Verkaufsargument Kinski
Manuel Pestalozzi
29. noviembre 2016
Screenshot aus Tatort-Folge «Reifezeugnis» aus dem Jahr 1977. Bild: Norddeutscher Rundfunk
Eine modernistische Villa aus den 1960er-Jahren zwischen Lübeck und Kiel ist aktuell zu haben. Sie wird als Drehplatz der Tatortfolge «Reifezeugnis» angepriesen, in der die Schauspielerin Nastassja Kinski mit einem Schlag berühmt wurde.
Zugegeben, der Grosse Plöner See ist nicht das Meer bei Capri, Nastassja Kinski liegt in der Hitparade der ewigen Sex-Symbole wohl einige Ränge hinter Brigitte Bardot. Tatort Regisseur Wolfgang Petersen schaffte es zwar später als Blockbuster-Meister nach Hollywood, ist aber weniger epochal als Jean-Luc Godard. Und dem Einfamilienhaus von Architekt Hagge aus Hamburg fehlt die Radikalität der Casa Malaparte Adalberto Liberas, dem cineastischen Dreh- und Angelpunkt in «Le Mépris». Trotzdem: In der Tatortfolge «Reifezeugnis» gelangte der unaufdringliche modernistische Bau zu bescheidenem, doch nachhaltigem Ruhm. Schliesslich verführte hier, im Haus ihrer Eltern, die hinreissend hübsche Schülerin Sina Wolf ihren Lehrer. Eine Lolita-Story inklusive Mord im Vorabendprogramm des staatlichen Senders – das war 1977, zur Zeit der Erstausstrahlung, ein sensationeller Skandal.
Wie Filme leben auch Fernsehserien ganz wesentlich von Atmosphäre. Dafür war das Haus gut gewählt, und es spielt seine Reize aus. Apéritif mit der Mutter auf der sonnigen Terrasse über dem See. Tiefschürfende Gespräche zwischen Teenager und Lehrer an der grossen Fensterfront, mit Blick in die graue Landschaft. Wohlstand und Transparenz, eingebettet in die Landschaft des deutschen Bundeslandes Schleswig-Holstein, das passte gut zur Story und gab ihr das passende Flair. Die Episode im Leben des Hauses wird nun, da es zum Verkauf steht, gebührend hervorgehoben, so dass die Nachricht bis auf den digitalen Schreibtisch dieses Redaktors vordrang. Der Makler will es denn auch als «Liebhaber-Immobilie» an den Mann resp. die Frau bringen. Als Bonus-Lockvogel wird gemunkelt, dass Nastassja Kinski während der Dreharbeiten ab und zu dort «echt» übernachtet haben soll!
Während man dem Makler bei seiner Suche viel Glück wünscht, denkt man auch an die Architektinnen und Architekten auf Kundensuche. Deren Bekanntheitsgrad sollte doch auch von einer Location im eigenen Entwurf profitieren können? Tatorte gibt es schliesslich auch in der Schweiz. Eine Plattform, auf der sich Stories und reelle Räume finden können, das ist es vielleicht, was noch fehlt …