wir konsequent weiter beschreiten. Natürlich werden auch bei uns dahingehend Schlupflöcher gesucht.

Zwillingshaus, Campill, 2020 (Foto: Gustav Willeit)

Elias Baumgarten: Zum Abschluss: Was sind eure Ziele für die Zukunft? Woran arbeitet ihr gerade?

Armin Pedevilla: Aktuell dürfen wir an sehr unterschiedlichen Bauaufgaben arbeiten. Von Wohnhäusern über öffentliche Bauten bis hin zu einem Bauernhof ist alles dabei. Wir sehen in dieser Abwechslung einen grossen Wert, sie inspiriert uns und bringt uns voran. 

Alexander Pedevilla: Für ein Südtiroler Büro sind wir bereits sehr international unterwegs, weil wir auch an Wettbewerben im Ausland teilnehmen, zum Beispiel in Deutschland und Österreich. Wir haben ein grosses Interesse, uns mit der Crème de la Crème der Architekt*innen zu messen – und wir würden uns freuen, bald auch grössere, international bedeutsame Projekte verwirklichen zu dürfen. Schon heute nehmen wir wahr, dass unsere Gestaltungen weit über Südtirol hinaus rezipiert und wertgeschätzt werden; immer öfter werden sie publiziert, und wir werden eingeladen, Vorträge zu halten. Das freut uns riesig und motiviert uns sehr!

Armin und Alexander Pedevilla haben an der Technischen Universität Graz Architektur studiert. Beide gründeten unabhängig voneinander nach dem Studium eigene Büros in Österreich. Wegen ihres Wunsches im alpinen Raum zu bauen kehrten sie 2005 nach Südtirol zurück, um dort gemeinsam das Büro Pedevilla Architects zu gründen. Seither haben sie sich einen Namen in der nationalen und internationalen Architekturszene gemacht und zählt mittlerweile zu den renommierten Büros in Italien wie auch im gesamten deutschsprachigen Raum. Ihre Arbeiten wurden vielfach ausgezeichnet, publiziert und waren in zahlreichen Architekturausstellungen zu sehen. Es folgten Vorträge an Hochschulen und Institutionen in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Italien, Slowenien und Kroatien, sowie die Tätigkeit als Juroren bei Architekturwettbewerben.

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